Rom. Nach einem erneuten Rettungseinsatz auf einem führungslosen Flüchtlingsschiff im Mittelmeer warnen die Vereinten Nationen vor einer neuen Taktik der Schleuser-Banden. In den vergangenen zwei Monaten seien verstärkt alte Frachter ohne elektronische Hilfsmittel eingesetzt worden, um heimlich Flüchtlinge nach Europa zu bringen, sagte eine Sprecherin des Uno-Flüchtlingshilfswerks. Die Schleuser seien nach Einschalten des Autopiloten in kleinen Booten geflohen und hätten die Menschen an Bord ihrem Schicksal überlassen. Hintergrund sei das Ende des italienischen Hilfseinsatzes „Mare Nostrum“, wodurch eine Überfahrt der Flüchtlinge in kleineren Schiffen gefährlicher werde.

Das Phänomen der „Geisterschiffe“ im Mittelmeer, die ohne Besatzung und vollgepfercht mit Flüchtlingen ihrem Schicksal überlassen werden, zeigt nach Ansicht der EU-Grenzschutzagentur Frontex auch einen „neuen Grad der Grausamkeit“. Der Schmuggel von Flüchtlingen sei ein „Multimillionengeschäft“. Für die Schmuggler lohne sich die Rechnung, wenn ein ausgemustertes Schiff ohne Crew und Treibstoff auf dem Meer zurückgelassen werde.

Die italienische Küstenwache musste am Freitag zum zweiten Mal binnen drei Tagen eingreifen, um einen von der Besatzung verlassenen Frachter mit Hunderten Flüchtlingen zu retten. Ein Hubschrauber brachte drei Einsatzkräfte an Bord des Handelsschiffes „Ezadeen“, das führungslos mit 450 Flüchtlingen an Bord – darunter Frauen und Kinder – 40 Seemeilen vor Italiens Südküste trieb. Bei schlechten Wetterbedingungen versuchten sie, den fast 50 Jahre alten Tiertransporter in einen Hafen zu manövrieren. Das Schiff unter der Flagge Sierra Leones habe von einem türkischen Hafen aus Kurs auf Italien genommen und sei später von der Besatzung verlassen worden, sagte ein Sprecher der Küstenwache. Es wäre auf die Küste geprallt, ihm sei aber der Treibstoff ausgegangen. Einem der Flüchtlinge sei es gelungen, Kontakt mit der Küstenwache aufzunehmen.

Es ist die zweite Beinahe-Katastrophe dieser Art im Mittelmeer vor Italien innerhalb weniger Tage. Erst am Mittwoch hatte die Küstenwache einen Frachter mit rund 800 zumeist aus Syrien stammenden Flüchtlingen an Bord aufgebracht, der von der Besatzung verlassen worden war. Vor zwei Wochen brachte die italienische Marine in einem ähnlichen Fall einen Frachter mit 850 Flüchtlingen nach Sizilien. Der Bürgerkrieg in Syrien, aber auch die Kämpfe im Irak und das Machtvakuum in Libyen trugen dazu bei, dass die Flüchtlingswelle nochmals angeschwollen ist. Im vergangenen Jahr sind mehr als 170.000 illegale Einwanderer an den italienischen Küsten gelandet. Mindestens 3400 Flüchtlinge ertranken nach Uno-Angaben bei der gefährlichen Überfahrt nach Europa.