Brüssel. “Ja, wir haben Fehler gemacht“, sagte Tsipras zu Beginn des Treffens. Nun stehe das Land am Abgrund. Der Live-Blog.

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die verlangte neue Reformliste an die Euro-Gruppe übermittelt. Jetzt wird geprüft, ob die Bedingungen der Partner und Gläubiger Griechenlands erfüllt wurden. Neue Milliarden oder Euro-Aus? Die Entwicklungen im Live-Blog bei abendblatt.de.

Debatte im griechischem Parlament hat begonnen – Tsipras muss um Stimmen aus eigenem Lager bangen

Im griechischen Parlament hat am späten Freitagabend die Debatte über das Spar- und Reformprogramm der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras begonnen. Der Regierungschef will eine Vollmacht erhalten, eine Vereinbarung mit den Gläubigern darüber abzuschließen. Die Abstimmung sollte am frühen Samstagmorgen stattfinden, berichtete das Staatsradio. Athen hatte am Vortag den Gläubigern ein rund zwölf Milliarden Euro schweres Sparpaket vorgelegt.

Er habe in den vergangenen sechs Monaten „alles Menschenmögliche getan“, um das Land ohne weitere harte Sparmaßnahmen aus der Krise zu führen, sagte Tsipras. Bei einer Ablehnung des Sparprogrammes drohe „ein Minenfeld“. Das wolle er dem Volk nicht verheimlichen. „Ja, wir haben Fehler gemacht“, fügte Tsipras hinzu. Nun stehe das Land vor dem Abgrund der Pleite.

Es wird damit gerechnet, dass das Parlament dem Regierungschef und seinem Finanzminister Euklid Tsakalotos mit eindeutiger Mehrheit die beantragte Vollmacht erteilt. Die meisten Oppositionsparteien haben angekündigt, mit „Ja“ zu stimmen. Allerdings könnte Tsipras die Regierungsmehrheit verlieren. Mehrere linke und rechtspopulistische Abgeordnete seiner Koalition lehnen die Spar- und Reformvorschläge ab.

Varoufakis fehlt bei Abstimmung

Der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis wird nicht an der Abstimmung am späten Freitagabend im Athener Parlament teilnehmen. Als Grund nannte er bei Twitter familiäre Verpflichtungen. Würde er an der Sitzung teilnehmen, würde er mit „Ja“ stimmen, hieß es. Das griechische Parlament soll darüber votieren, ob es der Regierung unter Alexis Tsipras die Vollmacht gibt, ein Abkommen mit den Gläubigern zu unterzeichnen. Griechische Medien entdeckten Varoufakis am Freitagabend auf einem Schiff, das zur Insel Egina fuhr, wo er ein Ferienhaus hat. Mit dabei waren seine Frau und seine Tochter aus erster Ehe. Die Zeitung „To Proto Thema“ berichtete weiter, ein Reporter der Zeitung sei von einem der Sicherheitsleute Varoufakis' anggriffen worden, als er den Ex-Minister fotografierte. Der Polizist und der Reporter zeigten sich gegenseitig an.

Plan: Wer sich nicht an Regeln hält, fliegt aus dem Euro

Nach einem "Spiegel"-Bericht soll das deutsche Finanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) angeregt haben, neue Regeln für widerspenstige und verschuldete Euro-Staaten zu finden. So solle in den Regeln der Währungsunion "eine Vorkehrung geschaffen werden, ein Land, das sich an keine Regel und Abmachung hält, aus dem Euro zu werfen", berichtet das Nachrichtenmagazin vorab aus seiner neuen Ausgabe.

War da was? Der DAX schließt die Woche im Plus ab

Der zweite Tag mit kräftigen Kursgewinnen an Chinas Börsen und die Hoffnung auf ein gutes Ende des griechischen Schulden-Dramas haben den deutschen Aktienmarkt am Freitag beflügelt. Der DAX sprang gleich zum Handelsstart kräftig ins Plus und behauptete bis zum Nachmittag einen Kursgewinn von 2,44 Prozent auf 11.264,50 Punkte. Damit steuert der deutsche Leitindex auf eine klar positive Wochenbilanz zu. Grexit? War da was? Griechenland habe kurz vor Toresschluss ein positives Signal ausgesendet, begründete Portfoliomanager Stefan de Schutter von Alpha Wertpapierhandel die Jubelstimmung. Größter Gewinner im DAX ist die Aktie der Deutschen Bank mit einem Plus von 4,16 Prozent auf 28,55 Euro.

