Weil der Blackberry-Hersteller RIM angekündigt hat, die Polizei bei der Aufklärung der Krawallen in London “so gut wie möglich“ zu unterstützen, haben Hacker den firmeneigenen Blog gehackt. Der Blackberry-Messenger dient den Plünderern und Randalierern zur Organisation der Unruhen. Unterdessen wurden die Länderspiele wegen der Krawallen in London abgesagt.

London. Tote und Verletzte, Plünderungen und mehr als 500 Festnahmen – ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen wird London von den schwersten Krawallen seit Jahrzehnten erschüttert. Mehrere Sportveranstaltungen wurden deswegen mittlerweile abgesagt, darunter das Fußball-Länderspiel zwischen England und den Niederlanden. Für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr sollen die Ausschreitungen allerdings keine Folgen haben, wie führende Sportfunktionäre am Dienstag beteuerten.

Begonnen hatten die Unruhen in der Nacht zu Sonntag in Londons Problemviertel Tottenham. Dort war zwei Tage zuvor der 29 Jahre alte Mark Duggan von einem Polizisten erschossen worden.

Für das Länderspiel zwischen England und den Niederlanden, das am Mittwoch im Wembley-Stadion stattfinden sollen, waren bereits rund 70.000 Karten verkauft. Der englische Fußballverband FA erklärte, man bedauere die Absage der Partie. „Es ist eine Schande“, sagte die Sprecherin des niederländischen Fußballverbandes, Monique Kessel.

Der ghanaische Fußballverband teilte mit, dass das für Dienstagabend in Watford nahe London angesetzte Testspiel zwischen Ghana und Nigeria nicht stattfinden werde. Zudem musste ein Beachvolleyball-Turnier, eine Testveranstaltung für die Olympischen Spiele, wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig abgebrochen werden. „Wir wollen nicht, dass die freiwilligen Helfer – einige darunter sind 13 oder 14 Jahre alt – möglicherweise einer Gefahr ausgesetzt werden, sagte Angelo Squelo, Direktor des internationalen Beachvolleyball-Verbandes.

Rooney: “Hört auf damit!"

Zuvor waren auf Bitten der Polizei drei für Dienstag angesetzte Begegnungen des League Cup abgesagt worden. Die Pokalspiele Charlton gegen Reading, West Ham gegen Aldershot und Crystal Palace gegen Crawley wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Der erste Spieltag der Premier League am Wochenende soll aber wie geplant stattfinden. Englands Nationalstürmer Wayne Rooney rief via Twitter zur Beendigung der Gewalt in Englands Hauptstadt auf. “Diese Unruhen sind verrückt. Warum tun die Menschen das ihrem eigenen Land an. Ihrer eigenen Stadt", schrieb der 25-Jährige und fügte an: “Das ist eine Schande für unser Land. Hört auf damit!" Verteidiger Rio Ferdinand bezeichnete die Ausschreitungen als “Wahnsinn" und warf die Frage auf, ob nicht Soldaten auf den Straßen Londons für Sicherheit sorgen sollten.

Vesper: “Werden das in den Griff kriegen"

Die Krawalle und deren Auswirkungen auf den Sport stehen auch deshalb in einem besonderen Fokus, weil in London im nächsten Jahr die Olympischen Sommerspiele stattfinden werden. “Wir haben uns detailliert mit der Situation und den Sicherheitsplänen beschäftigt, und wir werden die Arbeit auch fortsetzen„, ließ das Organisationskomitee in einer Mitteilung verlauten. Allerorts sind die Organisatoren des Sports nun damit beschäftigt, Fragen nach möglichen Folgen auf die Sommerspiele im nächsten Jahr gar nicht groß aufkommen zu lassen.

So reagierte man beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) am Dienstag noch gelassen. “Ich sehe nicht, dass die aktuellen Ereignisse Auswirkungen auf Olympia haben könnten. Die Sicherheit genießt im olympischen Programm Priorität Nummer eins„, sagte DOSB-Generalsekretär Michael Vesper der Nachrichtenagentur dapd und ergänzte: “Die Sicherheitsbehörden werden das in den Griff kriegen. London ist eine sichere Stadt.„ Vesper hält sich von Montag bis Freitag selbst in London auf. Der 59-Jährige nimmt an dem Chef-de-Mission-Seminar teil, das traditionell ein Jahr vor den Olympischen Spielen in der Gastgeberstadt stattfindet. Er selbst habe von den Ausschreitungen nichts mitbekommen, erzählte Vesper.

