Der Ton in Nahost wird rauer: Nur drei Monate nach Ende des Gazakriegs steuern Israel und die Palästinenser auf neue gewalttätige Auseinandersetzungen zu.

Hamburg. Schleichend, wie eine heimtückische Krankheit, erfassen Hass und Terror wieder das Heilige Land. Mehrere Israelis wurden in den vergangenen Tagen Opfer von palästinensischen Attentätern. Armee und Polizei sind in erhöhter Alarmbereitschaft.

Der Ton in Nahost wird rauer: Israels Wirtschaftsminister Naftali Bennet, ein Rechtsausleger, nannte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einen „Terroristen im Anzug“. Abbas warf Premier Benjamin Netanjahu vor, einen Religionskrieg vom Zaun zu brechen. Der wiederum meinte, Abbas sei kein Partner im Kampf gegen den Terrorismus mehr und legte palästinensischen Demonstranten in Ostjerusalem einen Umzug in den Gazastreifen nahe.

In Israel wächst die Angst vor einer dritten Intifada. Der Begriff kommt aus dem Arabischen, hat die Bedeutung von „etwas abschütteln, sich gegen etwas erheben“ und richtet sich gegen die israelische Besatzung. Der frühere Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Yuval Diskin, hatte bereits im vergangenen Jahr gewarnt, die Palästinenser seien „reif für die dritte Intifada“.

Erheben – gegen Israels Besatzung

Israel wie auch die Palästinenser haben sehr schmerzliche Erinnerungen an die vorangegangenen beiden Intifadas. Die Erste brach 1987 als „Krieg der Steine“ aus und endete erst mit dem Friedensprozess von Oslo 1993. Ein zunächst spontaner ziviler Ungehorsam der Palästinenser aufgrund eines banalen Zusammenstoßes eines israelischen Militärlastwagens mit zwei palästinensischen Wagen, in denen vier Palästinenser starben, eskalierte schließlich zu offenem Terror, an dem sich mehrere Palästinenserorganisationen wie die PLO von Jassir Arafat, die heute im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas und die radikale Volksfront zur Befreiung Palästinas beteiligten.

Die israelischen Sicherheitskräfte reagierten mit großer Härte. Bis 1993 starben 1162 Palästinenser; 160 Israelis wurden im Gegenzug ermordet. Die Intifada kostete Israel monatlich rund 160 Millionen Dollar. Am 13. September 1993 wurde der Oslo-Vertrag in Washington unterzeichnet; die Palästinensergebiete erhielten die Autonomie. In der Folge kam es zu einem Bruch zwischen Arafats PLO und Scheich Ahmed Yassins Hamas, der im Gegensatz zu Arafat Abmachungen mit Israel sowie Uno-Resolutionen strikt ablehnte.

Die zweite Intifada brach im September 2000

Die zweite Intifada brach im September 2000 aus, als der rechtsgerichtete israelische Oppositionspolitiker Ariel Scharon, der später Regierungschef wurde, in Begleitung von 1000 bewaffneten Polizisten den Tempelberg in Jerusalem besuchte, der den Muslimen heilig ist – ein unerhörter Affront. Nach dem Ausgangspunkt des Aufstandes, der Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg, heißt die zweite Intifada auch Al-Aksa-Intifada. Die Uno-Resolution 1322 warf Israel unverhältnismäßigen Einsatz von Waffengewalt vor.

Dabei wurde ignoriert, dass Israelis in den 1558 Tagen der zweiten Intifada Opfer von mehr als 20.000 Terroranschlägen wurden, darunter 138 Selbstmordattentate und 460 Angriffe mit Kassam-Raketen. Nach Zählung der Zeitung „Jediot Achronot“ wurden 1036 Israelis getötet, darunter 715 Zivilisten. Mehr als 3500 Palästinenser starben. Die hohen Opferzahlen sind ein Grund, warum Israel eine dritte, womöglich noch viel gewalttätigere, Intifada so fürchtet.

Die Hamas hält weiter an ihrem Ziel einer Vernichtung des israelischen Staates fest. Das Problem auf israelischer Seite ist, dass das Land von einer rechtsgerichteten und in Teilen ultranationalistischen Koalition regiert wird. Es gibt zwar die Einschätzung, dass nur rechte Regierungen Friedensverträge abschließen können, weil sie dann auch die Mehrheit der Israelis hinter sich hätten. Doch das Kabinett Netanjahu versucht, die unter anderem in der „Roadmap“ von 2003 vereinbarte Schaffung eines Palästinenserstaates durch die geplante Zersiedlung der Palästinensergebiete zu hintertreiben.

