Westliche Politiker sprachen von einem Bruch des Völkerrechts. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, dass über mögliche neue Sanktionen gegen Russland diskutieren werden soll.

Kiew. Der Konflikt im Osten der Ukraine hat sich am Donnerstag dramatisch zugespitzt. Nach Angaben der Nato sind mindestens 1000 reguläre russische Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen auf ukrainisches Territorium vorgedrungen. Die Allianz legte als Beweis Satellitenfotos vor, die lange Fahrzeugkolonnen zeigen. Ein Nato-Offizier sprach von einer „Invasionsarmee“. Sie habe die Aufgabe, die prorussischen Separatisten in ihrem Kampf zu unterstützen. Die Russen sollen nach ukrainischen Angaben die strategisch wichtige Stadt Nowoasowsk an der Schwarzmeerküste eingenommen haben. Moskau bestritt die Vorwürfe. Es gebe keine russischen Truppen in der Ukraine.

Noch am Donnerstagabend beriet der Weltsicherheitsrat in New York über die neue Lage. Westliche Politiker sprachen von einem Bruch des Völkerrechts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, dass die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am Sonnabend über mögliche neue Sanktionen gegen Russland diskutieren werden. Man strebe eine „diplomatische Lösung“ des Konflikts an. Allerdings sei die Lage nun noch einmal schwieriger geworden.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates ein und sagte eine Reise in die Türkei ab. „Russische Kräfte sind in die Ukraine eingedrungen, mein Platz ist in Kiew“, erklärte er. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin warf Russland vor, mit Fallschirmjägern und anderen Soldaten sein Land „und die ganze Welt“ in einen Krieg hineinzuziehen. Er erwarte von Europa eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sowie militärische und technische Hilfe, zitiert ihn die „Bild“-Zeitung.

Präsident Poroschenko rief die Bevölkerung zu Ruhe auf. Man dürfe jetzt nicht „in Panik“ verfallen, dies helfe nur dem Gegner. Die ukrainischen Truppen hätten die Lage im Osten des Landes „unter Kontrolle“ gebracht. Trotz der massiven Invasions-Vorwürfe an Moskau trafen sich am Donnerstag erstmals Vertreter der Generalstäbe Russlands und der Ukraine. Sie hätten über einen Gefangenenaustausch gesprochen, sagte Poroschenko. Er wies den Grenzschutz an, im umkämpften Osten gemeinsame Patrouillen mit russischen Kollegen zu organisieren. Pläne für die Konsultationen von Generalstab und Grenzschutz hatte Poroschenko nach seinem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin beim Minsker Krisengipfel am Dienstag angekündigt.

Nach Angaben des ukrainischen Sicherheitsrats sind zwei russische Panzerkolonnen über den Grenzübergang Weselo-Wosnesenka eingedrungen, der zuvor aus Russland mit Raketen beschossen worden sei. Sprecher Andrej Lyssenko sagte, die nicht ausreichend bewaffneten ukrainischen Grenzposten hätten die Panzer durchgelassen und seien geflohen. Im Hauptquartier der Nato in Mons (Belgien) sagte der niederländische Brigadegeneral Nikolaas Tak, man habe festgestellt, dass „große Mengen hochmoderner Waffen einschließlich Luftabwehrsystemen, Panzern und gepanzerten Fahrzeugen den Separatisten in der Ostukraine übergeben wurden“. Die angebliche Eroberung von Nowoasowsk könnte laut Experten darauf hindeuten, dass Russland versucht, einen Korridor zu der annektierten Halbinsel Krim zu schaffen.

Der russische OSZE-Vertreter Andrej Kelin bestritt in Wien die Invasionsvorwürfe energisch. Sein Land sei nicht an einer Entsendung von Truppen interessiert: „In Nowoasowsk ist die ukrainische Armee nach zehn Artillerieschüssen weggelaufen und hat das Feld kampflos den Separatisten überlassen – das ist alles, was passiert ist.“