Gegen den Willen der Türkei unterstützen die USA die Verteidiger von Kobane im Kampf gegen die Terrormiliz IS

Washington/Istanbul. Fünf Wochen nach Beginn der Belagerung der nordsyrischen Stadt Kobane durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) haben US-Flugzeuge die dort kämpfenden Kurden erstmals mit Waffen versorgt. Nahe der Stadt an der Grenze zur Türkei warfen C-130-Transportmaschinen mehrere Ladungen Waffen, Munition und medizinische Güter ab, wie das US-Zentralkommando mitteilte. Die Lieferungen seien von kurdischen Stellen im Irak zur Verfügung gestellt worden. Die Türkei erlaubt zudem erstmals irakischen Peschmerga-Kämpfern die Einreise nach Kobane, um die Verteidiger der Stadt zu verstärken.

Die syrischen Kurden bestätigten den Erhalt der Lieferung. „Eine große Menge Waffen und Munition hat Kobane erreicht“, sagte ein Sprecher der Volksschutzeinheiten. Der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte: „Ohne Zweifel wird die Ankunft der Waffen den Verlauf des Kampfes verändern.“ Es seien leichte und mittelschwere Waffen, Maschinengewehre, panzerbrechende Waffen, Munition und Hilfsgüter geliefert worden. Die Versorgung aus der Luft soll dazu beitragen, die Verteidigung der Stadt gegen den IS-Ansturm aufrechtzuerhalten. Zugleich setzen die USA ihre Luftangriffe gegen die Dschihadisten fort.

Die erste Waffenlieferung an die Volksschutzeinheiten in Kobane ist zwar eine gute Nachricht für die Verteidiger der Stadt. Dass die USA die ersehnten Waffen allerdings in einem nächtlichen Einsatz aus der Luft abwerfen mussten, anstatt sie über die Türkei zu schicken, wirft ein Schlaglicht auf die Rolle Ankaras im Kampf gegen den IS. Der Nato-Partner setzt mit seiner undurchsichtigen Haltung sein internationales Ansehen aufs Spiel.

Noch am Wochenende hatte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen internationale Waffenlieferungen für die syrischen Kurden ausgesprochen. Die syrisch-kurdische Partei PYD, deren bewaffneter Arm die Volksschutzeinheiten sind, fordert einen Korridor für ihre eigenen Kämpfer und für Nachschub durch die Türkei nach Kobane. Erdogan aber greift die kurdischen Kämpfer in Syrien, die im Westen als Bastion gegen den IS in Kobane einigen Respekt gewonnen haben, jetzt sogar rhetorisch an.

Erdogan sagte, die PYD sei ebenso eine „Terrororganisation“ wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Bereits vor rund zwei Wochen hatte er die PKK mit dem IS gleichgesetzt – und damit viele Kurden auch in der Türkei verprellt: „So wie die Türkei gegen die Terrororganisation IS ist, so ist sie auch gegen die Terrororganisation PKK.“ Folgt man dieser Logik, sind die kurdischen Kämpfer in Kobane für Erdogan nicht besser als die Dschihadisten. Beobachter des Politbetriebs in Ankara sind ratlos, was Erdogan, der eigentlich einen Friedensprozess mit der PKK in der Türkei anstrebt, mit seiner aggressiven Rhetorik bezwecken will.

Überraschend verkündete Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Montag dann doch noch Hilfe für Kobane. Zwar will die Türkei immer noch keinen Korridor für die Volksschutzeinheiten zulassen, die in Syrien in Enklaven östlich und westlich von Kobane bereit zum Einsatz wären. Sie erlaubt laut Cavusoglu aber kurdischen Peschmerga-Kämpfern aus dem Nordirak die Passage durch die Türkei nach Kobane. Zu den Peschmerga pflegt Ankara ein gutes Verhältnis. Sie sind zudem kampfkräftig – und inzwischen auch mit deutschen Waffen ausgestattet. Cavusoglu sagte allerdings zugleich, direkte türkische Hilfe für die syrischen Kurden werde es weiterhin nicht geben.

Auch auf eine der zentralen Forderungen der USA, türkische Basen wie Incirlik für Luftangriffe des Anti-IS-Bündnisses zu öffnen, geht Ankara weiter nicht ein. Die Ankündigung der Nationalen Sicherheitsberaterin Susan Rice, die Türkei habe die Nutzung von Basen zugesagt, dementierte Ankara in der vergangenen Woche. Die türkische Regierung teilte mit, die Gespräche darüber dauerten an. Bis heute ist kein Ergebnis bekannt.

US-Regierungsvertreter üben zwar anonym und über Medien scharfe Kritik am Nato-Partner. Offiziell gibt sich Washington aber diplomatisch – wohl in der Hoffnung, Ankara doch noch ins Boot holen zu können. „Die Türkei ist ein geschätzter Partner der Koalition“, sagte US-Außenminister John Kerry auch noch nach Ankaras Dementi zu Incirlik. Es gebe nach seinem Wissen „keine Diskrepanzen“ mit dem Nato-Partner. Nach einem Telefonat von US-Präsident Barack Obama mit Erdogan teilte das Weiße Haus am Sonntag mit, beide hätten vereinbart, „weiterhin eng zusammenzuarbeiten, um die Kooperation gegen IS zu stärken“.

Den Ruf eines kooperativen Partners hat Ankara jedoch schon länger nicht mehr, das Ansehen der Türkei leidet nicht erst seit Kobane. Die Niederschlagung der Gezi-Proteste im Sommer 2013, Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung und die autoritäre Gangart der politischen Führung haben das Image angekratzt. Die Haltung im Kampf gegen den IS dürfte nun auch eine Rolle bei der Niederlage der Türkei im Weltsicherheitsrat in der vergangenen Woche gespielt haben. Bei der Wahl der fünf neuen Mitglieder für das mächtigste Uno-Gremium bekam die Türkei gerade einmal 60 Stimmen – und verpasste klar den Einzug.