In Australien wollten IS-Sympathisanten einen willkürlich ausgewählten Bürger entführen und enthaupten. Deutsche Sicherheitsexperten sind alarmiert

Berlin/Sydney. Nach der Enttarnung von Anschlagsplänen von Islamisten in Australien sehen sich die deutschen Sicherheitsbehörden in ihren Warnungen bestätigt: Die Terrorgefahr ist mit dem Erstarken der Gruppe Islamischer Staat (IS) größer geworden, auch in Deutschland.

Zwar gibt es nach offiziellen Angaben weiter keine Hinweise auf konkrete Attentatsplanungen, unmittelbare Konsequenzen hatten die Festnahmen in Australien für die deutsche Terrorabwehr offenbar nicht. Aber die Sicherheitsbehörden sind nach Aufrufen zu Anschlägen in Europa ohnehin sensibilisiert: „Es besteht eine abstrakt hohe Gefährdung, die jederzeit in Form von Anschlägen real werden kann“, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums dem Abendblatt.

Andere Staaten – Australien oder Großbritannien – haben jüngst ihre Terrorwarnstufe erhöht. Das ist in Deutschland nicht möglich, weil hier ein solches Warnsystem gar nicht existiert, aber von einer „erhöhten Gefahr“ spricht bereits auch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Die „große Sorge“ gilt den aus Deutschland stammenden Islamisten, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, um sich vor allem der IS-Terrormiliz anzuschließen. Maaßen sagt, inzwischen seien „weit mehr als 400 Personen“ in das Krisengebiet gereist. 130 von ihnen sind zurückgekehrt, mindestens 25 haben Kampferfahrung.

Was die Experten alarmiert: Als vor einigen Jahren eine viel schwächere Reisebewegung von deutschen Islamisten nach Afghanistan und Pakistan zu beobachten war, wurden in Deutschland wiederholt Anschläge vorbereitet – die Pläne etwa der Sauerland-Gruppe oder einer Düsseldorfer Terrorzelle wurden rechtzeitig enttarnt. Der Verfassungsschutzpräsident warnt deshalb: Angesichts der weit höheren Zahl von Ausreisen nach Syrien und Irak und der „deutlich stärkeren Brutalisierung“ dort müsse man erwarten, „dass es Personen gibt, die zurückkommen und hier Anschläge begehen“. Maaßen: „Insofern sehen wir eine erhöhte abstrakte Gefahr – wir müssen einfach sehr, sehr wachsam sein.“

Nach einer internen Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) ist das Risiko durch die deutschen Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak noch gestiegen – Mitglieder oder Sympathisanten des in Deutschland inzwischen verbotenen IS könnten die Waffenhilfe als unberechtigte Einmischung verstehen und Deutschland als Kriegsgegner betrachten. Denkbar sind demnach sowohl vom IS organisierte Aktionen, für die Rückkehrer eingesetzt würden, als auch Einzeltäter, die unabhängig von der Terrormiliz agierten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat kürzlich schonungslos eingeräumt, ein Anschlag wie auf das Jüdische Museum in Brüssel „kann jeden Tag auch bei uns passieren“. Bei dem Terrorakt hatte im Juni ein Dschihadist nach seiner Rückkehr aus Syrien vier Menschen getötet.

Der Plan der in Australien gefassten Islamisten war grausam: Sie wollten in Sydney einen Bürger entführen, ihn in eine IS-Flagge wickeln und ihn an einem öffentlichen Ort enthaupten. Keinen Politiker, keinen Soldaten, sondern einen willkürlich ausgewählten Menschen. Jemanden, der einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre. Stattfinden sollen hätte die Tat vermutlich auf dem täglich von Tausenden Menschen besuchten Martin-Platz mitten in der Innenstadt. Die Terroristen wollten den Mord filmen und das Video in den sozialen Netzwerken verbreiten – so wie es die IS-Islamisten mit den Bildern von drei ihrer in Syrien entführten Geiseln taten. Mit der größten Anti-Terror-Razzia der australischen Geschichte konnte die Polizei den geplanten Terrorakt am Donnerstag verhindern. Ein abgehörtes Telefonat hatte die Beamten auf die Spur der IS-Unterstützer gebracht.

Als die Festnahme am Vormittag australischer Zeit bekannt wurde, reagierten viele Bürger schockiert – aber besonnen. „Noch bevor ich davon hörte, fielen mir die vielen Wachleute am Fähranleger in Sydney auf“, berichtete die Australierin Marianne Skillicorn. An jedem Anleger seien zwei Sicherheitsleute stationiert gewesen. „Das gab es letzte Woche noch nicht.“

Besonnenheit lag auch Polizeikommissar Andrew Scipione am Herzen: „Im Augenblick müssen wir Ruhe bewahren“, sagte er. „Wir müssen das nicht künstlich aufbauschen.“ Proteste gab es dennoch – gegen die „brutalen Taktiken“ der Anti-Terror-Einheiten. Noch am Tag der Festnahme versammelten sich rund 400 Muslime in Sydney. Angesehene Mitglieder der muslimischen Gemeinde, die im traditionellen Einwanderungsland Australien hohes Ansehen genießt, brachten dagegen ihr Entsetzen über die Terrorpläne zum Ausdruck.

„Wir sind von diesen Anschuldigungen schockiert und bitten jeden, nicht aufgrund der Taten von Individuen die gesamte australische muslimische Gemeinde zu verurteilen und Hass zu entflammen“, sagte Jamal Rifi, ein angesehener Arzt der muslimischen Gemeinde der australischen Zeitung „Daily Telegraph“. Genau darum, Hass zu säen und die Multikultigesellschaft Australiens zu entzweien, sei es bei der geplanten Enthauptung gegangen, schrieb Nick O’Brien auf der Webseite „The Conversation“. O’Brien lehrt im Bereich Terrorismusbekämpfung an der Charles Sturt University. „Die einzigen Leute, die gewinnen würden, wenn Australien sich entzweit, sind die Extremisten.“

Australiens Regierungschef Tony Abbott, der während der Razzien Campingurlaub im australischen Busch machte, ließ sich von den vereitelten Attentaten nicht aus der Ruhe bringen. Australiens Pläne, die USA im Kampf gegen IS im Irak zu unterstützen, seien nicht ausschlaggebend gewesen. „Diese Leute hassen uns dafür, wie wir leben“, sagte er. „Das macht uns zu einem Ziel.“