“Wir bekommen von den Vorgängen gar nichts mit"

Auch Martin Kranitz, der Sportdirektor des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV), äußerte sich in die gleiche Richtung: “Wir selbst bekommen von den Vorgängen gar nichts mit. Wir waren nur heute Morgen kurz verwirrt, weil das Fußball-Länderspiel der Engländer gegen Holland abgesagt wurde."

IOC-Sprecher Mark Adams erklärte, dass er “glücklich darüber sei, wie die örtlichen Einsatzkräfte mit der Situation umgehen". England trifft intensive Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld der Olympischen Spiele, wenngleich das Hauptaugenmerk auf die Gefahr eines terroristischen Anschlages ausgerichtet ist – und nicht auf Randale. Über 12.000 Polizisten werden während der Olympischen Spiele im Einsatz sein.

Der BlackBerry-Hersteller RIM ist Ziel einer Cyber-Attacke geworden, nachdem er im Zuge der Krawallen in London eine Kooperation mit der Polizei ankündigte. "Sie werden der Polizei nicht helfen“, forderten die Hacker am Dienstag mit ihrem Eintrag, der Mittags zeitweise auf der Konzernseite blogs.blackberry.com zu sehen war.

Der Blog war am Abend nicht mehr zu erreichen. Im Internet und auf Fachblogs kursierten jedoch Fotos von der gehackten Seite. Ein RIM-Sprecher bestätigte überdies dem "Guardian“ diesen Vorfall.

Randalierer stimmen sich über BlackBerry ab

Am Montag hatte die kanadische Firma RIM in einem offiziellen Profil auf dem Kurznachrichtendienst Twitter vage angekündigt, die Behörden in London „so gut wie möglich zu unterstützen“. Die Krawalle in der britischen Hauptstadt wurden zuletzt vor allem mit Mitteilungen über den „BlackBerry Messenger“ koordiniert. Am Dienstag kam ein erster Beteiligter bei den Unruhen ums Leben, bei denen auch Geschäfte brannten.

Die Hacker befürchteten, die Ermittler könnten Verbindungsdaten für das Chat-System „BlackBerry Messenger“ erhalten. Sie mahnten, dann könnten letztlich auch „unschuldige Bürger, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, für nichts bestraft werden“.

"Wir haben Zugang zu Ihrer Datenbank“

Eine Weitergabe der Verbindungsdaten würde RIM bedauern, schrieben die Hacker: „Wir haben Zugang zu Ihrer Datenbank, Angaben zu Angestellten inklusive.“ Sie drohten konkret mit einer Veröffentlichung. Ob sie diese Daten wirklich kopiert hatten, blieb zunächst offen.

Großbritannien unter Schock

Die Londoner Krawalle haben ein erstes Menschenleben gekostet und breiten sich wie ein Flächenbrand auch auf andere englische Städte aus. Nach drei Nächten der Gewalt soll jetzt ein massives Aufgebot von 16 000 Polizisten auf den Straßen der Millionen-Metropole für Ruhe und Sicherheit sorgen. Der aus dem Italien-Urlaub zurückgeeilte Premierminister David Cameron berief für Donnerstag eine außerplanmäßige Sitzung des Parlaments ein und drohte zugleich den Randalierern mit harter Hand.

"Wer alt genug ist, Straftaten zu begehen, ist auch alt genug, um bestraft zu werden“, sagte der Regierungschef am Dienstag. Bis zum Nachmittag waren weit mehr als 500 Randalierer festgenommen worden. Die Arrestzellen im Stadtgebiet waren schon überfüllt. "Wir werden alles tun, um die Ordnung wieder herzustellen“, versprach Cameron, der auch alle Polizisten aus dem Urlaub zurückrief. Im Vergleich zum Montag verdreifachte sich fast die Zahl der Einsatzkräfte auf der Straße.

