Istanbul/Moskau/Berlin. Moskau zieht erste Konsequenzen aus Abschuss des Kampfjets, darunter auch verschärfte Kontrollen türkischer Exporte. Mehr News im Blog.

Trotz des Abschusses eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei strebt Moskau eine internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus an. Das betonte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow vor einem Treffen des französischen Präsidenten François Hollande mit Kremlchef Wladimir Putin an diesem Donnerstag in Moskau. Russland wolle eine „breite Anti-Terror-Front, eine echte Koalition“, sagte Rjabkow der Agentur Interfax. Dazu gebe es keine Alternative.

Russland bewertet den Abschuss im türkisch-syrischen Grenzgebiet als geplante Provokation. Ein Ziel der Aktion vom Dienstag könne gewesen sein, die Bildung einer internationalen Koalition zu torpedieren, meinte Rjabkow. Dies dürfe nicht gelingen.

Leitartikel: Spiel mit dem Feuer

Am Mittwochabend berieten auch die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, über die Lage nach dem Abschuss. In dem Telefonat rief Kerry zur Deeskalation auf. Der Vorfall dürfe nicht dazu führen, dass die Spannungen zwischen Russland und der Türkei und in Syrien größer würden.

Putin empfängt Hollande am Donnerstag zu Gesprächen über einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. Die USA lehnen eine militärische Zusammenarbeit mit Russland ab, solange Moskau den syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstützt.

Presseschau zum Jet-Abschuss

Die Presse (Wien)

„Die Türkei und Russland sind trotz mehrerer Konferenzen nicht einmal in der Lage, sich militärisch so abzustimmen, dass sie sich gegenseitig keine Kampfflugzeuge abschießen. Auch die weltweite Allianz gegen den sogenannten Islamischen Staat hat man sich anders vorgestellt. (...) Und es zeigt vor allem, wie brandgefährlich der Krieg in Syrien ist, in den mittlerweile fast alle Groß- und Regionalmächte verwickelt sind. Das ist der Stoff, aus dem schon Weltkriege entstanden sind.“

Thüringische Landeszeitung (Weimar)

"Die Beziehung der beiden Länder (Türkei und Russland) wird nun hart auf die Probe gestellt. Allerdings nützt die Eskalation beiden Präsidenten. Putin kann nun seinen Landsleuten glaubhaft versichern, dass sich der Westen gegen Russland verschworen habe, während Erdogan den Türken zeigen kann, dass er bereit ist, sein Land zu verteidigen. Gleichzeitig lenkt er von innenpolitischen Problemen ab. (...) Ob sich nun noch eine gemeinsame Koalition, wie nach den Attentaten von Paris angekündigt, gegen den IS bilden wird, ist höchst zweifelhaft. Russland und die Nato-Länder teilt derzeit mehr als sie eint.“

Huffington Post

„Der Abschuss der Militärmaschine belastet das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen schwer - das Anti-Terror-Bündnis, das Paris, Washington und Moskau gerade schmieden, ist fragiler, als viele dachten. Zu groß ist das Misstrauens Putins gegenüber den Nato-Staaten. Das ist Ankara nur Recht. Ein Bündnis würde den syrischen Machthaber Assad wohl kurzfristig stützen, was die Türkei mit allen Kräften verhindern will. Was den Abschuss aus westlicher Sicht unverantwortlich erscheinen lässt, macht aus türkischer Sicht also durchaus Sinn. So gibt es einen schrecklichen Verdacht: Der Abschuss war nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische Entscheidung. Und die Türkei, nicht Russland, wäre damit das größte Problem im Kampf gegen den Terror.“

Bild (Berlin)

"Jetzt nur nicht die Nerven verlieren! Die Situation an der Ostgrenze der Türkei, an der Grenze der Nato, ist seit Langem bedrohlich. Seit gestern ist sie brandgefährlich! Für die Türkei, die Nato, Europa - für die ganze Welt. Denn der Abschuss des russischen Jagdbombers durch ein (türkisches) Nato-Flugzeug zeigt: Es geht nicht nur um Syrien, um Assad oder islamischen Terror! Hier kann, durch den kleinsten Kurzschluss, ein Konflikt zwischen Putins Russland und dem Westen entstehen. Ein Krieg, den keiner will! Darum ist es so wichtig, dass die Verantwortlichen - vor allem in Moskau und Ankara - ihre nächsten Schritte jetzt sorgfältig abwägen. Damit die Lage nicht noch weiter eskaliert. Denn gewinnen kann in diesem Konflikt am Ende niemand: Nicht Erdogan. Und Putin auch nicht. Aber einen Nutznießer gibt es trotzdem: die Steinzeit-Islamisten der ISIS. Denn solange die sogenannte Koalition sich selbst an die Gurgel geht, können die selbst ernannten Gotteskrieger weiter plündern und morden."

Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg)

"Der wichtigste Streitpunkt bleibt die Zukunft des syrischen Machthabers Assad. Während Russland und der Iran ihren Verbündeten unbedingt an der Macht halten wollen, gehört die Türkei zu den erbittertsten Gegnern des Diktators. Der Streit um Assad ist daher zu einer Art Lebensversicherung für den IS geworden. Wie sich die Terroristen besiegen lassen, zeigen ja nicht zuletzt die Erfolge der kurdischen und schiitischen Milizen im Irak. Doch die verworrene Gemengelage in Syrien spielt den Extremisten in die Karten."

„Der neue Tag (Weiden)

Ist es wirklich hilfreich, in dieses unübersichtliche Gemenge hinein - mit seinen regionalen und internationalen Interessens-Gegensätzen - westliche Bodentruppen zu entsenden? Die Europäer laufen Gefahr, in Syrien die katastrophalen Fehler der Amerikaner in Afghanistan und im Irak zu wiederholen. Der Abschuss des Kampfflugzeugs ist eine Warnung.

Märkische Oderzeitung (Frankfurt/O.)

"Schon mehrfach hat Ankara versucht, mit der Begründung von Grenzverletzungen die Nato in das Geschehen hineinzuziehen. So wurden „Patriot“¬Raketen stationiert - und wieder abgezogen, weil aus Syrien kein einziger Angriff erfolgte. Gleichzeitig hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederholt klar gemacht, dass er den Sturz von Syriens Staatschef Baschar al¬Assad anstrebt. Es sind aber neben dem IS und tschetschenischen Exil¬Islamisten eben auch türkisch unterstützte Rebellengruppen, die Russland in Syrien bombardiert. Und - was der Regierung in Ankara noch ein größerer Dorn im Auge sein dürfte: Russland macht dabei gemeinsame Sache mit der Regionalmacht Iran, deren Einfluss Erdogan eigentlich eingrenzen will. Dass nach dem Abschuss auch Russlands Präsident Wladimir Putin die Ärmel hochkrempelt und die Türkei als „Komplizen von Terroristen“ brandmarkt, zeigt, wie sich hier zwei Kontrahenten gegenseitig ihre Macht zeigen wollen."

El Mundo (Madrid)

 "Der Abschuss der russischen Militärmaschine löst neue Spannungen innerhalb der Gruppe von Mächten aus, die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekämpfen. Es scheint klar zu sein, dass das Flugzeug keine Gefahr für die Sicherheit der Türkei bedeutete. Der Zwischenfall ereignete sich ausgerechnet in einer Zeit, in der Frankreich sich bemüht, eine internationale Allianz zu schmieden, der Russland, die EU, die Nato und die wichtigsten regionalen Mächte angehören sollen. Der Abschuss bedeutet einen Rückschlag für diese Bestrebungen. Die Nato, Russland und die EU sollten sich enger zusammenschließen und ihre Einzelinteressen hintanstellen, um dem Kalifat des IS einen entscheidenden Schlag zu versetzen.“

Adevarul (Bukarest)

„(Der Kremlchef Wladimir) Putin ist im Nahen Osten gelandet in der Überzeugung, dass er dort tun und lassen kann, was er will, weil sein Ruf als harter Hund jeden möglichen Gegenschlag der kleineren Akteure in der Region lähmen würde. Da hat er Pech gehabt. Die Türken sind eben nicht klein. (...) Klar ist nur, dass das Renommee einer interkontinentalen Macht, das Putin für Russland wieder aufzubauen begonnen hatte, jetzt an der türkisch-syrischen Grenze zusammengebrochen ist. Denn, im Unterschied zu den militärischen Pygmäen, die Putins Russland bisher in Schach gehalten hat, ist die Türkei eine eigenständige Kraft und ein wichtiger Pfeiler der Nato."

