Die Geschworenen entscheiden: Keine Anklage gegen den Todesschützen. Danach gibt es schwere Ausschreitungen in der US-Stadt

Washington. Ferguson am Tag danach: Da sind die vielen Polizisten, die durch die Straßen patrouillieren, und einige Nationalgardisten. Da sind die Wracks rund eines Dutzends ausgebrannter Autos, unter ihnen mehrere Polizeiwagen. Steine liegen auf der Straße, Flaschen, Reste von Molotowcocktails. Die zerborstenen Scheiben geplünderter Geschäfte sind notdürftig gesichert. Im Laufe des Tages werden Bretter und Bohlen vor ein Autohaus, einen Schönheitssalon und das Geschäft genagelt, in dem Michael Brown Minuten vor seinem Tod ein paar billige Zigarillos klaute.

Das Tränengas ist verflogen, aber noch nicht der Geruch des Feuers rund eines Dutzends Geschäfte, die gebrandschatzt wurden. Und da sind die Bürger von Ferguson, fast alle schwarz, die sich ans Aufräumen machen, wie so oft in den Morgenstunden seit dem 9. August, wenn in der Nacht zuvor Chaoten, auch sie zumeist Afroamerikaner, in ihren Straßen wüteten. Der 9. August, das war der Tag, an dem der 18-jährige Michael Brown vom 26-jährigen Polizisten Darren Wilson erschossen wurde. Schwarz war das Opfer und weiß der Täter.

Das Schicksal des unbewaffneten Teenagers empört vor allem die Afroamerikaner in den USA. Die dunklen Schatten von Rassismus und Diskriminierung tauchen wieder auf, im Jahr sechs nach der Wahl des ersten Mannes mit dunkler Hautfarbe ins Weiße Haus. Aber selbst unter den weißen Amerikanern sagten in einer Umfrage nur 38 Prozent, Wilson solle nicht vor Gericht kommen, weil er sich keines Verbrechens schuldig gemacht habe.

„Unsere Untersuchung ist abgeschlossen“, sagte Staatsanwalt Robert P. McCulloch am Abend um 20.32 Uhr (Ortszeit), und die Jury habe entschieden, es gebe „keinen wahrscheinlichen Grund“, Darren Wilson anzuklagen. Der Polizist, der Brown mit sieben Schüssen getötet hatte, wird sich vor keinem Gericht verantworten müssen. „Viele werden diese Entscheidung nicht akzeptieren und enttäuscht sein“, sagte McCulloch. Wie zum Beweis flogen zu diesem Zeitpunkt draußen, vor den Türen des massiv gesicherten Buzz Westfall Justice Centers in Clayton, die ersten Gegenstände. Tweets sagten eine Nacht der Gewalt voraus. „Ferguson wird brennen. Unsere Leute haben nie wahre Gerechtigkeit erfahren“, prophezeite eine gewisse Cat. B.

Wenige Meilen entfernt, auf der West Florissant Avenue, in deren unmittelbarer Nähe Michael Brown starb, spielten sich Szenen wie in einem Bürgerkrieg ab. Chaoten setzten einen Polizeiwagen und ein weiteres Auto in Brand. Bei anderen Einsatzfahrzeugen wurden die Scheiben zertrümmert. Steine und Flaschen flogen, Geschäfte wurden geplündert. Schüsse waren zu hören. Damit wiederholten sich Bilder, wie sie bereits in den ersten Tagen nach Browns Tod weltweit ausgestrahlt worden waren. Die Polizei antwortete mit Tränengas.

„Wir sind eine Nation, die auf der Herrschaft des Rechts aufbaut“, sagte im fernen Washington Barack Obama, der nach der Verkündung der Jury-Entscheidung eine Pressekonferenz angesetzt hatte. Darum „müssen wir die Entscheidung der Grand Jury akzeptieren. Für Gewalt gibt es niemals eine Rechtfertigung.“ Der Präsident sagte auch, dass es „in zu vielen Teilen dieses Landes ein tiefes Misstrauen gibt zwischen Polizeikräften und Nicht-Weißen“. Er sei ganz bei den Eltern von Michael Brown, die in den Tagen zuvor dazu aufgerufen hatten, nur friedlich zu demonstrieren. Nach der Jury-Entscheidung meldeten sie sich erneut zu Wort. Sie seien „tief enttäuscht“, dass Wilson nicht vor Gericht gestellt werde.

McCulloch hatte Mitgefühl für die Eltern des getöteten Teenagers geäußert. Er versicherte, dass die zwölf Geschworenen seit dem 20. August penibel alle Indizien gewichtet und Zeugenaussagen geprüft hätten.

An jenem Tag habe der Polizist Wilson den Teenager Brown und dessen Freund Dorian Johnson aus seinem Auto heraus aufgefordert, nicht auf der Straße zu laufen, sondern den Bürgersteig zu nutzen, sagte der Staatsanwalt. Das führte zu einem Wortgefecht. Dabei habe Wilson gemerkt, dass Browns Kleidung der Beschreibung eines Diebes entsprach, der kurz zuvor in einem nahen Geschäft Zigarillos geklaut hatte. Wilson forderte einen weiteren Einsatzwagen an und versperrte mit seinem Fahrzeug Brown und Johnson den Weg. Es kam zu einem heftigen Handgemenge durchs Fahrerfenster zwischen dem hinter dem Steuer sitzenden Wilson und dem draußen stehenden Brown.

Der Jury wurden eindeutige Beweisfotos präsentiert, die Verletzungen am Kopf und Nacken von Wilson zeigen. In dieser Situation habe der Polizist die beiden ersten Schüsse abgegeben. Der von einer Kugel getroffene Brown floh. Wilson lief ihm nach. Brown drehte sich um und kam auf Wilson zu. In dieser Situation feuerte der Polizist weitere Schüsse ab.

Unklar bleibt nach der Untersuchung der Jury, ob Brown die Hände erhoben und gerufen hatte: „Nicht schießen!“ Dies hatten Zeugen zunächst ausgesagt. Staatsanwalt McCulloch sagte, mehrere Aussagen hätten sich durch die drei Autopsien des Leichnams als falsch erwiesen, so etwa die Behauptung, Wilson habe dem fliehenden Brown in den Rücken oder auf ihn geschossen, als er auf dem Boden lag.

„Ich denke, viele Informationen fehlen noch in der Darlegung des Staatsanwalts“, sagt die US-Rechtsanwältin Lori Lightfoot. „Die wichtigste Frage wurde in dieser Zusammenfassung nicht erläutert.“ „Die Menschen fragen sich, ob Michael Brown überhaupt noch eine Gefahr für Darren Wilson dargestellt haben kann, nachdem er schon getroffen, viele, viele Fuß entfernt und zudem unbewaffnet war.“ Laut Staatsanwalt lag die Leiche Browns rund 40 Meter vom Polizeifahrzeug entfernt. Nach dem Verzicht der Geschworenen auf eine Anklage könnte nun Bundesjustizminister Eric Holder ein Strafverfahren gegen den Polizisten einleiten. „Ich denke, das Justizministerium wird seine eigenen Ermittlungen fortsetzen“, so Lightfoot. Doch würden die Ermittler nach anderen Kriterien vorgehen. „Sie müssen prüfen, ob Wilson vor den Schüssen die Bürgerrechte von Brown verletzte. Das könnte sich möglicherweise nur noch schwer beweisen lassen.“