Kanada rätselt über Angreifer von Ottawa. Fest steht: Er wollte nach Syrien und war Einzeltäter – aber hatte er Helfer?

Ottawa. Der Attentäter von Ottawa hat vor seiner Bluttat wochenlang versucht, nach Syrien zu gelangen. Der 32-Jährige habe mit Behörden in den vergangenen drei Wochen über seinen Reisepass verhandelt. Das berichtete am Donnerstag die kanadische Polizei.

Sein Ziel sei es gewesen, unbedingt in das Bürgerkriegsland zu kommen. Er hatte am Mittwoch einen Ehrenwache haltenden Soldaten erschossen und war beim Angriff auf das nahe Parlament getötet worden. Die Polizei bestätigte, dass der Mann beim Angriff auf den Soldaten und das Parlament allein gehandelt habe. Dennoch werde weiter untersucht, ob er Unterstützer hatte. Der Sicherheitschef des Parlaments schoss den Mann nieder – kurz vor dem Sitzungssaal. Bisher kannten die Kanadier nicht den Namen dieses Kevin Vickers, nur die Bilder, wenn er vor Parlamentssitzungen das alte Zepter in den Saal trägt. Jetzt ist der 58-Jährige ein Held. Der Polizei zufolge stand der Attentäter aber nicht, wie zuvor gemeldet, auf einer Liste von 90 Terrorverdächtigen, die nicht ausreisen dürften. Er habe neben seiner kanadischen möglicherweise auch eine libysche Staatsbürgerschaft, geboren sei er aber in Kanada. Der Vorbestrafte sei vorher auch nicht durch Taten aufgefallen, die ihn in die Nähe von Terroristen gerückt hätten.

Der US-Sender CNN berichtet, der 32-Jährige habe Kontakt zu Islamisten gesucht. Per E-Mail und Facebook habe er sich mit bekannten Extremisten ausgetauscht. Unklar war aber, ob das über reine Internetkontakte hinausging.

Die Polizei hatte einen Tag nach der Tat erstmals Bilder von Überwachungskameras gezeigt. Darin ist zu sehen, wie der Mann mit einem Auto auf das Parlamentsgebäude zurast und direkt vor der Tür hinausspringt. Unklar war noch, wie er mit dem Gewehr in das Gebäude kam. Kanada ist sehr viel lockerer mit den Bestimmungen als die USA, Sicherheitskontrollen gibt es am Parlament dennoch. Die Polizei kündigte an, kanadaweit ihre Präsenz zu erhöhen. „Es gibt keine akute Gefahr mehr. Aber seien Sie wachsam, wir sind es auch.“

Viele Kanadier frage sich weiter: War es ein Islamist oder ein Verrückter? Möglicherweise war er beides. Nach und nach verdichtet sich das Bild eines Menschen, der vom Islam angezogen war, von Bekannten aber auch als verwirrt bezeichnet wurde.

Er soll Michael Zehaf-Bibeau heißen und eine Vergangenheit mit Vorstrafen und Drogen haben. Zehaf-Bibeau wurde in Kanada geboren, soll aber auch einige Zeit in Libyen gewesen sein. Vom Islam habe er sich angezogen gefühlt und immer wieder eine Moschee besucht. Also ein hartgesottener Islamist, wie der Times-Square-Bomber in New York oder die Attentäter von Boston? „Ich denke, er war geisteskrank“, zitiert „The Globe and Mail“ einen Freund von Zehaf-Bibeau. Er sei ihm nicht extremistisch erschienen, habe aber oft davon gesprochen, vom Teufel verfolgt zu werden.

Konnte man die Pläne eines Verwirrten ahnen? Oder war Zehaf-Bibeau doch kaltblütiger, als es zunächst den Anschein hatte? Sein Ziel wird er vermutlich nicht erreichen. Kanada ist stolz darauf, dass seine Institutionen nicht zu Festungen ausgebaut sind wie beim Nachbarn USA. So soll es auch bleiben, versicherten Politiker. Und Premier Stephen Harper beteuerte, dass sich Kanada nicht einschüchtern lasse. Das Land ist an den Luftschlägen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beteiligt. Nach der „brutalen und gewalttätigen Tat“ von Ottawa kündigte Harper ein noch stärkeres Engagement seines Landes im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an.