Hunderte Deutsche melden sich freiwillig zum Einsatz gegen die Seuche in Westafrika. Ein Teil wird bei der Bundeswehr in Appen bei Hamburg ausgebildet

Das Fingerspitzengefühl geht definitiv verloren. „Wenn man drei Schutzhandschuhe an den Händen trägt, dann werden einfache Tätigkeiten wie ein Pflaster aufkleben oder einen Zugang legen richtig schwierig.“ Michael P. lächelt zurückhaltend. Der 42 Jahre alte Oberstabsfeldwebel der Bundeswehr wird Mitte November nach Liberia aufbrechen und dort mit Ebola infizierte Patienten versorgen.

Seit diesem Montag gehört der Fachkrankenhelfer zu den Ausbildern, die 33 freiwillige Angehörige der Bundeswehr an der Unteroffiziersschule der Luftwaffe im schleswig-holsteinischen Appen für ihren Einsatz in Westafrika ausbilden. Fünf Tage lang bereiten die Kursusteilnehmer sich in Theorie und Praxis auf ihre Aufgabe vor.

Wie Außerirdische sehen die Lehrgangsteilnehmer in ihren blauen Schutzanzügen aus. Von ihrem Gesicht sind nur die Augen zu erkennen – durch eine Schutzbrille. Ein Ausbilder gibt Anweisungen: Kopfhaube, Brille, Handschuhe – alles muss wieder runter. Mühsam schält sich der Lehrgangsteilnehmer aus seinem hermetisch verschlossenen Kunststoffanzug. Von oben streift er ihn sich ab, peinlichst genau darauf achtend, nicht mit der Außenseite in Berührung zu kommen. Schon zehn Ebola-Viren reichen aus, sich mit der tödlichen Krankheit zu infizieren.

Erst wird der obere Teil des Anzugs heruntergerollt. Dann geht der Helfer in die Hocke und tritt zuerst mit einem Bein und anschließend mit dem anderen aus dem Anzug heraus. Jeder weiß, wie oft man im Hosenbein hängenbleibt. Dann gilt es, Ruhe zu bewahren und die Konzentration hochzuhalten.

Das Ausziehen gilt gemeinhin als der schwierigste Teil. „Es ist wie das Pellen einer Zwiebel“, beschreibt Michael P. das Prozedere. „Wir ziehen einen Teil der Schutzkleidung nach dem anderen aus.“ Zwischen jedem Schritt waschen sich die Helfer die Hände.

Was die Frauen und Männer, zumeist sind es Ärzte und Pflegekräfte, hier trainieren, ist eine Frage des Überlebens. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Bundeswehr wollen in Liberias Hauptstadt Monrovia ein Behandlungszentrum, ein sogenanntes Ebola Treatment Center einrichten. 100 Betten für Menschen, die sich mit der tödlichen Seuche infiziert haben, sind geplant. 300 Fachkräfte werden zur Betreuung nötig sein. 30 bis 40 von ihnen sollen aus Deutschland kommen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bislang mehr als 9200 Menschen an Ebola erkrankt. Mehr als 4500 Menschen starben. Vor allem im westlichen Sierra Leone steigt die Zahl der Erkrankungen offenbar noch immer dramatisch. In Liberia hat die Krankheit „die Menschen schneller getötet als der Bürgerkrieg“, sagte die Botschafterin des Landes, Ethel Davis, Anfang dieser Woche bei einer Gesundheitskonferenz in Berlin. Ihr Land könne die Seuche nicht eindämmen. „Die Menschen sind in einem Stadium der Angst und Panik.“

Für Michael P. ist es nicht der erste Einsatz. Der Fachkrankenpfleger, der sonst in der Abteilung Tropenmedizin im Hamburger Bundeswehrkrankenhaus arbeitet, erlebt seinen zwölften Einsatz im Ausland. Auch in Afrika war er bereits. „Trotzdem gab es in meiner Familie Diskussionen“, erzählt er. Am Ende aber trugen alle die Entscheidung mit. „Ich werde ein Tagebuch führen.“

Die Helfer aus Deutschland würden in der Regel fünf Wochen lang in Westafrika im Einsatz sein, sagt Dirk Kamm vom Deutschen Roten Kreuz. Das DRK hat die Federführung bei der Hilfsaktion in Liberia übernommen, die Bundeswehr wird die Organisation unterstützen. Sie spricht von etwas mehr als 550 Freiwilligen, die für einen Einsatz in Afrika infrage kämen. Das DRK vermeldete, dass sich bislang rund 450 Personen beworben hätten. Etwa 200 davon seien geeignet und einsetzbar.

Die WHO schätzt, dass etwa 1000 Helfer aus dem Ausland benötigt werden

In Appen seien zunächst vier Lehrgänge geplant, sagt Brigadegeneral Michael Traut. Bis zu 160 Freiwillige könnten in den kommenden Wochen in der Kaserne ausgebildet werden. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt den Bedarf an Helfern aus dem Ausland auf etwa 1000. Weil aber die Gefahr vor Ansteckung enorm ist, gestaltet es sich offenbar schwierig, ausreichend viele Freiwillige zu finden.

