Singapur. Kailash Satyarthi ist selber Vater. Doch seinen Nobelpreis will er „allen Kindern in der Welt widmen“, erklärte er glücklich im Interview mit der BBC. Sein Leben lang kämpft der bärtige Inder mit den sanften Augen gegen die Ausbeutung von Kindern – und rettete so mindestens 80.000 von ihnen das Leben. Der 60 Jahr alte gelernte Elektroingenieur aus der kleinen Stadt Vidisha im Bundesstaat Madhya Pradesh hat von klein auf mitangesehen, wie wenig der Schutz der Kindheit zählt in Südasien. Wo Eltern aus Armut gezwungen sind, ihre Söhne und Töchter in die Knechtschaft und Sklaverei zu verpfänden. Wo Kinderarbeiter ein Viertel aller ungelernten Arbeitskräfte ausmachen, allein in Kailashs Heimat Indien sind es 140 Millionen.

Kinderarbeiter sind hier billig und der Vorrat an diesen billigen Arbeitskräften ist unerschöpflich in einer Region, wo die Geburtenrate hoch und die Armut bitter ist. Sie werden ausgebeutet von korrupten Geschäftsleuten und Landbesitzern. Kailash wollte es nicht mehr mitansehen. Und so gab er mit 26 Jahren eine vielversprechende Karriere auf und widmete sein Leben fortan dem Kampf für die, die sich nicht selbst helfen können. Als junger Mann befreite er diese Kinder mit seinen eigenen Händen aus den Klauen ihrer Ausbeuter: Mit Gleichgesinnten stürmte er Fabriken, in denen Kinder und oft ganze Familien wie Sklaven gehalten wurden. Er kämpfte gegen bewaffnete Wachleute, trat verschlossene Tore ein. So befreite er Tausende von Kindern und ermöglichte ihnen ein normales Leben.

Mit der Zeit wurden seine Methoden ausgefeilter und effizienter. Er setze Anwälte ein, brachte Fälle vor Gericht, schuf Öffentlichkeit. Er veränderte die Einstellung der Menschen, machte sie empfindlich für die Missstände um sie herum. In einer Welt, wo die meisten die Augen verschließen vor Unrecht und Unterdrückung, zwang er die Leute hinzusehen. Kailash baute im Jahr 1980 seine globale Bewegung gegen Kinderarbeit auf. Seine Bachpan Bachao Andolan, übersetzt Bewegung zur Rettung der Kindheit, ist ein Sammelsurium aus über 2000 sozialen Organisationen und Gewerkschaften in 140 Ländern. Alle setzen sie sich für die Rechte der Kinder und auch für ein Ende von Menschenhandel ein.

Immer wieder wird Kailash mit Mahatma Gandhi verglichen. Wie sein friedliebender Landsmann organisierte auch der leidenschaftliche Kinderrechtsaktivist einen gewaltlosen Marsch für seine Sache. 1998 begann der „Global March Against Child Labor“, der weltweite Marsch gegen Kinderarbeit, der über eine Strecke von 80.000 Kilometern durch Asien, Afrika, Amerika, Australien und Europa führte und in Genf endete. Auch wenn der engagierte Inder inzwischen längst ein weltweit anerkannter Menschenrechtsaktivist ist, er macht sich, wenn nötig, immer noch die Hände schmutzig. Sein Credo: Wir müssen uns auf die unterschiedlichsten Aktivitäten stützen, ob zupackend an der Basis oder hoch visionär, um den Kampf zu gewinnen.

Schon an der Universität litt Kailash mit den weniger glücklichen Studenten und setzte sich dafür ein, dass ihr Leben leichter wurde. Er gründete eine Buchbank für die, die sich keine Lehrbücher leisten konnten. Inzwischen kämpft er an vielen Fronten. Er bringt die Menschen in aller Welt dazu, keine Produkte aus Kinderarbeit mehr zu kaufen. Er bildet Jungen und Mädchen aus, damit sie ihre Schulden oder die ihrer Eltern bezahlen und sich aus der Knechtschaft freikaufen können. Er bringt diese Kinder dazu, als „Agenten“ in ihren Gemeinden andere potenzielle Opfer zu warnen.

Am deutlichsten wird Kailashs Erfolg in der Produktion von Teppichen – dem teuersten Exportgut seiner Heimat. Er hat durchgesetzt, dass jeder Teppich ein Kontrollsiegel tragen muss, ein Zertifikat, dass er nicht aus Kinderhänden entstand. Die Rugmark Stiftung ist Kailashs Vorzeigeprojekt. Gleichzeitig bietet er den Eltern der Betroffenen eine Alternative an: Sie sollen den Platz ihrer Kinder einnehmen und entsprechend bezahlt werden.

„Es ist eine große Ehre für all die Kinder, denen weltweit ihre Kindheit vorenthalten wird“, sagt Kailash, nachdem er von der Entscheidung des Nobel-Komitees erfuhr, „Ich bin allen dankbar, die mir in den vergangenen 30 Jahren geholfen haben. Es ist nicht nur eine Ehre für mich, es ist eine Ehre für alle, die weltweit gegen Kinderarbeit ankämpfen. Ich mag sie nicht alle kennen, aber es gibt viele Menschen, die ihre Zeit und ihr Leben der Sache der Kinderrechte opfern, und ich würde ihnen allen gern danken und gratulieren, denn es ist symbolisch für mich. Es bin nicht nur ich, der mit diesem Preis gewürdigt wird, es ist jeder, der gegen Kindersklaverei in der Welt kämpft.“

Außerdem wandte er sich an seine Landsleute: „Eine Menge Ruhm gilt den Indern, die dafür kämpfen, dass die Demokratie so lebendig und dynamisch bleibt, wodurch ich dann in der Lage war, meinen Kampf weiterzuführen.“ Kailashs Einfluss reicht weit, auch bis in die eigene Familie. Seine Tochter tritt in seine Fußstapfen – sie nahm schon an den Aktivitäten ihres Vaters teil, als sie gerade mal zehn Jahre alt war.