Odessa. In Odessa gedenken die Menschen der 48 Toten, die bei dem verheerenden Brand vor einem Jahr ums Leben kamen. Ermittlungsergebnisse gibt es noch immer nicht.

In der südukrainischen Hafenstadt Odessa ist am Sonnabend der 48 Menschen gedacht worden, die am 2. Mai 2014 als Folge des Konflikts zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung in Kiew getötet wurden. 42 Todesopfer waren prorussische Aktivisten. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen fanden in der mehrheitlich russischsprachigen Stadt zwei getrennte Gedenkveranstaltungen statt. Auf dem Kulikowe-Pole-Platz gedachten die Gegner der ukrainischen Regierung der 42 Menschen, die versucht hatten, sich zusammen mit etwa 350 anderen vor rechten Angreifern in das dortige Gewerkschaftshaus zu flüchten. Die meisten starben an Erstickungen oder Verbrennungen, nachdem das Gebäude - offenbar von Kiew-Anhängern - mit Brandbomben beworfen wurden. Einige fanden den Tod, als sie aus den Fenstern sprangen, um den Flammen zu entkommen.

Die Polizei riegelte den Platz ab. Wer Blumen vor dem Gewerkschaftshaus niederlegen wollte, wurde ausführlich kontrolliert und musste seinen Ausweis vorzeigen. Gepanzerte Fahrzeuge des Innenministeriums und bewaffnete Sicherheitskräfte waren in der Nähe postiert. „Das darf sich nie wiederholen. Unsere Stadt war stets sehr tolerant gegenüber Menschen aller Ethnien und Religionen“, sagt die 50-jährige Natalja.

Der 60-jährige Rodion macht für die Tragödie vor einem Jahr den Westen verantwortlich. Dieser habe den Umsturz im Februar 2014 unterstützt , durch den die jetzige prowestliche Regierung an die Macht gelangt sei. „Schuldig sind die USA, Frankreich und Deutschland. Sie haben das alles finanziert“, sagt der Rentner, der seinen Nachnamen nicht nennen will.

Die Demonstranten auf dem Platz rufen in Sprechchören: „Kein Vergeben und kein Vergessen!“ und „Odessa ohne Faschismus!“ Als Zeichen ihrer Trauer lassen sie schwarze Ballons in die Luft steigen.

Noch keine Ermittlungsergebnisse

Auf dem Soborna-Platz im Stadtzentrum haben sich die Gegner der prorussischen Aktivisten mit blau-gelben Ukraine-Fahnen versammelt. Sie betrauern sechs regierungstreue Demonstranten und Fußballfans, die einige Stunden vor dem Inferno im Gewerkschaftshaus von prorussischen Aktivisten angegriffen worden waren. „Seit einem Jahr versuchen sich die Einwohner von Odessa zu versöhnen. Wir werden es schaffen. Vorausgesetzt , dass „die Russen“ unsere Anstrengungen nicht hintertreiben“, sagt Mark Gordjenko, ein Anhänger der Regierung in Kiew.

Das Ergebnis der offiziellen Ermittlungen zu den Vorfällen lässt auf sich warten. Der Polizei wird vorgeworfen, das Drama nicht verhindert zu haben. Einer der Polizeichefs von Odessa, Dmytro Futschedschi, tauchte wenige Tage nach dem Drama unter. Er war des Amtsmissbrauchs und der Fahrlässigkeit beschuldigt worden. Die Odessaer Generalstaatsanwaltschaft brauchte ein ganzes Jahr, bis sie am Samstag Anklage gegen den damaligen regionalen Polizeichef Petro Luzjuk erhob.

In der Ostukraine bekämpfen sich seit mehr als einem Jahr prorussische Rebellen und ukrainische Soldaten sowie mit ihnen verbündete rechte „Freiwilligenbataillons“. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts wurden Schätzungen zufolge bereits mehr als 6000 Menschen getötet. Mitte Februar einigten sich beide Seiten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk auf einen Friedensplan, der unter anderem eine Waffenruhe und den Abzug schwerer Waffen vorsieht. Seitdem sind die Gefechte in der Ostukraine deutlich abgeflaut, auch wenn es immer wieder Tote auf beiden Seiten gibt. Odessa blieb von dem Konflikt bislang verschont, aber die Spannungen in der Stadt am Schwarzen Meer sind unverkennbar.

Die Organisatoren Black Lawyers for Justice (Schwarze Anwälte für Gerechtigkeit) erwarteten mindestens 10 000 Demonstranten am zentralen Kundgebungsplatz am Rathaus in der Innenstadt. Gruppen von Demonstranten zogen aus verschiedenen Richtungen dorthin.

Ein schnelles Vorgehen der Anklagebehörde hatte die explosive Lage in dem nach dem Tod eines jungen Schwarzen im Polizeigewahrsam von Unruhen erschütterten Baltimore beruhigt. Staatsanwältin Marilyn Mosby teilte am Freitag mit, sie klage die sechs im Fall Freddie Gray beteiligten Polizisten schwerer Straftaten von bedingtem Mord bis Körperverletzung und Freiheitsberaubung an. Wut und Empörung in der seit Grays Tod von Unruhen erschütterten Stadt schlugen in Erleichterung und Genugtuung um.