Uno-Bericht: In der umkämpften Ostukraine leben fünf Millionen Menschen unter „lebensgefährlichen Umständen“

Genf. Mit dem Einbruch des Winters wächst im Osten der Ukraine das Elend der Bevölkerung. Vor allem für Kinder und ältere Menschen habe sich die Lage erheblich verschlimmert, sagte der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, Prinz Said Raad al-Hussein, am Montag in Genf. In den von Rebellen kontrollierten Gebieten herrschten „lebensgefährliche Umstände“. Die mehr als fünf Millionen Bewohner der Region leiden laut einem ebenfalls am Montag vorgestellten Uno-Bericht unter dem Zusammenbruch des Rechtsstaats und Gewalt. Die Infrastruktur sei weitgehend zerstört. Die Wirtschaft liege am Boden, die meisten Schulen, Krankenhäuser und sozialen Einrichtungen seien geschlossen.

Durch die Kämpfe zwischen prorussischen Rebellen und der ukrainischen Armee sind nach Uno-Angaben seit Mitte April mehr als 4700 Menschen ums Leben gekommen, mehr als jeder Vierte davon seit Beginn eines Anfang September vereinbarten Waffenstillstands, der fast täglich gebrochen wird und mittlerweile als gescheitert gilt. Etwa 10.300 Menschen in der Ostukraine, so der Uno-Bericht, seien verletzt worden. Nach Einschätzung der Uno sind in der Ostukraine alle fundamentalen Menschenrechte bedroht. Für deren Gewährleistung sei auch im Osten der Ukraine die Regierung in Kiew mitverantwortlich, betonen die Experten der Vereinten Nationen.

„Die Bevölkerung genießt keinen wirksamen Schutz, und international verbriefte Menschenrechte werden nicht respektiert“, sagte Gianni Magazzeni, Abteilungsleiter im Uno-Hochkommissariat. Zwar hätten bewaffnete Gruppen in den Rebellenhochburgen Donezk und Lugansk quasistaatliche Strukturen aufgebaut, diese verstießen aber gegen Völkerrecht. Magazzeni berichtete über einen Prozess in Lugansk gegen einen mutmaßlichen Vergewaltiger. „Geführt wurde er von einem Bataillonskommandeur, der die Bevölkerung auf dem Marktplatz über das Strafmaß abstimmen ließ.“

Nach Magazzenis Angaben sind die meisten Bewohner der umkämpften Regionen nicht in der Lage zu fliehen. Er kritisierte die Ankündigungen der Regierung in Kiew, in den von Rebellen kontrollierten Gebieten ab 2015 keine Renten und Sozialleistungen mehr auszuzahlen.

Für die Zuspitzung der Lage machen die Uno-Experten in erster Linie die bewaffneten Separatistengruppen verantwortlich. Sie hätten die Kernpunkte des mit der ukrainischen Regierung geschlossenen Abkommens von Minsk nicht umgesetzt. Zudem werde die Krise durch die Lieferung schwerer Waffen und den Einsatz ausländischer Kämpfer aus Russland angeheizt. Schwere Vorwürfe erhebt der Uno-Bericht jedoch ebenso gegen Einheiten, die im Auftrag der ukrainischen Armee im Einsatz sind. Vor allem Freiwilligenkorps und Einheiten des ukrainischen Geheimdienstes werden willkürliche Verhaftungen, Verschleppungen und Misshandlungen mutmaßlicher Separatisten zur Last gelegt.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dringt derweil auf neue direkte Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien. „Wir sind nach wie vor nicht in der Situation, dass man von nennenswerten Fortschritten bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarung reden könnte“, sagte er am Montag in Brüssel. Er sprach sich für ein Treffen der Kontaktgruppe noch vor Weihnachten aus.

Russland drohte der Ukraine am Montag wegen der Annäherung an die Europäische Union mit Handelssanktionen. „Wir werden die ukrainische Wirtschaft nicht länger unterstützen. Es ist eine Last, und um ehrlich zu sein, sind wir es leid“, schrieb Ministerpräsident Dmitri Medwedew in einem Beitrag für die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Die russische Regierung habe über Jahre der Führung in Kiew großzügige Handelsbeziehungen eingeräumt und damit die Wirtschaft des Nachbarlandes unterstützt. Dies werde sich ab sofort ändern. Der bilaterale Handel werde auf eine rein „rationale und pragmatische“ Grundlage gestellt. Dabei stünden die russischen Interessen an erster Stelle.

Medwedew fügte hinzu, dass die von Russland und anderen früheren Sowjetrepubliken gebildete Zollunion den Warenfluss aus der Ukraine einschränken werde. Dies würde der Ukraine rund 15 Milliarden Dollar an Einbußen bringen. Die Veröffentlichung des Artikels fällt zusammen mit einer Brüssel-Reise des ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk, der am Montag Gespräche mit führenden EU-Vertretern führen will. Die ukrainische Regierung strebt engere Beziehungen zur EU an. Dies ist eine der Ursachen für den Konflikt der Kiewer Regierung mit den prorussischen Separatisten im Osten des Landes.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande mahnten bei der Führung in Kiew die rasche Umsetzung von Reformen an. Nur so könne sich die Wirtschaft des Landes erholen und die erforderliche internationale Finanzhilfe erbracht werden, betonten beide nach Angaben des Bundespresseamts in einem Telefonat mit Präsident Petro Poroschenko. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert von der Ex-Sowjetrepublik härtere und schnellere Reformen, die die Regierung in Kiew aber auf die lange Bank schiebt. Der IWF verlange, die Gaspreise sollten bereits am 1. Januar 2015 – deutlich früher als bislang geplant – um weitere 40 Prozent steigen, zitiert die Kiewer Zeitung „Serkalo Nedeli“ aus einem internen Bericht des Währungsfonds. Bereits seit der jüngsten Teuerung im Mai 2014 können viele Ukrainer jedoch die Rechnung für Heizung und Warmwasser nicht mehr bezahlen und sind auf Staatshilfen angewiesen.