Mit zahlreichen brennenden Wohnhäusern, Lagerhallen und Geschäften sowie hunderten zerbrochenen Schaufensterscheiben war die Nacht zum Dienstag die bisher schwerste Krawallnacht. Es gab Berichte über Gewalt, Brände und Plünderungen aus acht Stadtvierteln der Millionen-Metropole: von Ealing im Westen bis Hackney im Osten, von Croydon im Süden bis Camden im Norden. Ein 26-jähriger Mann erlag im Krankenhaus seinen Schussverletzungen, nachdem Beamte ihn am Montag im Londoner Stadtteil Croydon schwer verletzt aus einem Auto gezogen hatten.

Die britischen Zeitungen titelten mit einem Bild, auf dem eine Frau aus dem Obergeschoss eines brennenden Gebäudes in die Arme von Rettern springt. Augenzeugen bedachten die Bilder immer wieder mit Vergleichen wie "Kriegsgebiet“ und "Bürgerkrieg“. So etwas habe London seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt, kommentierte eine BBC-Reporterin.

Die Randale war am Samstag im nördlichen Londoner Stadtteil Tottenham ausgebrochen und hatte sich in den vergangenen Tagen immer weiter ausgebreitet. In der Nacht zu Dienstag gab es erstmals auch Ausschreitungen in Liverpool, Birmingham und Bristol. Auslöser war der Tod eines 29 Jahre alten, dunkelhäutigen Familienvaters, der unter ungeklärten Umständen von der Polizei erschossen worden war. Eine erste Anhörung ergab am Dienstag lediglich, dass der Mann durch einen Schuss in die Brust gestorben war.

Die Polizei war mit der Randale in der Nacht völlig überfordert. Scotland Yard beschrieb die Gewalt als die „Schlimmste in der jüngeren Geschichte“. Das Sicherheitskabinett entschied sich trotz zahlreicher anderslautender Aufrufe aus Polizei und Militär aber dafür, die Polizeitaktik nicht zu ändern und weitgehend passiv zu bleiben. Armee und Wasserwerfer sollen nicht zum Einsatz kommen. Allerdings erwägt die Polizei inzwischen den Einsatz von Gummigeschossen.

"Steht nicht bloß herum!“, hatte der "Daily Telegraph“ zuvor über einem Bild von Polizisten geschrieben, die vor einem brennenden Haus stehen. "Das ist nicht die Art, wie wir in Großbritannien Polizeiarbeit machen“, konterte Innenministerin Theresa May. Die Beamten hatten vor allem Probleme mit den Jugendlichen, weil sie sich als "kleine und mobile“ Gruppen über Internet und Smartphones organisierten und schnell von einem Ort zum nächsten weiterzogen.

Cameron sagte, es sei noch mit deutlich mehr Festnahmen zu rechnen. Scotland Yard veröffentlichte im Internet eine Liste mit Fotos von Tatverdächtigen. Die Polizei erhofft sich Hinweise aus der Bevölkerung. Am Nachmittag traf sich Cameron mit Polizisten und Feuerwehrleuten im schwer betroffenen Stadtteil Croydon.

Bei der Ursachenforschung tappt die Politik noch völlig im Dunkeln. Der Leiter des Londoner Zentrums für Soziale Gerechtigkeit, Gavin Poole, machte die Lebensumstände einer ganzen Generation vernachlässigter Jugendlicher für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich: "Sie glauben, dass sie nichts zu verlieren haben und niemandem Rechenschaft schuldig sind.“

Polizeioffizier Stephen Kavanagh erklärte, das Profil der Krawallmacher habe sich seit Beginn der Ausschreitungen am Wochenende geändert. Während in den ersten beiden Nächten vor allem 14- bis 17-Jährige beteiligt gewesen seien, hätten in der Nacht zum Dienstag Gruppen älterer Randalierer mit Autos die Plünderungen organisiert.

In London bereiten sich die Bürger unterdessen auf eine erneute Nacht mit Krawallen vor. In zahlreichen Teilen der Stadt schlossen Einkaufszentren und Läden vorzeitig. Als vorbeugende Maßnahme wurden außerdem mehrere Fußballspiele verschoben. Der englische Fußball-Verband (FA) sagte das für Mittwoch geplante Freundschaftsspiel der Engländer gegen die Niederlande ab. In der Nacht waren bereits zwei für Dienstag geplante Spiele des englischen Ligapokals verschoben worden. (abendblatt.de/dapd/dpa)