Von Angst mag Michael P. nicht reden, lieber von Respekt. „Wer sich an die Regeln hält, die Nerven nicht verliert, für den ist die Gefahr gering, sich mit der Seuche anzustecken.“ Das klingt einfach, ist es aber nicht. „Routine ist die größte Gefahr, der wir begegnen“, sagt Michael P. Wenn man den Anzug zum hundertsten Mal ausziehe, erschöpft und müde sei, dann passierten Unaufmerksamkeiten. „Jeder Fehler kann gefährlich werden.“

Auch wenn die Ausbildung in Appen wirklichkeitsnah ist, so können die Helfer hier eines nicht erleben: die subtropische Hitze Westafrikas. „Es ist, als würde man in seinem eigenen Saft schmoren“, beschreibt Michael P. das Körpergefühl in dem Anzug. Bis zu sechs Liter Wasser müsse man am Tag trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Der Schweiß rinnt den Körper hinab, die Hitze staut sich, treibt den Puls hoch und fordert von jeder Faser des Körpers Höchstleistung. Zwischen 30 und 60 Minuten werde in Monrovia ein Einsatz im Schutzanzug jeweils dauern, erzählt Michael P.

In so einem Moment die Konzentration hochzuhalten, ist weitaus schwerer als man sich gemeinhin vorstellen kann. Jeder, der schon mal an einem Triathlon teilgenommen hat, kennt die Desorientierung in der Wechselzone. Spitzensportler trainieren den Wechsel der Kleidung nachts nach 24 Stunden ohne Schlaf.

Der menschliche Körper gerät bei einem Einsatz rascher an seine physischen Grenzen als man sich vorstellen kann. Vor allem wenn Unvorhergesehenes passiert, ein Patient plötzlich Blut erbricht, eine unvorhergesehene Bewegung macht, sich vielleicht wegdreht oder vor Schmerz zusammenzuckt, heißt es für die medizinischen Helfer, Ruhe zu bewahren, heißt es in Berichten von Ärzten, die schon in Afrika im Einsatz waren. Dann sei es wichtig, einen Schritt zurückzutreten, abzuwarten und den Impuls, zu helfen, in den Griff zu bekommen.

Die Helfer werden immer in Zweierteams auftreten, sagt Michael P. In Zweierteams wird sich angekleidet, wird gearbeitet und wird der Schutzanzug ausgezogen. „Wir überwachen uns gegenseitig.“ Das Vieraugenprinzip, bei der Bundeswehr sprechen sie von „Buddy-Prinzip“, ist eine (Über)-Lebensversicherung. Der Partner schaut nicht nur genau hin. Er hilft, wenn etwas hakt, weiß Rat oder ist einfach nur da, wenn es gilt, mit der eigenen Unruhe klarzukommen.

Die Sicherheit fängt beim Auspacken der Schutzanzüge an. „Wir prüfen gleich am Anfang, ob alles in Ordnung ist und es keine Löcher gibt.“ Das Anziehen dauert, wenn man ein eingespieltes Team ist, zehn bis fünfzehn Minuten. Am Anfang braucht man aber auch schon mal eine halbe Stunde. Anzüge, Handschuhe und Schürze werden nach jedem Einsatz verbrannt. Stiefel und Brille werden dagegen desinfiziert und mehrfach genutzt.

Michael P. ist sicher, dass die Helfer in Westafrika willkommen sein werden. Er setzt bei dieser Einschätzung auf seine Erfahrungen aus früheren Einsätzen. Zudem seien die Menschen in Afrika besonders duldsam. „Manchmal stehen sie bereits morgens, um fünf Uhr, vor dem Krankenhaus und warten dann stundenlang, bis sie behandelt werden.“

Als Michael P. nach seinen Motiven gefragt wird, freiwillig in den Ebola-Einsatz zu gehen, zögert er einen Moment. „Das ist meine Auffassung von Dienst“, sagt er schließlich. „Von den Feuerwehrleuten erwarten wir, dass sie in ein brennendes Haus gehen. Von mir kann man erwarten, dass ich in Afrika meinen Job mache.“ Ähnlich sieht es Claudia F. Die 36 Jahre alte Hamburger Tropenmedizinerin räumt ein, dass sie Angst habe. „Aber jetzt ist der Fall eingetreten, für den ich ausgebildet wurde.“ Claudia F. bringt Erfahrung aus der Behandlung des ersten Ebola-Patienten in Hamburg mit ein, der geheilt vom Uni-Klinikum entlassen werden konnte. Sie weiß daher auch um die „große psychische Belastung“, besonders wenn Helfer sich um Sterbende kümmern müssen. Auch darauf würden die Kursusteilnehmer vorbereitet. „Zudem haben wir psychologisch geschultes Personal vor Ort.“ Sich alles von der Seele reden zu können, das wird in der Fremde wichtig sein.

Doch so weit sind die Helfer, die in Appen ausgebildet werden, noch nicht. Sie sind noch in der Vorbereitung auf den Einsatz. Aber sie wissen eines: Ebola verzeiht keinen Fehler.