Auch der Euro hat kräftig von der Hoffnung auf eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Geldgebern profitiert. Zeitweise stieg die Gemeinschaftswährung über 1,12 US-Dollar und stand am Nachmittag mit 1,1180 Dollar immer noch mehr als einen Cent höher als am Morgen.

Experten: Griechenlands Politik vernünftig, aber rätselhaft

- Das als "arbeitgebernah" geltende Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat die vielen Zugeständnisse Griechenlands an seine Gläubiger als Grundlage für einen Kompromiss im Streit um neue Finanzhilfen gewertet. Das „unter französischer Mithilfe“ entworfene Athener Reformprogramm sei „weitreichender als jene Reformagenda, die die Griechen beim Referendum am Sonntag abgelehnt“ hätten, schreibt Institut. „Abzuwarten bleibt nun, ob das griechische Parlament seinem Regierungschef das Mandat erteilt“, auf dieser Basis neue Finanzhilfen auszuhandeln. Alexis Tsipras' Vorschläge kämen „in fast allen umstrittenen Punkten“ von der Erhöhung der Mehrwertsteuern über Privatisierungen und die Rentenreform bis hin zur Kürzung der Militärausgaben den Geldgebern entgegen. Das im Gegenzug geforderte dreijährige Hilfsprogramm über 53 Milliarden Euro würde Wirtschaftsakteuren in Griechenland die grassierende Unsicherheit nehmen, erklärte das IW. Es begrüßte zudem, „dass die Unternehmenssteuern nur verhältnismäßig gering erhöht werden“ sollen. Es bleibe „ein Rätsel, weshalb Griechenland fast wortwörtlich Reformvorschläge übernimmt, gegen die sich das Land monatelang gesträubt“ habe.

Juncker spricht mit Geldgeber-Spitzen über Athener Vorschläge

Die neuen Athener Spar- und Reformvorschläge führen zu intensiven Beratungen unter Spitzenvertretern der Geldgeber. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker werde in einer Telefonkonferenz mit IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sprechen, teilte ein Kommissionssprecher am Freitag in Brüssel mit. Er äußerte sich nicht im Detail zu den Vorschlägen.

Es wäre unverantwortlich, eine Einschätzung zu geben, während die Kommission, die Europäischen Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) den Vorschlag prüften. Die Bewertung der drei Geldgeber-Institutionen soll noch im Laufe des Tages an die Eurogruppe übermittelt werden. Diese wird am Sonnabend bei einem Sondertreffen darüber beraten.

Noch kein Antrag auf Griechenland-Sondersitzung

Das Finanzministerium will den EU-Sondergipfel zur finanziellen Rettung Griechenlands am Sonntag in Brüssel abwarten, bevor es einen Antrag auf Sondersitzung des Bundestags stellt. Ministeriumssprecher Martin Jäger sagte am Freitag in Berlin, wie schon in der Vergangenheit werde das Ressort von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen entsprechenden Antrag stellen, um das deutsche Parlament mit Ergebnissen der EU zu befassen.

Der Sondergipfel in Brüssel soll über die Aufnahme von Verhandlungen über ein weiteres Hilfspaket für das hoch verschuldete Land im Rahmen des Euro-Rettungsschirms ESM entscheiden. Einer Einigung auf EU-Ebene muss der Bundestag aber zustimmen. Die Parlamentarier sind seit einer Woche in der Sommerpause.

Das Wirtschaftsministerium betonte, dass Minister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) trotz einer lange geplanten China-Reise in der nächsten Woche für alle entscheidenden Gespräche in Berlin zur Verfügung stehe. Die Reise werde stattfinden. Das Ministerium ließ aber offen, ob Gabriel sie selber antreten oder sich vertreten lassen wird.

Die oppositionellen Grünen fordern in jedem Fall eine Sondersitzung des Bundestags - entweder, um über die Aufnahme von Verhandlungen oder über die Konsequenzen im Falle eines Scheiterns der EU-Bemühungen um Griechenland zu beraten.

Berlin fordert sofortige Reformschritte im griechischen Parlament

Die Bundesregierung drängt das griechische Parlament zu Reformschritten schon an diesem Freitagabend. „Gut wären erste Schritte in Richtung Gesetzgebung“, sagte der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Jäger, in Berlin. Das griechische Parlament tritt am Freitagabend zusammen.

