Washington/Berlin. Putin bestätigt die Rettung des zweiten Piloten. Soldat befinde sich auf russischer Basis in Syrien. Erdogan will Eskalation vermeiden.
Nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat sich US-Präsident Barack Obama telefonisch mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan über den Vorfall beraten. Wie das US-Präsidialamt am Dienstagabend (Ortszeit) mitteilte, bekräftigte Obama in dem Gespräch, dass der Nato-Partner Türkei das Recht habe, seine Souveränität zu verteidigen. Zugleich stimmten beide Politiker darin überein, dass die Lage nicht eskalieren dürfe. Es müssten Vorkehrungen getroffen werden, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederhole.
Leitartikel: Spiel mit dem Feuer
Türkische Kampfflugzeuge hatten die russische Maschine am Dienstag abgeschossen. Ankara wirft Moskau vor, türkischen Luftraum verletzt zu haben. Russland weist das zurück. Das Land fliegt in Syrien Angriffe gegen Rebellen.
Presseschau zum Jet-Abschuss
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Türkei veröffentlicht Warnung an Piloten
Nach dem Abschuss des russischen Bombers haben die türkischen Streitkräfte nach einem Medienbericht die Warnung an die Piloten veröffentlicht. Die Nachrichtenagentur DHA stellte unter Berufung auf die Armee eine entsprechende Sprachaufnahme ins Netz. Auf der Aufnahme ist die mehrmalige Warnung zu hören, nach Süden abzudrehen. Es soll sich dabei um den Funkspruch an die Piloten des am Dienstag abgeschossenen Flugzeugs handeln.
Russischer Pilot: Türkei hat Kampfjet nicht gewarnt
Der überlebende Pilot des abgeschossenen russischen Kampfjets hat die Darstellung einer Warnung durch das türkische Militär zurückgewiesen. „Es gab keine Warnungen, nicht per Funk, nicht visuell, wir hatten überhaupt keinen Kontakt“, sagte Konstantin Murachtin der Agentur Interfax zufolge. Die Türkei hatte mitgeteilt, die russische Suchoi Su-24 vor dem fatalen Raketentreffer mehrfach und über mehrere Minuten hinweg kontaktiert zu haben.
Türkische Botschaft in Moskau mit Steinen beworfen
Aus Wut über den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei haben Hunderte Menschen vor der türkischen Botschaft in Moskau protestiert. Einige der rund 900 Demonstranten bewarfen das Gebäude mit Steinen, Eiern und Farbbeuteln, wie die Agentur Tass am Mittwoch meldete. Mindestens 15 Fenster wurden demnach zerschmettert. „Erdogan Mörder“ war unter anderem auf Plakaten zu lesen, die sich gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan richteten. Berichten zufolge wurde zunächst niemand festgenommen.
Putin bestätigt Rettung des zweiten Piloten
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Rettung eines der beiden Piloten bestätigt. Der Soldat befinde sich auf der russischen Basis Hamaimim südlich von Latakia in Syrien, sagte der Kremlchef am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Libanesische Medien hatten berichtet, die syrische Armee habe den Mann in Sicherheit gebracht.
Putin bestätigte, dass der zweite Pilot bei dem Zwischenfall am Vortag ums Leben gekommen sei. Er kündigte zum Schutz der Basis die Verlegung des Flugabwehrraketensystems S-400 nach Hamaimim an.
Der russische Präsident kritisierte die Türkei erneut scharf. Die Regierung in Ankara verfolge eine Politik der Islamisierung des Landes. Die Unterstützung radikaler Richtungen schaffe eine sehr ungünstige Atmosphäre, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge.
