Laut ersten Prognosen am Sonntagabend liegt das Poroschenko-Bündnis, dem auch Vitali Klitschko angehört, klar vorne. Moskau reagierte auf die ersten Hochrechnungen mit klaren Worten.

Kiew. Nach der Wahl in der Ukraine zeichnet Sieg des prowestlichen Lagers um den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko ab. Laut ersten Prognosen am Sonntagabend kam das Poroschenko-Bündnis auf 22 bis 23 Prozent der Stimmen die nationalistische Volksfront von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erzielte rund 21 Prozent. Insgesamt stimmten rund 70 Prozent für die prowestlichen und nationalistischen Parteien.

Vor Unterstützern in seiner Parteizentrale sagte Poroschenko, dass die Koalitionsverhandlungen bereits am Montag beginnen und höchstens zehn Tage dauern sollten. „Eine Verfassungsmehrheit – mehr als drei Viertel der Wähler – haben kraftvoll und unumkehrbar einen europäischen Kurs für die Ukraine unterstützt“, hieß es in einer Erklärung auf Poroschenkos Webseite „Jede Verzögerung bei Reformen würde den sicheren Tod bedeuten. Deshalb erwarte ich die rasche Bildung einer Koalition.“

Die Bewegung Samopomitsch des Bürgermeisters von Lemberg (Lwiw) kam mit 13 Prozent auf Platz drei. Die prorussische Partei von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch schaffte es den Prognosen zufolge mit fast acht Prozent ebenfalls ins Parlament. Zugleich könnte der Urnengang das historische Aus für die kommunistische Partei im ukrainischen Parlament bedeuten: Die Kommunisten lagen bei nur noch drei Prozent. Es wäre das erste Mal seit dem Jahr 1993, dass die Kommunisten nicht in die Werchowna Rada in Kiew einzögen.

Mit je sechs Prozent meisterten drei weitere Parteien den Prognosen zufolge knapp die Fünf-Prozent-Hürde: die nationalistische Swoboda-Partei, die Partei der lange inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und die populistische Radikale Partei von Oleg Liaschko.

Erste Reaktion aus Moskau

Moskau erwartet nach dem Urnengang keine Besserung der Lage in der Ukraine, so die Sicht des prominenten russischen Außenpolitikers Alexej Puschkow. „Nichts ändert sich zum Besseren. Die Wahlen führen nicht zu einer neuen Machtkonfiguration, und diese Machthaber können nichts Neues geben – sie haben keine finanziellen Ressourcen“, teilte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma über den Kurznachrichtendienst Twitter am Sonntag mit.

Puschkow regierte damit auf Prognosen, wonach die prowestlichen Kräfte die Abstimmung zur neuen Obersten Rada gewonnen haben. „Auf die Ukraine wartet nicht etwa ein Prozess der Integration in Europa, sondern der völlige Verlust ihrer Unabhängigkeit für jene Brotkrümel, die ihr die USA und die EU hinwerfen“, meinte Puschkow.

Bereits im Vorfeld der Wahl hatten Umfragen für die Präsidentenpartei Block Poroschenko, der sich auch der Kiewer Bürgermeister und Boxweltmeister Vitali Klitschko angeschlossen hat, einen Sieg vorausgesagt – allerdings keine absolute Mehrheit. Der vor fünf Monaten gewählte Präsident dürfte folglich Koalitionspartner brauchen. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 hatten prowestliche Parteien bei Wahlen nie einen derartigen Zulauf erlebt.

In der Ostukraine wurde nicht gewählt

Etwa fünf Millionen der 36,5 Millionen Wahlberechtigten waren allerdings von dem Urnengang ausgeschlossen, da sie auf der von Russland annektierten Krim oder in den von den Rebellen kontrollierten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk leben. Die prorussischen Gegner der Kiewer Regierung wollen die Bürger in den beiden Städten am 2. November wählen lassen, um ihre Macht zu legitimieren.

Die Parlamentswahl könnte die Spaltung des Landes in einen ukrainischsprachigen Westen und einen russischsprachigen Osten daher noch verstärken. 27 der 450 Parlamentssitze sollten auch nach der Wahl unbesetzt bleiben, weil die Wahlkreise in Rebellengebieten oder auf der Krim liegen.

Experten zufolge könnten mögliche Koalitionspartner Poroschenko zu einem härteren Kurs gegenüber Moskau und gegenüber den Separatisten im Osten drängen wollen. Poroschenko selbst setzt sich bislang trotz aller Rückschläge für eine Verhandlungslösung ein.

Am Sonntagvormittag landete er mit einem Militärhubschrauber in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk, die die Regierungstruppen von Rebellen zurückerobert haben. „Ich bin im Donbass eingetroffen“, teilte er im Kurzbotschaftendienst Twitter mit, ein Foto zeigte ihn im Tarnanzug. Mit dem dramatischen Auftritt wollte Poroschenko wohl zeigen, dass er den Osten nicht vergessen hat.

Die Menschen in Donezk und Lugansk hätten am Sonntag zwar in Gebieten unter Kontrolle Kiews reisen und dort abstimmen können, doch nutzte kaum jemand die theoretische Möglichkeit. „Ich habe in meinem Bekanntenkreis niemanden, der sich zur Wahl in die ukrainische Zone begeben will“, sagte ein junger Mann in Donezk. An den Grenzen zu den Rebellengebieten stationierte Soldaten beklagten sich, dass sie keine Chance zur Abstimmung erhielten.

Das neue Parlament wird über neue Befugnisse verfügen, darunter die Ernennung des Ministerpräsidenten und seiner meisten Kabinettsmitglieder. Poroschenko dürfte Experten zufolge eine Allianz mit der moderaten Volksfront des amtierenden Regierungschefs Jazenjuk anstreben. Stabile Regierungsverhältnisse sind eine Bedingung für die dringend benötigte finanzielle Hilfe des Westens.