Eine inhaltliche Bewertung der von Athen fristgerecht am Donnerstagabend vorgelegten Reformvorschläge zur Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm gab die Bundesregierung nicht ab. Jäger sagte jedoch, es wäre sicher nicht ausreichend, die griechischen Vorschläge von Ende Juni nur neu zu verpacken.

Ebenso wie Regierungssprecher Steffen Seibert schloss Jäger einen Schuldenschnitt für Griechenland erneut aus. Auch bei einer Umstrukturierung komme es nicht in Frage, den Barwert der Schulden zu senken, sagte Jäger.

Chronologie der Griechenland-Krise

März 2010

Das Parlament in Athen verabschiedet ein erstes massives Sparprogramm, das unter anderem Steuererhöhungen sowie das Einfrierender Renten vorsieht. Massenproteste folgen. Die Eurostaaten sagen ein erstes Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds(IWF) zu.

April/Mai 2010

Griechenland beantragt offiziell ein Hilfsprogramm. Die Eurogruppe beschließt Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs.

Oktober 2011

Ein zweites Rettungspaket wird beschlossen:Griechenlands private Gläubiger sollen freiwillig einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen. Zudem soll es Kredithilfen von 100 Milliarden Euro geben und Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird.

Februar/März 2012

Das griechische Parlament stimmt einem weiteren Sparpaket zu, das auf Druck der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft wird.

November 2012

Athen billigt abermals ein Sparpaket als Voraussetzung für weitere Hilfen. Ein drittes Rettungspaket ist im Gespräch. Die Eurogruppe signalisiert, dass weitere Hilfen möglich sind - aber erst, wenn das laufende Hilfsprogramm erfolgreich beendet wird.

Juli 2013

Und wieder muss Athen neuen Sparmaßnahmen zustimmen. Siesehen unter anderem die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten vor. Bei weiteren 25 000 Beamten werden die Einkommen gekürzt.

Januar 2015

Die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras gewinnt die Parlamentswahl. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung desvereinbarten Sparkurses.

Februar 2015

Die Euro-Finanzminister verlängern das - bereits einmal verlängerte - Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.

März 2015

Athen legt eine Liste mit Reformen vor, die pro Jahr drei Milliarden Euro einbringen sollen. Es geht vor allem um den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Die internationalen Geldgeber halten die Liste für unzureichend und verlangen Nachbesserungen.

Mai 2015

Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Die Finanznot in Athen wird immer größer. Die Regierung sucht nach Geld, um Kreditschulden beim Internationalen Währungsfonds bezahlen zu können.

Juni 2015

Der IWF erlaubt Griechenland, insgesamt vier im Juni fällige Kredite erst Ende des Monats zurückzuzahlen. Athen legt neue Reformvorschläge vor, Krisentreffen auf Spitzenebene bleiben aber ergebnislos. Tsipras schlägt überraschend vor, das griechische Volk über die Sparvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen und wirbt für ein negatives Votum. Die Eurogruppe erklärt die Verhandlungen für gescheitert, das Hilfsprogramm wird nicht verlängert.

13. Juli 2015

Der Grexit ist vorerst abgewendet. Beim Euro-Gipfel in Brüssel einigen sich die Regierungschefs mit Griechen-Premier Alexis Tsipras auf ein Reform- und Sparprogramm. Der Finanzbedarf der Griechen wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren taxiert. Die Parlamente in den Euro-Ländern müssen noch zustimmen.

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Österreichs Kanzler sieht „Chance auf Einigung“

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hat sich am Freitag vorsichtig optimistisch für eine Lösung im Schuldenstreit mit Griechenland gezeigt. „Es gibt noch kein Ergebnis, aber die Chance auf eine Einigung besteht und diese Chance muss auch ernsthaft genutzt werden“, sagte Faymann am Freitag, wie die Nachrichtenagentur APA berichtete. „Wir dürfen nicht vergessen, von dieser Krise sind die Ärmsten der griechischen Bevölkerung betroffen. Deshalb ist es unsere Verpflichtung, diese letzte Möglichkeit konstruktiv zu nutzen“, sagte Faymann.

Dijsselbloem zurückhaltend: Vorschläge Athens erst prüfen

Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat sich zurückhaltend zum griechischen Spar- und Reformplan geäußert. Auf die Frage, ob es Hoffnung auf eine Lösung der Krise gebe, sagte der niederländische Finanzminister: „Das kann ich noch nicht sagen.“ Inhaltlich wollte er sich weder zu den Vorschlägen noch zum Umfang eines möglichen neuen Hilfspaketes für Griechenland äußern.