La Repubblica (Rom)

„Der Vorfall, der sich am Dienstagmorgen im Luftraum ereignete - ob diesseits oder jenseits der Grenze zwischen Syrien und der Türkei -, hat bereits ernsthafte internationale Konsequenzen. Vor allem gefährdet er die Koalition gegen die Terroristen des Islamischen Staats. Sie war dabei, sich zu erweitern und dank des Beitritts Russlands stärker und effizienter zu werden, und jetzt scheint alles wieder auf dem Spiel zu stehen. Wladimir Putin stand dicht davor, sich der von den Vereinigten Staaten geführten Allianz anzuschließen, angetrieben von dem Gemetzel in Paris und seinem mit mehr als 200 Passagieren über dem Sinai explodierten Flugzeug. Nun ist von einem "Dolchstoß" die Rede.“

Dennik N (Bratislava)

„Die gegenwärtige türkische Regierung ist nicht viel vertrauenswürdiger als die russische. Deshalb werden wir vielleicht nie eine Antwort auf die einfache Frage bekommen, ob das abgeschossene russische Flugzeug wirklich den türkischen Luftraum verletzt hat. Gar nicht zu reden davon, dass in einer so explosiven Situation, wie sie jetzt in Syrien besteht, auch dies noch nicht wirklich ein ausreichender Grund gewesen wäre, es gleich abzuschießen. Die Türkei und Russland spielen aber in Syrien jeweils ihr eigenes egoistisches Spiel - und das macht sie beide zu außerordentlich gefährlichen Teilnehmern des Konflikts.“

Guardian (London)

„Es ist entscheidend, dass in Moskau, Ankara und in der Nato die kühlen Köpfe die Oberhand behalten. Aber es können auch Lehren gezogen werden. Eine ist die dringende Notwendigkeit von Zurückhaltung und das bessere Teilen von Informationen unter allen, die Luftangriffe auf Syrien ausführen. Eine weitergehende Schlussfolgerung ist, dass trotz aller offiziellen Bekenntnisse zu einem gemeinsamen Einsatz weiterhin unvereinbare strategische Interessen aufeinanderprallen. (...) Eine vereinte internationale Koalition gegen den IS aufzubauen mag eine gute Parole sein. Aber wie dieser Zwischenfall gezeigt hat, ist es eine Parole, die eine gute Portion Illusion beinhaltet.“

Kommersant (Moskau)

„Der Flugzeugabschuss ist der Tiefpunkt einer Krise, die schon länger andauerte. Auf Russlands Luftangriffe in Syrien hatte die Türkei stets äußerst negativ reagiert. Nun verändert der zu Boden gebrachte Kampfjet das Verhältnis grundsätzlich. Es ist aber kaum anzunehmen, dass auch nur eines der wichtigen westlichen Länder deswegen seine Beziehungen zur Führung in Ankara belasten wird. Denn auf der Suche nach einer Lösung der beispiellosen Flüchtlingskrise ist die Türkei zu wichtig geworden. Die Gespräche zwischen den EU-Ländern und der Türkei über einen weiteren Beitrag Ankaras laufen. Da wird kein westliches Land wegen eines russischen Flugzeugs Streit riskieren.“


 

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Erdogan weist russische Forderung nach Entschuldigung scharf zurück

Nach dem Abschuss des Kampfjets an der syrisch-türkischen Grenze hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Forderung Russlands nach einer Entschuldigung scharf zurückgewiesen. „Ich denke, wenn es eine Seite gibt, die sich entschuldigen muss, dann sind das nicht wir“, sagte Erdogan in einem am Donnerstag bereitgestellten Interview mit dem Sender CNN International. „Die, die unseren Luftraum verletzt haben, sind diejenigen, die sich entschuldigen müssen.“ Erdogan betonte erneut, dass die türkischen Piloten mit dem Abschuss nur ihre Pflicht erfüllt hätten.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuvor eine Entschuldigung von „höchster militär-politischer Stelle“ der Türkei gefordert, sowie Schadenersatz und die Bestrafung der „Verbrecher“. Die türkische Armee hatte den russischen Kampfjet am Dienstag im türkisch-syrischen Grenzgebiet abgeschossen. Nach türkischer Darstellung verletzte die Maschine den türkischen Luftraum, was Russlands bestreitet. Die Maschine stürzte über syrischem Gebiet ab.

In einer Rede vor Ortsvorstehern in Ankara betonte Erdogan aber auch die starke Partnerschaft zwischen der Türkei und Russland. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern erforderten Solidarität und nicht, dass man sich gegenseitig bedrohe, sagte er.

