Die führenden Staaten wollen für mehr Wachstum sorgen. Allerdings bestimmt die Ukraine-Krise den G20-Gipfel. Auch die Kanzlerin macht sich Sorgen, weil eben das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Brisbane. Die Ukraine-Krise droht Anstrengungen der führenden Wirtschaftsnationen für mehr Wachstum zunichtezumachen. Am ersten Tag des G20-Gipfels im australischen Brisbane wurden vermehrt Sorgen laut, dass das Investitionsklima weltweit leidet, sollte der Bürgerkrieg im Osten der Ukraine weiter eskalieren. Die Konfrontation des Westens mit Russland könnte an Schärfe zunehmen.

Am Rande des G20-Gipfels trafen sich am Sonnabend Kanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsident Wladimir Putin und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu einem überraschend angesetzten Krisen-Gespräch zum Ukraine-Konflikt. Merkel verließ nach insgesamt fast vier Stunden Putins Hotel, wo das Gespräch stattfand, teilte ein deutscher Regierungssprecher am Sonnabend in Brisbane mit.

Zuvor hatte Merkel rund zwei Stunden ein Vieraugengespräch mit Putin geführt. Danach kam Juncker dazu. Putin und Juncker führten wiederum nach Merkels Abfahrt in der Nacht zum Sonntag ihr Gespräch fort, hieß es aus Diplomatenkreisen.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte russischen Agenturen zufolge, dass Putin der Kanzlerin noch einmal eingehend die Nuancen des russischen und europäischen Zugangs zum Ukraine-Konflikt erklärt habe. Die Krise überschattet den G20-Gipfel in der australischen Küstenstadt. Bei den Treffen sei es auch um die Beziehungen zu Deutschland und zur Europäischen Union gegangen, sagte Peskow. Es habe sich um sehr lange Gespräche mit den beiden Politikern gehandelt. Inhalte wurden zunächst nicht bekannt.

Nach Informationen von „Spiegel Online“ soll Russland nach den Gesprächen in Australien eine deutsche Diplomatin aus Moskau ausgewiesen haben. Dies sei eine Reaktion auf eine Maßnahme der Bundesregierung.

Putin erwägt vorzeitige Abreise

Der russische Präsident Wladimir Putin soll nach Angaben aus seiner Delegation eine vorzeitige Abreise vom G-20-Gipfel im australischen Brisbane erwägen. Putin könne am Sonntag eine Arbeitssitzung mit den Staats- und Regierungschefs der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländern ausfallen lassen, sagte ein Vertreter der russischen Delegation am Sonnabend. Kurze Zeit später dementierte der Kreml-Sprecher via russischer Nachrichtenagenturen die Berichte einer vorzeitigen Abreise Putins.

Putin steht wegen seiner Politik im Ukraine-Konflikt in der Kritik. Die russische Führung wies Darstellungen zurück, sie trage die Verantwortung an der jüngsten militärischen Eskalation im Osten der Ukraine und unterstütze die prorussischen Separatisten mit Waffen.

Der Westen hat mit weiteren Sanktionen gedroht, sollte Russland Soldaten und Waffen aus der Ostukraine nicht abziehen. Die Ukraine-Krise überlagert den G-20-Gipfel, bei dem es eigentlich darum gehen soll, wie die Weltwirtschaft einen kräftigen Wachstumsschub in den kommenden Jahren erhalten soll.

"Bedrohung für die Welt"

Obama griff Putin ungewohnt scharf an. Die "russische Aggression" in der Ukraine sei eine "Bedrohung für die Welt", sagte Obama. Als Beispiel führte er den "Abschuss" der malaysischen Passagiermaschine MH17 vor vier Monaten in der Ostukraine an. 298 Menschen starben, 38 davon waren Australier.

Russland wies die Vorwürfe zurück. "Von unseren Handlungen geht einfach keine Bedrohung aus", sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow. Russland wolle im Gegenteil helfen, die Lage zu stabilisieren. Putin streitet eine Beteiligung seines Landes an dem Konflikt ab. Die Strafmaßnahmen des Westens gegen sein Land nennt er "illegal".

Die EU-Außenminister werden am Montag in Brüssel beraten, wie sich die Situation darstellt und ob neue Sanktionen nötig sind, wie EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sagte. Russland müsse seinen Einfluss nutzen, auf die prorussischen Separatisten einzuwirken. Er forderte die Kreml-Führung auf, Waffentransporte und Verstärkung für die Rebellen zu unterbinden.

Merkel knipst Selfies in Brisbane

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt nach ihrem Flug um die halbe Welt keine Ermüdungserscheinungen: Kaum im australischen Brisbane zum G-20-Gipfel angekommen, machte sie am Freitagabend noch einen kurzen Stopp im angesagten Nightlife-Viertel Caxton Street. Als sie ihren Wagen verließ, jubelten Passanten so begeistert, als sei ein Rockstar ausgestiegen. „Willkommen in Australien“, rief eine Deutsche der Kanzlerin zu.

Merkel schüttelte viele Hände, posierte gut gelaunt für Selfies und schlenderte vor den kräftezehrenden Beratungen beim G-20-Gipfel in Brisbane durch das Kneipenviertel der australischen Küstenstadt.

Die meisten anderen Staats- und Regierungschefs ließen sich in ihren gepanzerten Fahrzeugen mit dunklen Scheiben schnurstracks in die Hotels fahren. Die Einheimischen bekamen praktisch keinen der hohen Staatsgäste zu Gesicht.

Merkel sei bestens gelaunt gewesen, berichtete die Fotografin Sarah Keayes von der Regionalzeitung „Courier Mail“, die mit Freunden in einem der Pubs saß. Offenbar habe die Kanzlerin das Bad in der Menge genossen.