Athen habe einen „umfassenden Text“ vorgelegt, sagte Dijsselbloem am Freitag in Den Haag. „Aber dessen Qualität muss sich erst noch erweisen“. Die Vorschläge würden nun von den Geldgeber geprüft. „Dabei müssen wir schauen, ob das tatsächlich zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Struktur führt.“

Eine Zustimmung des griechischen Parlaments zum Spar- und Reformplan bewertete er als „sehr hilfreich“. „Wenn es breite Unterstützung dafür in Griechenland gibt, erhöht das die Glaubwürdigkeit“, sagte der Sozialdemokrat.

Bei grünem Licht für Griechen-Vorschlag kein Euro-Gipfel?

Wenn die Euro-Finanzminister am Samstag grünes Licht für die griechischen Vorschläge geben, ist kein Euro-Gipfel am Sonntag mehr nötig. „Falls sich die Eurogruppe einigt am Samstag, dann ist die klare Botschaft, brauchen wir keinen Euro-Gipfel“, sagte ein Verantwortlicher der Euro-Zone am Freitag in Brüssel. Damit bezog er sich nur auf das Treffen der 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder, aber nicht auf den ebenfalls für Sonntag geplanten Gipfel aller 28 EU-Staaten.

Auswärtiges Amt warnt Griechenland-Urlauber

Griechenland-Urlauber sollten alle benötigten Medikamente in ausreichender Menge aus Deutschland mitnehmen. Wegen der andauernden Schließung der griechischen Banken könne es auch zu Engpässen bei der Versorgung mit importierten Medikamenten kommen, schreibt das Auswärtige Amt in seinem aktualisierten Reisehinweis für Griechenland. Die Banken in dem beliebten Urlaubsland haben seit dem 29. Juni geschlossen. Mit ausländischen Bankkarten lässt sich aber weiterhin Bargeld am Automaten abheben. Allerdings könne es zu erheblichen Wartezeiten und Engpässen kommen, erklärt die Behörde (www.auswaertiges-amt.de).

Hollande nennt griechische Reformvorschläge seriös

Die neuen griechischen Vorschläge zur Überwindung der Krise im Land sind aus Sicht des französischen Präsidenten François Hollande „seriös und glaubwürdig“. Gleichzeitig betonte der Staatschef, es sei noch nichts erledigt. Die kommenden Stunden seien entscheidend, sagte Hollande am Freitag in Paris.

Die Gespräche müssten mit dem Willen weitergeführt werden, zu einem Abschluss zu kommen. Frankreich werde alles für eine gute Vereinbarung tun, die die europäischen Regeln respektiere. Die Griechen hätten ihre Entschlossenheit gezeigt, in der Euro-Zone zu bleiben. Hollande sagte, die Griechen müssten verstehen, dass Reformen unumgänglich seien.

Ergo zieht Übernahme in Griechenland in Zweifel

Der Versicherer Ergo stellt angesichts der verschärften Griechenland-Krise die geplante Übernahme des Versicherers ATE auf den Prüfstand. Ergo stehe mit dem Verkäufer des griechischen Unternehmens in engem Kontakt und sondiere mögliche Auswirkungen der veränderten politischen Situation, sagte ein Sprecher des Unternehmens am Freitag. Bei dem schon 2014 angestoßenen Kauf habe Ergo wie üblich ein Rücktrittsrecht. Es sei möglich, dass der Konzern davon Gebrauch mache. Wenn Griechenland wirtschaftlich und politisch stabil bleibe, wolle man den Kauf aber umsetzen.

Der Ergo-Konzern, der zum weltgrößten Rückversicherer Munich Re gehört, will ATE eigentlich für 90 Millionen Euro von der griechischen Piraeus Bank übernehmen. Über den möglichen Rückzieher hatte die „Wirtschaftswoche“ zuerst berichtet. Mit der Übernahme würde Ergo nach früheren Angaben zum größten Schaden- und Unfall-Versicherer in Griechenland. Dass die Übernahme bisher noch nicht vollzogen wurde, liegt an noch ausstehenden Genehmigungen der Behörden.

