Jahrelang soll rund ein Dutzend Agenten in Amerika für Moskau gespitzelt haben. Kenner sprechen von einer „Lachnummer“.

Washington. Es klingt wie ein Spionagethriller mitten aus dem Kalten Krieg: Getarnt als Durchschnittsbürger, aber ausgestattet mit Geld aus Moskau, Geheimverstecken und ausgefeilten Verschlüsselungs-Methoden soll ein Agentennetz in den USA jahrelang für Russland spioniert haben. US-Ermittler, die sich selbst als russische Regierungsbeamte ausgaben, nahmen nach langwierigen Ermittlungen jetzt zehn Verdächtige in mehreren Städten im Nordosten der USA fest, wie das US-Justizministerium mitteilte. Ein elfter Verdächtiger wurde am Dienstag auf Zypern gefasst.

Russland reagierte verärgert. Regierungschef Wladimir Putin kritisierte das Verhalten der US-Behörden scharf und meinte, die US- Bundespolizei FBI habe sich „gehen lassen“. Bei einem Treffen mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton nahe Moskau klagte er: „Die stecken einfach Leute ins Gefängnis.“ Putin schloss einen Rückschlag im zuletzt positiven bilateralen Verhältnis nicht aus. Gegen die mutmaßlichen Spione wurde am Montag Anklage wegen des Verdachts der Agententätigkeit erhoben, neun von ihnen wird außerdem Geldwäsche vorgeworfen. Ihnen drohen in den USA Haftstrafen von insgesamt bis zu 25 Jahren.

Die US-Bundespolizei FBI hatte sieben Jahre gegen den mutmaßlichen Schlapphut-Ring ermittelt. Die Männer und Frauen, von denen manche als Ehepartner mit Kindern zusammenlebten, sollen teils seit den 1990er Jahren Informanten in politischen Kreisen rekrutiert und Daten für Russland gesammelt haben - über Atomwaffen, die amerikanische Iran-Politik, die CIA-Führung, wie die „New York Times“ am Dienstag berichtet. Ihnen sei es gelungen, Kontakte zu einem früheren hohen US-Beamten für Nationale Sicherheit und einem Atomwaffen-Forscher zu knüpfen. Ob die Agenten aber an Staatsgeheimnisse oder Verschlusssachen kamen, ist offen.

Das russische Außenministerium erklärte, der von der US-Justiz erhobene Vorwurf sei unbegründet „und verfolgt keine guten Ziele“. Außenamtssprecher Andrej Nesterenko sagte nach Angaben der Agentur Interfax, das Szenario ähnel“ Spionage-Skandalen aus dem Kalten Krieg“. „Es ist bedauerlich, dass all dies vor dem Hintergrund des Neuanfangs mit Russland geschieht, der von der US-Regierung verkündet wurde.“ Außenminister Sergej Lawrow forderte von den USA Erklärungen. „Man hat uns nicht gesagt, worum es eigentlich geht. Ich hoffe, man erklärt uns das. Der Augenblick, in dem das gemacht wurde, ist ja raffiniert gewählt.“ Erst am Donnerstag waren Obama und Medwedew im Weißen Haus zusammengetroffen. Dabei vereinbarten sie eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie eine stärkere Kooperation bei den Geheimdiensten und im Kampf gegen den Terror. Obama hatte den Kremlchef dabei als „Freund und Partner“ bezeichnet. Medwedew sei „solide und verlässlich“. Laut „New York Times“ ist Präsident Obama „nicht glücklich“ über den Zeitpunkt der Festnahmen. Die Ermittler seien aber besorgt gewesen, dass einige der Verdächtigen hätten fliehen können.

Russische Spione im Westen

Der frühere Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB nannte die Spionage-Vorwürfe aus den USA eines politische „Lachnummer“. Die Geschichte rufe bei jedem professionellen Geheimdienstler nur Gelächter hervor, sagte Ex-FSB-Chef Nikolai Kowaljow am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax. Dass insgesamt zehn oder elf „Illegale“, wie Spione in russischer Geheimdienstsprache heißen, zusammengearbeitet haben sollen, sei „absoluter Blödsinn“. Der regierungskritische Moskauer Politologe Mark Urnow sprach von einem „beispiellosen Fall mit so vielen Festnahmen auf einmal“. Sonst sei es aber nichts Außergewöhnliches, dass Staaten Geheimdienste einsetzten. „Diesmal hat es eben unsere Agenten erwischt“, sagte Urnow. Er glaubt nicht, dass der Skandal den Neustart im Verhältnis zwischen den USA und Russland gefährdet.

Detailreich schildern die US-Ermittler die Arbeitsweisen der mutmaßlichen Spione, die angeblich auch die Identität von Toten annahmen: Im Vorbeigehen sollen dabei identische Taschen mit russischen Verbindungsleuten ausgetauscht worden sein. Botschaften für die Zentrale in Moskau wurden verschlüsselt auf Webseiten versteckt, die dem ungeschulten Auge nicht auffielen. Zur Übertragung von Informationen hätten Agenten Kurzwellentechnik verwendet und drahtlose Internet-Netzwerke an öffentlichen Plätzen aufgebaut, um Daten von einem Laptop zum nächsten zu senden. Den Ermittlungen zufolge war das Agentennetz in den USA Teil eines Programms des russischen Geheimdienstes, in einer Reihe von Ländern Spione zu installieren. Mit Hilfe gefälschter Dokumente sollen die Agenten dabei „die Identität eines Bürgers oder legalen Bewohners des Landes annehmen, in das sie geschickt werden“.

Eine Weisung aus Moskau lautete: „Sie wurden auf eine langfristige Dienstreise in die USA geschickt. Ausbildung, Bankkonten, Auto, Haus – alles dient nur einem Zweck: Der Erfüllung der Hauptmission, d.h. Verbindungen zu politischen Kreisen knüpfen und Geheimdienstinformationen an C (die Zentrale) schicken.“ Die FBI-Ermittler griffen derweil selber in die Agenten-Trickkiste und gaben sich bei ihren jahrelangen Ermittlungen auch als russische Regierungsbeamte aus und trafen sich mit den Verdächtigen. Am Sonntag schlugen die Fahnder dann in den Staaten New Jersey, New York, Massachusetts und Virginia zu. Fünf der Festgenommenen wurden am Montag einem New Yorker Haftrichter vorgeführt.