Schon jetzt gibt es mehr Opfer als im bislang blutigsten Jahr 2009. US-General David Petraeus stellt Obamas Rückzugsplan infrage.

Washington. Es ist ein düsterer Rekord, den US-Präsident Barack Obama mitten im Sommer notieren muss: Nach Angaben der unabhängigen Website icasualties.org starben seit der US-geführten Invasion Ende 2001 insgesamt 2002 Nato-Soldaten in Afghanistan, darunter allein 1226 US-Streitkräfte und 331 Soldaten des zweitgrößten Truppenstellers Großbritannien. Der Afghanistan-Kommandeur der Nato, David Petraeus, relativierte unterdessen den Zeitpunkt für den Beginn des US-Truppenabzugs – und stellte sich womöglich gegen Obama, der ihn erst vor Kurzem geholt hatte .

Laut icasualties.org starben allein in diesem Jahr bereits 434 Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf. Im bislang blutigsten Jahr 2009 waren es insgesamt 521. Für die US-Armee war der Juli 2010 mit 66 getöteten Soldaten der bislang blutigste Monat seit Beginn des Einsatzes. Derzeit sind am Hindukusch noch mehr als 140.000 ausländische Soldaten im Einsatz.

Die neue Afghanistan-Strategie von US-Präsident Obama sieht den Beginn des Truppenabzugs für Juli 2011 vor. Petraeus sagte in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview mit dem TV-Sender NBC, der angekündigte Beginn des Rückzugs sei ein „Prozess und kein Ereignis“ und zudem „an bestimmte Bedingungen gebunden“. Er betrachte dieses Datum daher nicht als zwingend. Vielmehr habe Obama diesen Zeitpunkt genannt, um auf die Dringlichkeit der Probleme in dem Land hinzuweisen, sagte Petraeus mit Blick auf die Macht der radikalislamischen Taliban.

Er habe mit Obama eine „gute Diskussion“ über das Thema geführt, sagte der Kommandeur in seinem ersten TV-Interview seit seinem Amtsantritt im vergangenen Monat weiter. Der Präsident habe ihm verdeutlicht, dass er von Petraeus die „besten militärischen Ratschläge“ erwarte. Petraeus hatte die Nachfolge für Stanley McChrystal angetreten, den Obama wegen abfälliger Äußerungen entlassen hatte. Der Kommandeur sagte im Sender NBC zudem, auch mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai verbinde ihn eine „gute Arbeitsbeziehung“.

US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte der „Los Angeles Times“, die Nato-Truppen am Hindukusch könnten „frühestens im Frühling, mit Sicherheit aber im Sommer“ kommenden Jahres mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen beginnen. Diese könnten dann zunächst in „weniger gewaltsamen Gebieten“ die Kontrolle übernehmen, sagte er in dem Interview, aus dem Auszüge in der Online-Ausgabe der Zeitung zu finden waren. Der Truppenabzug solle aber wie geplant im Juli 2011 beginnen.

In den truppenstellenden Ländern sinkt indes die Unterstützung der Bevölkerung für den Militäreinsatz zusehends. Neben den verlustreichen Sommermonaten für die Nato-Soldaten dürfte dies auch an der steigenden Zahl unschuldig getöteter Zivilisten liegen. Vergangene Woche hatte die Uno erklärt, dass sich die Gewalt in Afghanistan immer stärker gegen die Zivilbevölkerung richtet und im ersten Halbjahr 2010 bei Kämpfen und Anschlägen 25 Prozent mehr Zivilisten getötet wurden als im Vorjahreszeitraum. Erst am Sonntag räumte die Nato ein, dass bei Luftangriffen der Militärallianz im Süden Afghanistans am Donnerstag versehentlich fünf Zivilisten getötet wurden.