Börsen durch Griechenland-Hoffnung beflügelt

Weitere kräftige Kursgewinne an Chinas Börsen und die Hoffnung auf ein gutes Ende des Griechen-Dramas haben den deutschen Aktienmarkt am Freitag nach oben katapultiert. Der Dax gewann in der ersten Stunde 1,91 Prozent auf 11 205,94 Punkte. Bis zur Wochenmitte hatten die Unsicherheit aus dem Schuldenstreit Griechenlands mit seinen Geldgebern und Sorgen um die Entwicklung an den chinesischen Märkten den Leitindex belastet.

Der MDax der mittelgroßen Werte kletterte wieder über die 20 000-Punkte-Marke um 1,47 Prozent auf 20 103,11 Punkte. Das Technologiewerte-Barometer TecDax legte um 2,59 Prozent auf 1688,11 Punkte zu. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 gewann 2,33 Prozent hinzu.

Griechenland habe seine Sparvorschläge nach Brüssel geschickt und kurz vor Toresschluss ein positives Signal ausgesendet, begründete Portfoliomanager Stefan de Schutter von Alpha Wertpapierhandel die gute Stimmung. Nach dem Eingang der neuen Reformliste aus Athen müssen jetzt die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) die Vorschläge prüfen. Alle Augen starren dann am Sonntag auf den Sondergipfel der Euro- und EU-Staaten.

SPD-Fraktionsvize: Neue Sparliste „wichtiger Fortschritt“

Der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer hat die neue Liste mit Reformvorschlägen aus Athen positiv beurteilt. Das Papier sei „ein wichtiger Fortschritt, weil sich sowohl die Regierung als auch die wichtigsten Oppositionsparteien darauf verständigt haben“, sagte Schäfer am Freitag im Südwestrundfunk (SWR). Auf die Frage, ob die Liste den Gläubigern reichen werde, sagte er: „Ich hoffe doch.“ Griechenland müsse unter den europäischen Rettungsschirm kommen. „Das heißt, es braucht neue finanzielle Maßnahmen, die dann über einen sehr, sehr langen Zeitraum zurückzuzahlen sind.“

Schäfer ging davon aus, dass eine Mehrheit für ein drittes Hilfspaket für Griechenland im Bundestag zustande kommen werde. Allerdings werde es einfacher sein, die Zustimmung der SPD-Abgeordneten als die der Union zu bekommen.

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt plädierte für eine Anpassung der EU-Regeln, um Griechenland helfen zu können, in der Eurozone zu bleiben. „Ich bin dafür, dass die Regeln eingehalten werden müssen - aber dann, wenn sie eingehalten werden können“, sagte sie in der ZDF-Sendung „maybrit illner“ am Donnerstagabend. „Manche Regeln müssen in so einer Situation auch angepasst werden.“

Lettlands Regierungschefin sieht Bedenken für Griechenlandhilfe

Die lettische Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma sieht grundsätzlich Bedenken in ihrem Land für ein neues Hilfspaket für das pleitebedrohte Griechenland. „Für mich wird es sehr schwer werden, das Parlament davon zu überzeugen. Und für das Parlament wird es schwer werden zuzustimmen“, sagte sie am Freitag in einem Interview des Deutschlandfunks, das am Donnerstag vor Eingang der Athener Reformvorschläge aufgezeichnet worden war. Die durchschnittlichen Renten in Lettland seien bedeutend niedriger als in Griechenland. Wenn man die Letten fragen würde, ob sie Athen Geld leihen würden, könne man sich die Antwort vorstellen, sagte sie.

Scholz verteidigt Gabriels Griechenland-Kurs

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz hat parteiinterne Kritik am Griechenland-Kurs von Parteichef Sigmar Gabriel zurückgewiesen. „Die Kanzlerin und der Vizekanzler suchen einen Weg zu helfen, der die europäischen Prinzipien nicht verletzt“, sagte Scholz der „Welt“ (Freitag). „Es geht um Solidarität und um Klarheit. Die Kombination aus beidem ist die Aufgabe der Stunde.“

Auf die Frage, ob er Gabriel als Brückenbauer wahrnehme, entgegnete Scholz: „Was sonst?“ Der Unmut in der SPD hatte sich unter anderem an Gabriels Aussage entzündet, dass die griechische Regierung mit dem Referendum „letzte Brücken“ zu einem Kompromiss eingerissen habe. Mehrere Sozialdemokraten hatten dies als nicht nachvollziehbar kritisiert und ihm vorgeworfen, in der Krise zu zündeln statt Brücken zu bauen.