Sein Sprecher Dmitri Peskow bekräftigte, dass Russland den Abschuss als Verstoß gegen das Völkerrecht und eine außerordentlich unfreundliche Handlung werte. Ein gemeinsamer Anti-Terror-Kampf mit der Türkei stehe in Zweifel. Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekräftigte, dass Moskau alle militärischen Kontakte mit Ankara vorerst einfrieren werde. Er widersprach damit dem russischen Botschafter in Paris. Der Diplomat Alexander Orlow hatte in einem Interview gesagt, zum Terrorkampf sei Russland zur Einrichtung einer gemeinsamen Kommandozentrale unter anderem mit der Türkei bereit.
Merkel warnt vor Eskalation des Syrien-Konflikts
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach dem Abschuss eines russischen Militärjets durch die Türkei vor einer Eskalation des Syrien-Konflikts gewarnt. „Durch den Abschuss hat sich die Lage noch einmal verschärft. Wir müssen jetzt alles tun, eine Eskalation zu vermeiden“, sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldebatte über den Bundeshaushalt im Bundestag. Dazu habe sie am Dienstag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu telefoniert.
Zugleich appellierte die Kanzlerin an alle beteiligten Länder, an den laufenden Gesprächen über Frieden für das Bürgerkriegsland Syrien weiter konstruktiv mitzuwirken. „Es ist vollkommen klar, dass die wirkliche Lösung nur in einer politischen Lösung liegen kann. Es gibt keinen anderen Weg, der uns einer dauerhaften Lösung näher bringt.“ Bei den bislang zwei Gesprächsrunden habe es „hoffnungsvolle Entwicklungen“ gegeben. Sie hoffe, dass die Gespräche nun „nicht zu weit zurückgeworfen werden“.
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 wurden in Syrien Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Laut UN gibt es rund 7,6 Millionen Binnenvertriebene und 3,88 Millionen Flüchtlinge außerhalb des Landes.
Botschafter: Russland bereit zu gemeinsamer Kommandozentrale gegen IS
Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist Russland nach Angaben seines Botschafters in Paris zur Einrichtung einer gemeinsamen Kommandozentrale mit Frankreich, den USA und anderen Ländern wie etwa der Türkei bereit. „Die Perspektive ist möglich (...) - wenn sie es wollen“, sagte der Diplomat Alexander Orlow am Mittwoch russischen Agenturen zufolge.
Die Koalition könne unterschiedliche Formen haben. „Koordination ist unbedingt nötig. Aber wir sind bereit, weiterzugehen und Schläge gegen den Islamischen Staat gemeinsam zu planen“, sagte er demnach in einem Interview des Radiosenders Europe 1. Auf die Frage, ob Moskau einer Teilnahme der Türkei zustimmen würde, sagte Orlow, Moskau würde sich „natürlich darüber freuen“, wenn die Türkei dies wolle.
Der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei hatte zuletzt für Spannungen gesorgt. An diesem Donnerstag wird der französische Präsident François Hollande in Russland erwartet.
Iran: Abschuss „falsches Signal“ an Terroristen
Der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei war aus iranischer Sicht ein „falsches Signal“ an die Terroristen. Die internationale Gemeinschaft sollte besonders in diesen Tagen Terroristen gegenüber Solidarität und Stärke zeigen und nicht das Gegenteil. „Mit diesen falschen Signalen und Botschaften werden die Terroristen nur noch mehr ermutigt, ihre Terroroperationen in der Region und weltweit fortzusetzen“, sagte Außenamtssprecher Dschaber Ansari in einer Presseerklärung am Mittwoch.
Am Dienstag hatte die Türkei im türkisch-syrischen Grenzgebiet einen russischen Militärjet abgeschossen. Dadurch verschärfte sich die ohnehin schon gespannte Lage in der Region nochmals. Der gemeinsame internationale Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) dürfte schwieriger werden.
Erdogan: Türkei will keine Eskalation mit Russland
Die Türkei will nach den Worten ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ihre Beziehungen zu Russland nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs an der syrischen Grenze nicht weiter belasten. Erdogan sagte am Mittwoch in Istanbul, die Türkei wolle keine Eskalation. Sie habe lediglich nur ihre Sicherheit verteidigt und die "Rechte unserer Brüder in Syrien".
