Ein Wachsoldat stirbt, im Parlament in Ottawa fallen Schüsse. Waren es radikale Islamisten?

Ottawa. Bei einem Anschlag auf das kanadische Regierungsviertel haben Unbekannte in Ottawa einen Soldaten getötet, einen Wachmann angeschossen und sind in das Parlament eingedrungen. Dort fielen Dutzende Schüsse. Auch einer der womöglich drei Täter kam nach Angaben der Polizei ums Leben, mehrere Menschen wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht. Mindestens ein weiterer Angreifer sei noch flüchtig, hieß es. Meldungen, nach denen auch in einem Einkaufszentrum mehrere Schüsse gefallen seien, bestätigten sich im Nachhinein nicht.

Der niedergeschossene Soldat kam schwer verwundet ins Krankenhaus, wo er drei Stunden später seinen Verletzungen erlag. Arbeitsminister Jason Kenney kondolierte über Twitter der „Familie des getöteten Soldaten“. Sein Land werde sich „nicht terrorisieren oder einschüchtern lassen“, erklärte Kenney. Kanada und die USA versetzten das gemeinsame Luftverteidigungskommando in erhöhte Alarmbereitschaft, US-Präsident Barak Obama werde laufend über die Lage informiert, berichtete CNN. Gepanzerte Fahrzeuge und schwer bewaffnete Polizisten gingen vor dem Gebäude im Zentrum Ottawas in Stellung.

Die Attacke begann am Morgen, als im Parlament gerade die wöchentlichen Fraktionssitzungen begonnen hatten. An den Sitzungen nehmen traditionell zahlreiche Abgeordnete und Senatoren teil. Die ersten Schüsse fielen nach Angaben der Polizei um 9.52 Uhr Ortszeit (15.52 Uhr deutscher Zeit) zunächst vor dem Kriegsdenkmal unweit des Parlamentsgebäudes, durch die der Wachsoldat schwer verletzt wurde. Rettungskräfte versuchten vergeblich, ihm mit einer Herzdruckmassage das Leben zu retten. Augenzeugen beobachtete, wie der bärtige Angreifer dann den Fahrer eines vorbeifahrenden Autos zwang, ihn zum Eingang des Parlaments zu fahren. Verfolgt von mit Gewehren bewaffneten Polizisten sei er dann ins Parlament gerannt.

Das Fernsehen zeigte dramatische Bilder aus dem Parlamentsgebäude, bei denen schwer bewaffnete Polizeibeamte auf der Suche nach den Tätern geduckt über die Gänge liefen. „Mindestens 30 Schüsse während der Sitzung. Wir sind in Sicherheit, aber es ist noch nicht vorbei“, twitterte der Abgeordnete Tony Clement während der Attacke. „Ich hatte buchstäblich gerade meine Jacke abgelegt, um in die Fraktionssitzung zu gehen, als ich pop, pop, pop rund zehn Schüsse hörte“, berichtete auch der Abgeordnete John McKay später dem Sender CBC. Polizisten seien kurz darauf in den Raum gestürmt und hätten alle Abgeordneten durch den Hinterausgang hinausgebracht. Premierminister Stephen Harper, der sich ebenfalls im Gebäude befand, wurde umgehend in Sicherheit gebracht.

Die Sicherheitsstufe vor dem Angriff auf das kanadische Parlament war nach Angaben der Polizei auf mittlerem Niveau. „So ist sie seit Jahren und wir hatten keine Hinweise, die eine Verschärfung nötig gemacht hätten“, sagte Gilles Michaud von der Royal Canadian Mounted Police.

Erst am Montag hatte ein mutmaßlicher Islamist zwei kanadische Soldaten mit dem Auto überfahren. Ein Soldat starb, der Täter, gegen den ein Ausreiseverbot galt, wurde nach einer Verfolgungsjagd von Polizeibeamten erschossen.

Unklar blieb zunächst, ob radikale Islamisten auch hinter den Angriffen von Ottawa standen. Die Behörden wollten diesen Verdacht nicht bestätigen. „Wir wissen, dass es viele Fragen gibt, und wir werden sie beantworten“, hieß es von der Polizei. „Noch können wir es aber wegen der laufenden Ermittlung nicht.“ Kanada beteiligt sich im Irak an den Luftangriffen des von den USA geführten Bündnisses auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Die Polizei sperrte das Regierungsviertel weiträumig ab und forderte alle Passanten auf, sich vom Parlamentshügel fernzuhalten. Das Gebäude wurde abgeriegelt. Alle Polizeiwachen wurden für den Besucherverkehr geschlossen. Die Polizei forderte die Menschen in der Innenstadt von Ottawa auf, sich nicht am Fenster zu zeigen oder auf Dächer zu gehen. Die US-Botschaft wurde abgeriegelt, die Mitarbeiter wurden aufgefordert, ihre Jalousien herunterzuziehen.

Das Regierungsviertel in einem Park am Fluss Ottawa ist sonst frei zugänglich, nichts erinnert an das abgeriegelte Weiße Haus oder das zur Festung umgebaute Capitol in Washington. Jeden Tag lassen sich Tausende Touristen mit den Wachen fotografieren oder machen eine Tour durch das Gebäude, in dem Fremdenführer mit roter Weste fast alle Türen öffnen. Auch das Denkmal für die Kriegstoten, in dessen Nähe die tödlichen Schüsse auf den Soldaten fielen, steht unmittelbar am Parlamentspark, nur durch eine Straße getrennt. Die Ehrenwache ist zwar bewaffnet, die Sturmgewehre dienen aber rein repräsentativen Zwecken. Unklar war, ob sie normalerweise überhaupt geladen sind.

Warum Kanada? Das Land gilt als Musterschüler mit Entwicklungshilfe, großem Uno-Engagement und fortschrittlicher Politik. Es ist aber auch ein enger Verbündeter der USA, und Premierminister Stephen Harper gilt als Freund Israels. Muslimischen Ländern streckt er zwar immer wieder die Hand aus. Er sagt aber auch deutlich, dass Muslime selbst gegen den Terror aus ihren Reihen vorgehen müssten. In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis zu muslimischen Ländern abgekühlt. Der kanadische Unterhausabgeordnete Charlie Angus forderte nach dem Anschlag die Öffentlichkeit auf, sich nicht einschüchtern zu lassen. Ausdrücklich warnte er davor, das Parlament nun für die Bürger zu sperren. „Wir dürfen uns nicht der Angst hingeben, wir dürfen diesen schönen Ort nicht abschotten.“