Russland weitet seine umstrittenen Luftmanöver aus. Ukraine befürchtet umfassende Invasion im Osten

Moskau/Kiew. Russland will die Patrouillen seiner Langstreckenbomber bis an den Golf von Mexiko und damit bis an die US-Grenze ausweiten. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch in Moskau mit. Die Flüge sollten ein Gebiet vom Arktischen Ozean über die Karibik bis hin zum Golf von Mexiko abdecken.

Die Nato hat bereits eine erhebliche Zunahme russischer Militärflüge über dem Schwarzen Meer, der Ostsee und dem Atlantik registriert. Sie sieht einen Grund dafür in der Ukraine-Krise und den deswegen verhängten westlichen Sanktionen. Schoigu begründete die Ausweitung der Militärflüge mit der „derzeitigen Situation, in der wir Militärpräsenz im westlichen Atlantik und östlichen Pazifik ebenso wie in der Karibik und dem Golf von Mexiko aufrechterhalten müssen“. Die russische Luftwaffe fliegt nach Angaben der Nato mit immer größeren Bomberstaffeln in Europa, bleibt dabei jedoch im internationalen Luftraum. Derartige Patrouillenflüge waren zu Sowjet-Zeiten die Regel, wurden dann aber nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zurückgefahren. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ sie 2007 wieder verstärkt aufnehmen.

Fast zeitgleich mit Moskaus Ankündigung über weitere Luftmanöver erklärte Nato-Oberbefehlshaber Philipp Breedlove, dass ein russischer Militärkonvoi in die Ukraine gelangt sei. „In den vergangenen zwei Tagen haben wir dasselbe gesehen, was die OSZE berichtet“, sagte Breedlove. Bei den Einheiten handele es sich um „Kolonnen mit russischer Ausrüstung, vor allem russische Panzer, russische Artillerie, russische Luftabwehrsysteme und russische Kampftruppen“, die in die Ukraine gelangten, sagte Breedlove bei einer Veranstaltung des Atlantischen Clubs von Bulgarien. Breedlove sagte nicht, wie viele neue Soldaten und Waffen aus Russland genau in die Ukraine gelangt seien. Er machte auch keine näheren Angaben dazu, wie die Nato an diese Informationen gekommen sei. Der General sagte aber, die russisch-ukrainische Grenze sei „komplett weit geöffnet. Einheiten, Geld, Hilfen, Ausrüstung, Waffen fließen völlig unkontrolliert hin und zurück über die Grenze, und das ist keine gute Situation.“

Moskau wies die Vorwürfe scharf zurück. Die Anschuldigungen seien „nichts als heiße Luft“, sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. „Das alles basiert nicht auf Fakten.“ Die Separatisten widersprachen ebenfalls Berichten über militärische Unterstützung aus Russland. Bei den Konvois, die unter anderem von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) gesehen wurden, handele es sich um Kolonnen der Aufständischen und nicht um russische Truppen, sagte Separatistenführer Boris Litwinow in Donezk. Die Rebellen hätten die Waffen von ukrainischen Einheiten im Kampf erbeutet. In der ostukrainischen Separatistenhochburg Donezk gab es bei Gefechten zwischen der Armee und Aufständischen mindestens fünf Tote. Örtliche Rundfunksender sprachen von den heftigsten Kämpfen seit Tagen. Insbesondere am geschlossenen Flughafen sei Artilleriebeschuss zu hören. Die Aufständischen bezifferten die Sachschäden seit Beginn der Gefechte im April auf rund 65 Millionen Euro allein in Donezk.

Der ukrainische Botschafter bei der Uno, Juri Sergejew, sprach von einer angeblich „umfassenden Invasion“. „Ich glaube, dass die Uno so schnell wie möglich darüber informiert werden muss, dass Russland eine umfassende Invasion in der Ukraine plant“, schrieb Sergejew im Portal Twitter. Die jüngsten „Fakten“ dazu ließen daran „keinen Zweifel“. Weiter äußerte sich der ukrainische Uno-Botschafter nicht, auch nicht zu den Fakten, die auf eine Invasion schließen ließen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow betonte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, dass Moskau weiter auf einen direkten Dialog der Zentralregierung in Kiew mit den Aufständischen dränge. Anders seien die im September in Minsk von den Konfliktparteien vereinbarten Friedensschritte kaum einzuhalten, betonte Lawrow. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich besorgt. Der militärische Aufmarsch der Russen in der Ostukraine ergebe keinen Sinn, sagte er. Eine Rückkehr zu militärischer Gewalt schade allen Beteiligten. Die ukrainische Armee bereitet sich derweil auf eine neue Offensive der prorussischen Separatisten im Osten des Landes vor. Einheiten würden verlegt, um auf das Vorgehen der Rebellen zu reagieren, sagte Verteidigungsminister Stepan Poltorak am Mittwoch in Kiew. Die Separatisten hätten in den vergangenen Tagen Verstärkung erhalten. „Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, eine Militäraktion vorzubereiten“, fügte der Minister bei einer Kabinettssitzung hinzu. Die Industriemetropole Donezk lag trotz des Waffenstillstandsabkommens von Minsk erneut unter Artilleriebeschuss. Im Stadtzentrum waren laute Explosionen zu hören. Wer geschossen hat, blieb zunächst unklar.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte unterdessen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. „Beide Seiten sehen die Entwicklungen nach wie vor mit Sorge, zumal von einem wirklichen Waffenstillstand nicht die Rede sein kann“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz in Berlin. Merkel und Poroschenko seien sich trotzdem einig, dass die Vereinbarung von Minsk die richtige Grundlage bleibe, um die Region zu stabilisieren.

Angesichts der neuerlichen Eskalation beraten die EU-Außenminister am Montag in Brüssel über eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland. Weitere wirtschaftliche Strafmaßnahmen stehen dabei aber offenbar nicht zur Debatte: Im Zusammenhang mit den unrechtmäßigen Wahlen der Separatisten im Osten der Ukraine werde zwar eine Ausweitung der Sanktionsliste gegen einzelne Personen geprüft, sagte Merkel am Dienstag. „Darüber hinaus sind weitere Wirtschaftssanktionen im Augenblick nicht geplant.“

Die wirtschaftliche Lage der früheren Sowjetrepublik Ukraine spitzt sich unterdessen weiter zu. Die Landeswährung markierte am Mittwoch gegenüber US-Dollar und Euro neue historische Tiefststände. Damit hat sich der Wert der Griwna seit Jahresbeginn fast halbiert.