Süleyman Jaffar reist durch Europa und wirbt um Hilfe des Westens für die Kurden in Syrien. Dabei kommt er auch nach Hamburg und fordert, Deutschland soll im Kampf gegen IS weitere Waffen liefern.

Hamburg/Kobane. Für Süleyman Jaffar gibt es im Rathaus keinen Festakt. Jaffar ist Außenminister eines Staates, der auf der Landkarte nicht existiert. Er repräsentiert eine Region, die keine Vertreter zu den Vereinten Nationen nach New York schicken darf. Und doch blickt die Welt gerade genau auf die Kurden in Syrien und im Irak. Sie kämpfen gegen die Terroristen des „Islamischen Staates“. Und deshalb wird Süleyman Jaffar gerne von europäischen Politikern eingeladen. Der Außenminister des kurdischen Kantons Afrin ist Teil westlicher Geopolitik. Für die Menschen seiner Region, sagt er, gehe es aber vor allem um das Überleben.

Jaffar sitzt an diesem Tag im obersten Stockwerk einer Häuserzeile am Steindamm in den Räumen des deutsch-kurdischen Kulturvereins. Er trägt ein dunkles Jackett, darunter einen Strickpullover. Neben Jaffar nimmt seine Stellvertreterin Platz, Cihan Mihamed. Hinter den Politikern hängt das Porträt von Sakine Cansiz, der Mitgründerin der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. 2013 wurde sie in Paris ermordet. Es sind schmerzhafte Nachwehen eines Krieges zwischen Kurden und dem türkischen Staat um Anerkennung. Es ist ein Konflikt, den der Kampf der Kurden gegen die Islamisten vom IS nun wieder auf die Agenda hebt.

Es waren die Soldaten der YPG, der kurdischen Volksverteidiger, die im Sommer christliche Jesiden vor den IS-Schergen retteten. Es sind Kurden aus Syrien und Irak, die nun an der Front in der umkämpften Stadt Kobane im Einsatz sind. Kobane liegt 150 Kilometer entfernt von der Kantonshauptstadt Afrin. Auch dort griffen die Islamisten an. Die Kurden konnten die Stadt halten. Jaffar sagt: „Was es auch kostet, wir werden unser Territorium verteidigen. Wir wollen nicht auf die Freiheit unserer autonomen Regierung verzichten.“ Diesen Weg würden die Kurden weitergehen – „mit oder ohne Unterstützung aus Europa“, sagt Jaffar. Er legt viel Diplomatie in seine Worte. Manchmal aber bahnt sich das Pathos eines Unterdrückten den Weg in Jaffars Sprache.

Neues Massengrab mit 230 Leichen

Als Syrien im Krieg zwischen Herrscher Baschar al-Assad, Kräften der Opposition und Islamisten zusammenbrach, bildeten die Kurden in Syrien Verwaltungen, hielten Wahlen ab. Minderheiten und alle Religionsgruppen seien im Parlament vertreten. Die Rolle der Frau sei in Verwaltung, Militär und Regierung stark. „Ich bin stolz auf das, was wir aufgebaut haben“, sagt Jaffar.

Doch die Schreckensmeldungen setzen sich fort: Nach der Entdeckung eines Massengrabes mit 230 Leichen im Osten Syriens befürchten Menschenrechtler den Tod von rund 1000 weiteren Menschen. Mutmaßlich Opfer des IS. Tausende Menschen ermordeten die Terroristen bereits. Derzeit ist auch die Stadt Afrin im Westen Syriens eingekesselt – im Süden durch den IS, im Norden stünden die türkischen Soldaten, sagt Jaffar. Trotz der Militärerfolge der Kurden sei die Lage bedrohlich. Als Jaffar und Mihamed in den vergangenen Wochen Politiker in Finnland, Luxemburg, Frankreich und Deutschland, aber auch EU-Politiker in Straßburg trafen, hatten sie eine Liste im Gepäck. Die Kurden würden Hilfsgüter benötigen, Medikamente für schwache Herzen oder gegen Lungenentzündungen. Die Versorgungswege in andere Städte Syriens seien abgeschnitten, nur über einen offenen Grenzübergang in die Türkei können die Kurden derzeit Güter importieren. Und sie würden weitere Waffen und Munition benötigen.

Doch Waffen aus Deutschland erhalten bisher nur die irakischen Kurden, die Peschmerga. Jaffars Partei PYD und die Truppen der YPG stehen der Arbeiterpartei PKK nahe. Seit 1993 unterliegt die PKK einem Betätigungsverbot in Deutschland, seit 2002 führt die Europäische Union auf Druck der Türkei die Partei auf der Terrorliste. Der Kampf um Kobane habe die Kurden in Irak und Syrien geeint, sagt Vize-Außenministerin Mihamed. Peschmerga, PYD und PKK. „Deutschland und die Welt dürfen die Kurden nicht in Gut und Böse spalten“, kritisiert Mihamed.

Denn vor allem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält den Druck auf die Kurden aufrecht. Er lehnte Waffenlieferungen an die PYD ab. PKK und PYD sind für ihn beides Terrorgruppen. Die PKK hatte der Türkei in den 1980er-Jahren den Krieg erklärt. Und die Regierung bekämpfte die Kurden. Soldaten setzten Dörfer in Brand, der Staat ließ Kurden foltern. In dem Bürgerkrieg starben mehr als 30.000 Menschen. Aber auch die PKK hat in drei Jahrzehnten Tausende Zivilisten in der Türkei ermordet. In Deutschland verübten Anhänger der PKK Anfang der 1990er gewaltsame Proteste. Vieles liegt lange zurück. Trotz Kritik von Grünen und Linken will die Regierung an einem Verbot der PKK festhalten.