Während die Europäer sich der Depression hingeben, geht die Volksrepublik auf Shoppingtour

Mailand. Italienischer geht’s nicht. Das Restaurant Al borgo antico in Legnano im Nordwesten Mailands: Auf der Speisekarte stehen Penne al pomodoro, Cotoletta und Sorbetto al limone. In der Küche wirken Ivan Niccolai und Carlo Mezzanzana, im Speisesaal der Kellner Matteo Gali. Doch Eigentümer ist die Familie Wu. Francesco Wu, 33 Jahre alt, hat das Lokal 2009 von einem Kalabresen übernommen. Keine Frühlingsrolle, keine Pekingente süß-sauer, kein Glückskeks kommen auf den Teller. „Da verdienst du nichts. Die Preise sind zu niedrig“, sagt Wu in perfektem Italienisch. Stattdessen feine Cucina all’italiana. Das kommt in der Gegend an. In den Abendstunden ist das Restaurant proppenvoll.

„Sieben bis acht Prozent Umsatzplus haben wir dieses Jahr gemacht“, sagt Wu. „Jeder kennt uns. Der Bürgermeister kommt hier regelmäßig vorbei.“ Als Wu das sagt, tritt der Präsident des Basketballclubs Legnano Basket Knights, der in der Zweiten Liga spielt, ein. „Ciao Francesco“, ruft er und setzt sich an den Nebentisch. „Wir sponsern das Team“, sagt Wu.

Europa versinkt in der Schuldenkrise. Flaute, Deflation und Arbeitslosigkeit machen sich breit. Und während die Europäer sich der Depression hingeben und den Geldbeutel festkrallen, geht die Volksrepublik auf Shoppingtour. Industriebetriebe, Luxusmarken, edle Immobilien – die Chinesen sind im Kaufrausch. Dabei ist das erst der Anfang. Chinas Präsident Xi Jinping hat angekündigt, in der nächsten Dekade umgerechnet 1000 Milliarden Euro über den Globus streuen zu wollen. Die gesamten Auslandsinvestitionen Chinas würden sich so bis 2023 verdreifachen. In Europa haben es die Chinesen vor allem auf Know-how, Technologie und Lifestyle-Marken abgesehen.

Schon lange ist vom unaufhaltsamen Aufstieg Chinas die Rede. Spielte sich der bisher etwas abstrakt und verkopft auf den Zeitungsseiten ab, garniert mit Kurven, die nach oben zeigen, so kommt die Machtverschiebung von West nach Ost inzwischen auch im Alltag der Europäer an. Gut beobachten lässt sich das in Italien. Rund 320.000 Chinesen leben auf dem Stiefel. Sie sind erstaunlich tüchtig: ob Restaurant, Kaffeebar, Wäscherei oder Kleidergeschäft – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass hinter der Ladentheke ein Chinese steht. Die Chinesen seien ehrgeiziger als die Italiener. „Wir haben mehr Hunger“, sagt Wu. „Wir sind wie die Italiener vor 50 Jahren.“