Nach Darstellung der Türkei, der sich die anderen Nato-Staaten angeschlossen haben, hatte die russische Maschine den türkischen Luftraum verletzt. Russland bestreitet dies und hat der Türkei mit Konsequenzen gedroht. Erdogan sagte, bei dem Absturz am Dienstag seien zwei türkische Bürger verletzt worden. Das Schicksal der zwei russischen Piloten ist unklar.
Russland-Beauftragter sieht Chancen für diplomatische Lösung
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler (SPD) sieht auch nach dem Abschuss des russischen Militärjets durch die Türkei Chancen für eine diplomatisch-politische Lösung beim internationalen Vorgehen gegen IS und zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien. Es gebe trotz der scharfen verbalen Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin immer noch die Chance für einen direkten Kontakt zwischen Russland und der Türkei zur Klärung des Vorfalls, sagte Erler am Mittwoch im WDR-Radio.
Die gegensätzlichen Positionen zu einer möglichen Rolle des syrischen Diktators Assad seien auf der internationalen Syrien-Konferenz in Wien Mitte des Monats abgeschwächt worden, sagte Erler. Die russische Seite, die bislang Assad als unverzichtbar für ein Zukunft Syriens erachtete, habe eine „gewisse Flexibilität“ an den Tag gelegt und einer syrischen Übergangsregierung und einem Fahrplan für einen Wahl- und Verfassungsprozess zugestimmt.
Die Anerkennung Russlands durch den US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama als „konstruktiven Partner“ habe „Mut gemacht, dass man doch vielleicht zu Kompromisslösungen bei diesen Wiener Verhandlungen kommen kann“, sagte Erler.
Zweiter abgeschossener russischer Pilot gerettet
Eine Kommandoeinheit der syrischen Armee hat den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Jets in Sicherheit gebracht. Er sei bei einer Aktion „hinter den Linien der Bewaffneten (Rebellen)“ gerettet worden, meldete die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat. Auch der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, sagte dem französischen Radiosender Europe 1: „Den zweiten Piloten hat die syrische Armee herausgeholt.“
Laut Al-Mayadeen wurde der Pilot zu einem Militärflughafen in der Nähe der Stadt Latakia gebracht. Der andere Pilot des abgeschossenen Flugzeugs war nach Angaben aus Moskau ums Leben gekommen. Syrische Rebellen verbreiteten dazu im Internet ein Video, das seinen Leichnam zeigen soll. Die Türkei hatte am Dienstag im Grenzgebiet ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen, weil es den türkischen Luftraum verletzt haben soll.
Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete zudem neue russische Luftangriffe auf Rebellen nahe der Grenze zur Türkei im Nordwesten Syriens. Dort war das russische Flugzeug abgeschossen worden. Es gebe seit dem Morgen auch heftige Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes, hieß es weiter. In dem Gebiet leben Angehörige der Minderheit der Turkmenen, mit denen sich die Türkei sehr verbunden fühlt.
US-Regierung: Jet über Syrien abgeschossen
Nach US-Einschätzung ist der russische Kampfjet innerhalb des syrischen Luftraums getroffen worden. Die Maschine sei zwar kurzzeitig im türkischen Luftraum gewesen, dort aber nicht getroffen worden, sagte ein Vertreter der US-Regierung, der nicht namentlich genannt werden wollte, zu Reuters. Diese Beurteilung basiere auf Wärmedaten des Jets.
Nach Darstellung des Nato-Landes Türkei wurde der Pilot mehrfach gewarnt, ohne jedoch den Kurs zu ändern. Die Maschine habe türkischen Luftraum verletzt. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte indes, das Flugzeug sei über syrischem Gebiet abgeschossen worden. Die Türkei sei in keiner Form bedroht gewesen. Der Vorfall werde ernste Konsequenzen für die Beziehungen beider Staaten haben.
dpa/rtr/epd/HA