Staatschef al-Sisi macht sich zur Speerspitze der Auseinandersetzung mit der Terrormiliz IS

Kairo. Lange war die jordanische Königin Rania die Einzige von Rang und Position in der arabischen Welt, die den Terror der Miliz „Islamischer Staat“ zu kritisieren gewagt hatte. Mit starken Worten prangerte sie vor 600 Medienvertretern und Politikern in Abu Dhabi an, dass die islamistische Terrormiliz mit ihrer Interpretation des Islam die Weltreligion pervertiere und 1,6 Milliarden Muslime quasi kidnappe. Seit Jahresbeginn gibt es eine weitere mächtige Stimme im arabisch-islamischen Raum, die eine islamische Reformation, sogar eine Revolution fordert. Der frühere ägyptische Armeechef und heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi plädierte in seiner Neujahrsansprache für eine Neuinterpretation des Islam. Er sprach an der Al-Azhar-Universität in Kairo, der höchsten religiös-rechtlichen Instanz des sunnitischen Islam.

Al-Sisi las in seiner Ansprache den Muslimen im Allgemeinen und den Rechtsgelehrten im Besonderen die Leviten. „Das Werk der islamischen Texte und Ideen, die wir über die Jahrhunderte als heilig erklärt haben, erzürnt die gesamte Welt“, sagte das Staatsoberhaupt. Es könne nicht sein, dass 1,6 Milliarden Muslime die restliche Weltbevölkerung töten wollten, nur um selbst leben zu können. „Die islamische Weltgemeinschaft wird zerrissen, zerstört und ist verloren – durch unsere eigenen Hände.“ In seinem Appell an die religiösen Führer mahnte al-Sisi, es sei unfassbar, dass das, was die Muslime als ihr religiöses und heiliges Erbe betrachteten, für sie selbst und den „Rest der Welt als Quelle der Angst, der Gefahr des Mordens und der Zerstörung wahrgenommen wird. Unmöglich!“

Al-Sisi machte dabei einen Unterschied zwischen der Religion Islam und deren Auslegung oder Interpretation. Es sei fast unmöglich, sich von der herrschenden religiösen Meinung zu lösen, meinte der 60-Jährige. „Sie können nicht fühlen und verstehen, was ich meine, wenn Sie weiterhin in Ihren Denkschemata gefangen sind“, schrieb er den Rechtsgelehrten ins Stammbuch. „Wir brauchen eine religiöse Revolution. Und ihr Imame seid dafür verantwortlich. Die ganze Welt wartet auf euren nächsten Schritt.“

Es war die erste grundsätzliche gesellschaftspolitische Einlassung al-Sisis seit seiner Amtsübernahme am 8. Juni 2014. Der neue starke Mann im Präsidentenpalast ist ein Mann des Militärs. Anders als sein vor Gericht stehender Vorvorgänger Husni Mubarak wurde al-Sisi vom Volk gewählt, doch ein „lupenreiner Demokrat“ ist er nicht. Er ließ die Muslimbruderschaft niederschlagen, Tausende Mitglieder der Bewegung sind in Haft, etliche wurden bereits abgeurteilt. Teilweise ergingen Massentodesurteile nach juristisch fragwürdigen Schnellprozessen.

Al-Sisi fordert eine religiöse Revolution, aber eine gesellschaftliche sucht er zu unterbinden. Weiter gehen Militär und Justiz scharf gegen Kritiker vor. Gerade wurde Satiriker Bassam Youssef wegen „Beleidigung des Präsidenten“ zu einer Geldstrafe in bizarrer Höhe verurteilt: umgerechnet 5,4 Millionen Euro. Den gleichen Betrag soll der ägyptische Privatsender zahlen, der Youssefs Satire-Sendung ausgestrahlt hatte.

Der Prozess rührt zwar noch aus der Regierungszeit Mursis, der neue Präsident aber hatte es versäumt, mit einer Begnadigung ein Zeichen der Versöhnungzu setzen. Die Machthaber am Nil, ob Muslimbrüder oder Autokraten im Generalsrang, können mit Satire schlecht umgehen. Kritik an seiner Person mag der neue Pharao nicht. Und so einer wie Bassam Youssef lässt sich nicht steuern oder instrumentalisieren. Seine populäre Show „al-Barnamag“ (das Programm) beendete er im Juni nach Drohungen gegen seine Person und seine Familie mit einem Seitenhieb: „Wir leben in den wundervollsten Jahren der Demokratie in Ägypten – und wer das nicht so sieht, dem soll die Zunge herausgeschnitten werden.“

Die Justiz ist dem Präsidenten hörig, daran hat sich nichts geändert. Auch die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney wirft der ägyptischen Justiz fehlende Unabhängigkeit vor. Die Anwältin, die mit Hollywoodstar George Clooney verheiratet ist und einen angeklagten Journalisten des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira vertritt, beklagte gegenüber dem britischen „Guardian“, sie sei an der Vorstellung eines Berichts über die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten in Ägypten gehindert worden. Ägyptens Oberstes Gericht will den Prozess gegen drei Al-Dschasira-Journalisten neu aufrollen. Sie waren wegen Unterstützung der Muslimbruderschaft zu Haftstrafen zwischen sieben und zehn Jahren verurteilt worden.

Al-Sisi will sein Land auf Kurs bringen. Er war gerade in China und in der Türkei, konnte die den Muslimbrüdern zugeneigten Golfaraber für sich gewinnen und wirbt derzeit in Kuwait um Investitionen. Große Projekte schweben ihm vor: ein zweiter Suezkanal, im Nildelta sollen Kraftwerke, im Land 4400 Kilometer Straßen entstehen. Es kostet nicht viel, nach religiöser Erneuerung zu rufen.