Auch Ex-Parteichef Kurt Beck warnte seine Parteifreunde. Er halte das derzeitige „Gemäkel für absolut falsch und abträglich“, sagte Beck dem Berliner „Tagesspiegel“ (Freitag). „Da sollte sich jeder mal zusammenreißen.“ Zugleich trat Beck dem Eindruck entgegen, in der SPD formiere sich breiter Widerstand gegen Gabriel: „Das sind allenfalls ein paar Einzelne, die die Dinge nicht abwägen“, sagte er. Die SPD habe aus den häufigen Wechseln an der Spitze gelernt. Dies müsse aber „auch beibehalten werden“.

Skepsis gegenüber Athens Reformvorschlägen in Unionsfraktion

Die beiden stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionschefs Ralph Brinkhaus und Hans-Peter Friedrich zweifeln nach der Vorlage der griechischen Reformvorschläge an der Glaubwürdigkeit der Athener Regierung. Die Pläne beinhalteten anscheinend genau das, was die Griechen beim Referendum am vergangenen Sonntag abgelehnt hätten, sagte Brinkhaus (CDU) am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Athener Regierung habe zuletzt in einer Kampagne alles verdammt, was sie nun vorlege. „Insofern stellt sich wirklich die Frage auch nach der Glaubwürdigkeit.“ Auch Friedrich (CSU) nannte es im Deutschlandfunk merkwürdig, dass Vorschläge gemacht würden, die im Referendum abgelehnt worden seien. „Das heißt, jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die griechische Regierung trickst ihr eigenes Volk aus. Oder wieder mal uns.“

Reformen bei Renten und Mehrwertsteuer?

Nach einer Reformliste, die der dpa vorliegt, will die griechische Regierung nun unter anderem die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für Inseln abschaffen. Auch beim Thema Renten schraubte Athen frühere Forderungen herunter. So will die Regierung unter dem linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras das gesetzliche Rentenalter grundsätzlich früher als ursprünglich angeboten auf 67 Jahre anheben. Auch die Militärausgaben sollen sinken, allerdings nicht so stark wie zuletzt von den Gläubigern verlangt.

In vielen Punkten entspricht das Athener Schreiben genau dem letzten Kompromissangebot der Gläubiger von Ende Juni. Doch dieses Angebot ist mit dem Abbruch der Verhandlungen vor dem griechischen Referendum am vergangenen Wochenende ausgelaufen. Brüsseler Diplomaten betonen mittlerweile, inzwischen seien zusätzliche Anstrengungen nötig geworden. Denn die Lage des Krisenlandes habe sich wegen geschlossener Banken und Kapitalverkehrskontrollen dramatisch verschlechtert, berichteten Diplomaten am Donnerstag in Brüssel.

Zudem packt die Regierung allerdings erneut ein heißes Eisen an. Nach einem Begleitschreiben will Athen auch eine Regelung zum Umgang mit seinen Schulden. Schuldenschnitte lehnt unter anderem die Bundesregierung bisher jedoch strikt ab. Zudem hofft die Regierung in Athen auf ein Wachstumspaket von 35 Milliarden Euro.

Athen muss im Juli noch 4,2 Milliarden Euro berappen

Bereits am Mittwoch hatte Athen beim europäischen Rettungsfonds ESM ein drittes Hilfspaket mit drei Jahren Laufzeit beantragt. Dabei hofft die Regierung nach griechischen Medienberichten auf wenigstens 53,3 Milliarden Euro.

Die Hoffnung auf eine baldige Entschärfung der Schuldenkrise bleibt durch die fristgerechte Vorlage vorerst am Leben. Fällt das präsentierte Reformpaket zur Zufriedenheit der Geldgeber aus, könnten sie ein neues Hilfsprogramm und eine Zwischenfinanzierung gewähren. Allein im Juli muss Athen seinen Gläubigern 4,2 Milliarden Euro zurückzahlen, ohne frisches Geld droht somit der „Grexit“.

Die Vorschläge aus Athen müssen nun zunächst von Experten der EU-Kommission, Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgewertet werden. Am Sonnabend könnten die Euro-Finanzminister dann bei einem Treffen in Brüssel grünes Licht geben. Nur wenn sie das Programm für zustimmungsfähig erachten, könnte wiederum ein doppelter Sondergipfel der Euro- und EU-Staaten am Sonntag den Weg für ein weiteres Hilfspaket ebnen. (dpa/HA)