Berlin streitet nach dem Terror über Telefondaten, Brüssel über Erfassung von Passagieren

Berlin/Paris. In Frankreich läuft die Auswertung von Telefondaten auf Hochtouren. Das betrifft vor allem zwei Frauen, die rund 500-mal miteinander telefoniert haben sollen. Die eine ist die Ehefrau von Chérif Kouachi, dem jüngeren der zwei „Charlie Hebdo“-Mörder. Die andere ist die Lebensgefährtin von Amedy Coulibaly, der am Donnerstag in Paris eine Polizistin und am Freitag vier Kunden des jüdischen Supermarkts ermordet hat. Was Kouachis Ehefrau und die offenbar in den Nahen Osten geflohene Lebensgefährtin von Coulibaly besprochen haben, dürfte Hinweise auf die Hintergründe des Pariser Terrors geben.

Aber klar ist: Das Sammeln all jener Telefondaten, die jetzt ausgewertet werden, hatte die Bluttaten nicht verhindern können. Das bringt die politische Diskussion in einen Zwiespalt. Einerseits nutzt es präventiv offenbar wenig, Millionen von Telefondaten zu Ermittlungszwecken für einige Zeit zu speichern, wie es in Frankreich möglich ist, andererseits lassen sich damit nach Anschlägen wichtige Erkenntnisse gewinnen. Dieser Zwiespalt prägt nun die deutsche Diskussion über Konsequenzen aus dem Terror. Die SPD im Bund ist gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die SPD-Innenminister der Länder hingegen dafür, die CSU sowieso, aber die Kanzlerin lehnt sie bislang ab, während CDU-Politiker die Speicherung wieder einführen wollen.

„Wir sollten jetzt nicht die falschen Debatten führen und stereotype Reflexe bedienen“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der „Welt“. Es gebe in Deutschland „ein funktionierendes Sicherheitssystem, und die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich hat die Terroranschläge nicht verhindert“. Oppermann forderte, auf Basis bestehender Gesetze den Fahndungsdruck auf Gefährder zu erhöhen: „Unsere Sicherheitsbehörden müssen in der Lage sein, den gefährlichen Islamisten 24 Stunden pro Tag auf den Füßen zu stehen, wenn es erforderlich ist.“ Falls die personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden dafür nicht reiche, müsse man sie „rasch verbessern“.

Doch Oppermanns Parteifreund Roger Lewentz, Innenminister von Rheinland-Pfalz, hält auch die Vorratsdatenspeicherung für nötig. „Die Debatte über mögliche Gesetzesänderungen muss geführt werden, wozu auch die Vorratsdatenspeicherung gehört“, sagte Lewentz dieser Zeitung. Es sei „kein Geheimnis, dass die Innenministerkonferenz dieses Instrument immer gefordert hat. Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel, kann aber helfen, Ermittlungsansätze zu liefern, die sowohl für die Gefahrenabwehr wie die Strafverfolgung wichtige Erkenntnisse vermitteln.“

Schon festgelegt hat sich die CSU. Nachdem der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer die Wiedereinführung jenes Instruments gefordert hatte, sprach sich auch der CSU-Innenexperte im Bundestag, Michael Frieser, für eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung aus. Doch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hält davon nicht viel: „Die Akzente werden durchaus etwas unterschiedlich gesetzt“, sagte Merkel mit Blick auf die CSU-Forderung und fügte hinzu: „Ich glaube, dass wir ein funktionierendes System der Sicherheit haben.“ Aber ihr Innenminister Thomas de Maizière (CDU) tritt für die Vorratsdatenspeicherung ein, worin ihn Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) unterstützt.

Doch nicht nur in Deutschland ist durch die Pariser Attentate ein alter Streit neu angeheizt worden. Auch in der EU geht eine jahrlange Debatte in die nächste Runde. Da geht es um die Fluggastdatenspeicherung. In einer Erklärung der EU-Innenminister, die der französische Ressortchef Bernard Cazeneuve am Sonntag in Paris vorstellte, drängen die Minister darauf, dass das geplante Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten zwischen den EU-Ländern rasch umgesetzt wird. Bislang gibt es solche Abkommen nur für Passagiere, die zwischen Europa und den USA oder Kanada reisen. Der Plan der EU-Kommission für eine Anwendung innerhalb Europas ist bisher am Widerstand des EU-Parlaments gescheitert. Träte das Abkommen in Kraft, müssten Fluggesellschaften in der gesamten EU die PNR-Daten („Passenger Name Record“) speichern. Dazu gehören Buchungs- und Flugdaten mit bis zu 60 Einzelangaben wie Anschriften, Mail-Adressen und Kreditkartennummern.

Weniger Streitpotenzial bergen andere Forderungen der EU-Innenminister. Zu ihnen zählt, dass es im Schengener Informationssystem den zusätzlichen Eintrag „Foreign Fighter“ („Kämpfer aus dem Ausland“) geben soll, um an den Grenzen islamistische Kämpfer identifizieren zu können, die aus Irak und Syrien zurückkehren. Zudem ist vorgesehen, die Zusammenarbeit mit „Ziel- und Transitländern“ zu verbessern. Das betrifft vor allem die Türkei als Transitland, wenn Islamisten von Europa nach Syrien reisen wollen und umgekehrt.