EU-Parlamentspräsident Schulz glaubt, dass man mit der neuen griechischen Regierung verhandeln kann

Athen/Berlin. Die Sorge vor einem radikalen Kurswechsel der neuen griechischen Regierung bei der Haushaltssanierung und gegenüber Russland ruft die EU auf den Plan. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sieht Verhandlungsbereitschaft bei der neuen Regierung in Athen. Sie beabsichtige keine einseitigen Schritte bei der Überwindung der Schuldenkrise, sagte Schulz am Donnerstag nach einem ersten Treffen mit dem neuen linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Athen. Begrüßenswert sei auch, dass die Regierung die Steuerhinterziehung und die Korruption im Land bekämpfen wolle.

Ganz leicht sei das Gespräch allerdings nicht gewesen, berichtete Schulz. Es habe auch „viel Kraft gekostet“ und es gebe Themen, die noch geklärt werden müssten. Vor seinen Gesprächen in Athen hatte Schulz in der „Bild“-Zeitung erklärt, er wolle mit Tsipras „Tacheles“ reden.

Der griechische Ministerpräsident erklärte, Athen wünsche eine Schuldenkonferenz. Dazu werde seine Regierung eine Liste mit Vorschlägen vorlegen, die mit den Partnern im Euroland besprochen werden sollten. Sein Volk müsse von der harten Sparpolitik befreit werden. Tsipras versprach, seine Regierung werde rigoros die Steuerhinterziehung und die Korruption sowie die Vetternwirtschaft in Griechenland bekämpfen. Tsipras, der das Rezept der rigorosen Sparpolitik und der immer neuen Schulden für gescheitert erklärte, sprach von einer „neuen Beziehung“ zwischen Athen und den Partnern in der EU. Gemeinsames Ziel müssten Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Mit Solidarität werde Europa eine bessere Zukunft haben.

Allerdings ist zu befürchten, dass die neue Regierung Griechenlands mit ihren ersten Maßnahmen den zaghaften Aufschwung der Wirtschaft abwürgt. Anders als im Rest Europas sollte die griechische Wirtschaft nämlich in diesem und im kommenden Jahr richtig durchstarten. Die Beobachtermission aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Union und Europäischer Zentralbank (EZB) ging in ihrem bislang noch nicht beendeten geheimen Bericht zum Stand des zweiten Reformprogramms nach einem kleinen Plus von 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr von einem deutlichen Anziehen der Konjunktur aus.

Im laufenden Jahr werde Griechenlands Wirtschaft um 2,9 und im nächsten um 3,7 Prozent anziehen, heißt es in einem internen Papier des Bundesfinanzministeriums von Mitte Januar, das auf Berechnungen der Troika beruht. Das Papier wurde gerade an die Abgeordneten des Haushaltsausschusses des Bundestags versandt. Demnach werde die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum von fast 27 auf 22 Prozent sinken. Die Exporte legten um 5,4 beziehungsweise 4,9 Prozent kräftig zu. Und die Staatsverschuldung reduziere sich von heute mehr als 175 Prozent auf 157,8 Prozent – mit einem stark anhaltenden Trend nach unten.

So viel zur Prognose. Doch die Wahl des linksradikalen Syriza-Bündnisses droht die hart erarbeiteten Erfolge zunichte zu machen. Die neue Regierung unter Beteiligung der rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) will einen wesentlichen Teil der Reformen rückgängig machen. Die seit dem Jahr 2010 um mehr als zwölf Prozent gesunkenen Lohnstückkosten, die für den beginnenden Erfolg der Reformen mitverantwortlich waren, dürften in Folge wieder steigen. Außerdem will Tsipras Renten und Mindestlohn erhöhen. Die neue Regierung hat dem gebeutelten Land einfache und schnelle Erfolge versprochen und riskiert damit die Gesundung der griechischen Wirtschaft und auch der Staatsfinanzen.

Dabei waren selbst wohlmeinende Beobachter bislang davon ausgegangen, dass Griechenland eher mehr als weniger Reformen braucht. Zwar hatten die Griechen im Staatshaushalt kräftig gespart. In diesem Jahr sollte die Neuverschuldung den ursprünglichen Planungen zufolge nur noch bei knapp 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Im nächsten Jahr wurde sogar ein Plus von 1,3 Prozent erwartet. Allerdings setzt diese Prognose nach der harten Rentenreform und der Liberalisierung einiger Dienstleistungsmärkte weitere Anstrengungen voraus. Dabei ging es weniger um Sparmaßnahmen als um eine weitere Öffnung der verkrusteten Strukturen im Land. Noch immer etwa gilt die Verwaltung als schlecht und ineffizient. Auch die geplante Privatisierung von Staatseigentum kam bislang nur schleppend voran.

Die neue Regierung aber setzt auf deutlich mehr und nicht weniger Staat. Wichtige Privatisierungsprojekte wie den Verkauf der Häfen von Piräus und Thessaloniki hat das neue Links-rechts-Bündnis abgebrochen. Geld soll nicht mehr durch den Verkauf eines Teils des griechischen Staatseigentums in die noch immer klamme Staatskasse kommen. Die fehlenden Milliarden will sich Athen jetzt ausgerechnet bei den Partnerländern der EU holen, die ihr in den vergangenen Jahren finanziell aus der Bredouille geholfen haben. Mindestens die Hälfte der insgesamt 317 Milliarden Euro an Staatsverschuldung will Tsipras per Schuldenschnitt erlassen bekommen. 240 Milliarden Euro davon liegen bei den Geldgebern von EU und IWF. Das Argument: Griechenlands hohe Schuldenquote sei nicht tragfähig und behindere daher den Aufstieg.

Die von Tsipras losgetretene Debatte über einen Schuldenschnitt und die Rücknahme wichtiger Reformen rüttelt allerdings nicht nur am Verhältnis zu den EU-Partnern. Innerhalb nicht einmal einer Woche hat der Grieche damit auch das Vertrauen der Finanzmärkte in seine Regierung weitgehend ruiniert. Die Zinsen für griechische Staatsanleihen kletterten wieder drastisch.