Russland will türkische Investmentprojekte einfrieren

Als Reaktion auf den Abschuss eines Kampfjets verhängt Russland wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen gegen die Türkei. Er habe die Regierung angewiesen, Maßnahmen wie das Einfrieren gemeinsamer Investmentprojekte anzugehen, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew nach einer Kabinettssitzung am Donnerstag. Auch Beschränkungen für die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Türkei gehörten dazu. Das Agrarministerium verschärfte bereits die Kontrollen für Produkte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einer emotionalen Entscheidung, die für Politiker unpassend sei.

Erneut rechtfertigte Erdogan den Abschuss der Maschine durch die türkische Luftwaffe an der syrischen Grenze am Dienstag. Dies sei im Rahmen der militärischen Vorgaben geschehen. Der Türkei zufolge hatte der Kampfjet den türkischen Luftraum verletzt, Russland bestreitet dies.

Russische Jets bombardieren syrische Rebellen an Grenze zur Türkei

Russische Kampfjets haben an der Grenze zur Türkei Aktivisten zufolge erneut Stellungen syrischer Rebellen bombardiert. Sie griffen unter anderem eine Bergregion nahe der Küste an, in der viele Angehörige der ethnischen Minderheit der Turkmenen leben. Auch eine Verbindungsstraße zwischen dem Ort Asas und dem Grenzübergang Bab al-Salama sei beschossen worden, erklärten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und Aktivisten am Donnerstag.

Zu möglichen Opfern lagen zunächst keine Angaben vor. Den Menschenrechtlern zufolge hatte Russlands Luftwaffe das Gebiet um Asas bereits am Vortag bombardiert und vier Menschen getötet. Oppositionsmedien meldeten, dabei seien Lastwagen getroffen worden.

Moskau unterstützt seit Wochen mit Luftangriffen das syrische Regime im Kampf gegen Rebellen und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die türkische Armee hatte am Montag im Grenzgebiet ein russisches Jet wegen einer angeblichen Verletzung des Luftraums abgeschossen. Die Türkei fühlt sich mit den Turkmenen in Syrien eng verbunden.

Türkei hofft auf Entspannung im Streit mit Russland

Die Türkei hofft auf eine Entspannung in den Beziehungen zu Russland. Beide Seiten könnten sich den Luxus eines unfreundlichen Verhältnisses nicht leisten, sagte der türkische EU-Minister Volkan Bozkir am Donnerstag in Ankara. Er gehe davon aus, dass die Beziehungen zur Regierung in Moskau weiter gepflegt werden. Fortschritte erwarte er zudem in den stockenden Gesprächen über einen Beitritt zur Europäischen Union.

Russland verschärft Kontrolle türkischer Exporte

Unter dem Eindruck des Abschusses eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei verschärft Russland die Kontrollen für türkische Lebensmittel. Waren aus der Türkei sollten bei der Einfuhr stärker überprüft werden, ordnete Landwirtschaftsminister Alexander Tkaschjow am Donnerstag in Moskau an. Er begründete dies mit wiederholten Verstößen türkischer Hersteller gegen russische Vorschriften. Den Abschuss des russischen Kampfjets vom Dienstag im türkisch-syrischen Grenzgebiet erwähnte der Minister zwar nicht. Experten erwarteten aber vor allem wirtschaftliche Schritte gegen die Türkei. Präsident Wladimir Putin hatte eine Reaktion angekündigt.

Türkei: Wollten Piloten ausfindig machen und retten

Die Türkei bemüht sich gegenüber Russland offenbar um eine nähere Erklärung des Kampfjet-Abschusses. Nach dem Zwischenfall seien russische Militärvertreter in das türkische Armee-Hauptquartier eingeladen worden, hieß es am Mittwoch in einer schriftlichen Stellungnahme. Dort sei den Russen erläutert worden, dass eine Einsatzregel befolgt worden sei, weil die Besatzung des russischen Flugzeugs nicht auf Warnungen reagiert habe. Nach dem Abschuss habe sich die Türkei bemüht, die russischen Piloten ausfindig zu machen und zu retten. Gegenüber Russland sei die Bereitschaft zu jeglicher Kooperation ausgedrückt worden.

Der Abschuss der russischen Maschine im syrisch-türkischen Grenzgebiet am Dienstag führte zu erheblichen Spannungen zwischen Russland und der Türkei. Die Nato rief beide Länder zur Besonnenheit auf.