Starke rechtsgerichtete Kabinettsmitglieder haben gedroht

Das Westjordanland ist das biblische Judäa und Samaria, das der Überlieferung nach von Gott den Juden „auf alle Zeit“ gegeben wurde. Starke rechtsgerichtete Kabinettsmitglieder wie Finanzminister Jair Lapid, Wirtschaftsminister Bennett oder Wohnungsbauminister Uri Ariel haben Netanjahu unverhohlen mit dem Sturz der Regierung gedroht, sollte er den – international als illegal betrachteten – Siedlungsbau auf palästinensischem Boden bremsen. Netanjahu hat innenpolitisch kaum Spielraum; es wächst eine gefährliche Wagenburgmentalität nach dem Motto: Die ganze Welt ist gegen uns, wir Juden können uns eben nur auf uns selber verlassen.

Die Siedlungspolitik hat Israel nicht nur den Europäern ein Stück entfremdet, sondern auch seinem überlebenswichtigen Verbündeten USA. Mehr als 250 Siedlungen gibt es inzwischen. Rund 350.000 Siedler leben im Westjordanland, 300.000 in und um Ostjerusalem und weitere rund 20.000 auf den 1967 von Syrien eroberten und 1981 annektierten Golanhöhen. Damit sind Fakten geschaffen, die einen Friedensschluss mit den Palästinensern immer stärker blockieren. Hinzu kommt, dass die humanitäre und soziale Lage in den palästinensischen Lagern weiter katastrophal ist.

Gaza ist isoliert

Es gibt allerdings einen erheblichen Unterschied zwischen dem Westjordanland, wo die Fatah von Mahmud Abbas regiert, und dem von der radikalislamischen Hamas beherrschten Gazastreifen an der Grenze zu Ägypten. Die Hamas lenkt nahezu alle Ressourcen in den Kampf gegen Israel – mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Zudem hat Ägypten nach der Machtübernahme durch das Militär die Grenzen zu Gaza gesperrt – was den früher üppigen Nachschub an Waffen, Geld und Material für die Hamas nun auf ein Rinnsal begrenzt. Ferner fielen rund 20 Millionen Dollar monatlich an Zuwendungen weg, die der schiitische Iran bis dato an die Hamas gezahlt hatte. Diese hat sich im syrischen Bürgerkrieg auf die Seite der sunnitischen Rebellen gestellt.

Gaza ist isoliert; die Lage im Westjordanland ist deutlich besser. Eine großflächige Radikalisierung und Mobilisierung von Militanten wie in Gaza oder Ostjerusalem ist hier noch nicht festzustellen. Dennoch ist die Zustimmung für Abbas im Laufe des Gazakrieges im Juli und August erheblich gefallen; er muss sich nun innenpolitisch profilieren – nicht zuletzt in der Konfrontation mit Israel.

Hunderttausende Palästinenser sind obdachlos

Die Atmosphäre in Nahost hat sich seit dem Gazakrieg dramatisch verändert. Die israelische Operation „Protective Edge“ (Operation Schutzlinie), in deren Verlauf mehr als 2000 Palästinenser und etwa 70 Israelis zu Tode kamen, war eine Reaktion auf die Entführung und Ermordung von drei jüdischen Religionsschülern durch Hamas-Angehörige. Doch vor allem sollte sie den Dauerbeschuss israelischer Städte mit Raketen der Hamas beenden.

Die großflächige Bombardierung vor allem von Gaza-Stadt hat Hunderttausende Palästinenser obdachlos gemacht. Hintergrund ist allerdings, dass die Hamas häufig ihre Raketenwerfer zwischen Wohnhäuser und sogar in Schulen stellte, die dann zum Ziel wurden.

Die perfide Taktik ging auf; die Hamas kann jetzt aus dem enormen Wutpotenzial der Menschen schöpfen. Als Zivilregierung dort gescheitert, fürchtet die Hamas den Frieden und sucht ihr Heil daher in der dauerhaften Konfrontation. Israel wiederum hat sein Hauptziel, die Vernichtung des riesigen Raketenarsenals der Hamas, allenfalls teilweise erreicht. Hardliner auf beiden Seiten suchen weiterhin eine militärische Entscheidung und treiben den Nahen Osten in immer neue Konflikte.