Moskau gibt EU die Schuld für das Ende des Gas-Projekts South Stream und droht mit Export nach Asien. Doch Hamburger Außenpolitiker sehen Europa gestärkt

Hamburg/Moskau. Es ist die Diplomatie der eisigen Töne. Zwei Worte, mehr nicht. Doch die Botschaft ist eindeutig. „Das war’s“, sagte der Chef des russischen Energiemonopolisten Gazprom, Alexei Miller. Die Gaspipeline South Stream ist Geschichte. Wegen politischer Spannungen mit dem Westen verabschiedet sich Russland von seinem größten Projekt für Europas Energiesicherheit. Zwar streitet die EU schon mehrere Monate mit Russland über den Bau der Leitung, dennoch kam die Entscheidung überraschend. Weder den Transitländern noch den europäischen Lieferanten lagen Informationen über den Stopp vor. Gerade Bulgarien, Ungarn oder Serbien sind stark von russischem Erdgas abhängig. Bulgarien muss Russland zufolge jährlich auf 400 Millionen US-Dollar verzichten, die es durch den Gastransit eingenommen hätte. Serbien, aber auch Italien hängen vorerst weiter vom maroden ukrainischen Transportsystem ab.

Auch Stahlkonzerne wie SalzgitterAG und Voestalpine zittern um mehrere Hundert Millionen Euro schwere Zulieferaufträge für Röhren, die unter Umgehung der Ukraine von Südrussland durch das Schwarze Meer bis nach Österreich verlaufen sollten. Hamburgs früherer Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) war seit 2012 auf Vorschlag von Gazprom Aufsichtsratsvorsitzender des Projekts South Stream. Auf Nachfrage des Abendblatts wollte sich Voscherau nicht zum Baustopp äußern. Voscherau wurde nach eigenen Angaben Ende November in Amsterdam aus dem Posten verabschiedet. Er habe keine Informationen über die Hintergründe der Entscheidung.

Russlands Staatschef Wladimir Putin äußerte sich zu dem gestoppten Projekt am Rande eines Besuchs in der Türkei. Wenn Europa das Projekt nicht wolle, dann werde es eben nicht gebaut. Der Ort für die Erklärung war kein Zufall. Nach den Spannungen Russlands mit der Europäischen Union im Ukraine-Konflikt sucht der Kreml neue Wirtschaftspartner im Nahen Osten und anderen Regionen Asiens: Die Türkei und China stehen weit oben auf der Liste. Die geplante South-Stream-Leitung für 63 Milliarden Kubikmeter Gas soll in die Türkei „umgelegt“ werden. Das meiste Gas soll an der türkisch-griechischen Grenze landen und weiter in die EU fließen. Russland, wo ein Drittel der weltweiten Gasreserven lagert, will so weiter in Europa Geld verdienen.

Kosten für Gazprom stiegen rasant

Doch das ist nur die russische Sichtweise. Der Blick der EU ist ein anderer: Wie die Ostseeleitung Nord Stream sollte die südliche Leitung South Stream – für den Süden und zentrale Teile EU-Europas – die Gasversorgung des Westens bei wachsendem Energiehunger zuverlässiger machen. Dennoch hatte die EU zuletzt Druck auf Transitländer wie Bulgarien ausgeübt, den Bau von South Stream zu stoppen. Nach geltendem EU-Recht darf der Gaslieferant nicht gleichzeitig Betreiber der Gaspipeline sein. Zu starke Abhängigkeit von Konzernen wie Gazprom soll so verhindert werden. Das russische Staatsunternehmen wollte das bisher nicht akzeptieren. Das EU-Mitglied Bulgarien hatte aufgrund der Bedenken der EU seine Arbeiten an South Stream im Sommer auf Eis gelegt.

Mit jedem Monat des Wartens wurde das Projekt für das wirtschaftlich angeschlagene Russland finanziell fragwürdiger. Für Gazprom stiegen Kosten von 15 Milliarden Dollar auf 23,5 Milliarden Dollar. Zudem fiel der Ölpreis seit Jahresbeginn um 37 Prozent, was Gazprom zusätzlich schwächte.

Die Ukraine war von Anfang an gegen die Pipeline, weil das Land seine Stellung als wichtigstes Transitland für die EU nicht verlieren wollte. Die Ukraine hatte bereits wegen der Ostseeleitung einen Teil ihrer Marktmacht als Transitland eingebüßt. Das Land benötigt dringend die Transitgebühren, die Russland zahlt. Und so wird deutlich, dass die Entscheidung Russlands und die Reaktionen aus Europa im Kontext des andauernden Konflikts zwischen Russland, der Ukraine und der EU gesehen werden müssen. Russland annektierte völkerrechtswidrig die Krim. Der Westen wirft Russland zudem vor, prorussische Separatisten in der Ukraine zu unterstützen und hat Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt.

Deutsche Politiker sehen EU-Position gestärkt

Trotz des nun verkündeten Baustopps sehen deutsche Außenpolitiker die Position der EU gestärkt. „Die EU lässt sich nicht unter Druck setzen“, sagt der Hamburger Bundestagsabgeordnete und außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen, dem Abendblatt. „Wir gehen davon aus, dass auch auf russischer Seite das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Denn auch in Russland wächst die Erkenntnis, dass China nicht auf Augenhöhe mit ihnen verhandelt, anders als die EU. China nutzt Russlands wirtschaftliche Schwäche zum eigenen Vorteil aus.“

Auch der CDU-Außenexperte und Abgeordneter aus Hamburg, Jürgen Klimke, hebt hervor, dass das Ende von South Stream „kein Ausweis russischer Stärke“ sei. „Es zeigt vielmehr, dass sich einheitliche europäische Politik und die Sanktionen in der Ukraine-Frage auszahlen“, sagte Klimke dem Abendblatt. SPD-Politiker Annen betonte: „Die Sanktionen der EU haben Russland härter getroffen, als Putin erwartet hat.“ Es würden etliche Milliarden Rubel für den Bau von neuer Infrastruktur fehlen, ausländische Unternehmen würden kaum noch in Russland investieren, der Rubel rutsche im Devisenmarkt ab. „Dennoch glaube ich nicht an einen kurzfristigen Kurswechsel von Putin. Kooperation mit dem Westen bleibt langfristig im russischen Interesse.“

Für den Grünen-Außenexperte Manuel Sarrazin war South Stream ein Projekt, dass mehr im russischen als im europäischen Interesse lag. Die geplante Pipeline hätte Europas Gasversorgung stärker an Russland gebunden. Wie CDU-Mann Klimke sieht auch Sarrazin die Antwort in einem unabhängigen europäischen Energiemarkt, der auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzt.