Israelis und Palästinenser boykottieren gegenseitig Waren und Dienstleistungen. Beide Seiten beschießen sich weiter

Ramallah/Jerusalem. Während sich Israelis und Palästinenser im Gazastreifen mit Raketen und Luftangriffen bekriegen, haben sie im Westjordanland und in Israel eine andere Waffe gewählt: Gegenseitig boykottieren sie ihre Waren und Dienstleistungen. Die Folgen sind schon deutlich spürbar. Vor Ort hergestellte Produkte finden in den palästinensischen Supermärkten reißenden Absatz, während aus Israel Importiertes in den Regalen vergammelt. Zugleich bleibt in den arabischen Läden und Restaurants in Israel die jüdische Kundschaft aus. „Ich habe meine Kaufgewohnheiten geändert. Weil Israel Krieg gegen Gaza führt, kaufen wir von dort nichts mehr“, sagt Salah Mussa aus Ramallah. „Wir kaufen nur noch palästinensische Produkte. Und das hat die ganze Familie so entschieden.“

In den USA und einigen Ländern Europas hat eine Kampagne, die wegen Israels Besatzungspolitik zum Wirtschaftsboykott aufruft, in den vergangenen Jahren langsam wachsenden Zuspruch gefunden. In den Palästinensergebieten, wo die Bewegung vor neun Jahren gestartet wurde, hatte sie dagegen wenig praktische Folgen. Auch wegen Importbeschränkungen gab es für Konsumenten kaum Alternativen zu den israelischen Angeboten.

TV-Werbespots und Aktionen in den sozialen Netzwerken verstärken die Kaufverweigerung. Überall kleben auf israelischen Waren Sticker mit dem Aufdruck: „Boykottiere Israel!“. Auf anderen steht unter Anspielung auf die Mehrwertsteuer: „Zu Ihrer Information: Beim Kauf dieses Produkts zahlen Sie 16 Prozent des Preises an die israelische Armee.“ Manche Ladenbesitzer greifen dem voraus. „Wir haben alle israelischen Produkte aus den Regalen genommen und durch heimische Waren ersetzt“, sagt Nidal Hamerani, ein Supermarktleiter in Ramallah. Und der Boykott zahlt sich für einige schon aus: Die Firma Pinar, die in Ramallah Milchprodukte erzeugt, stellt laufend neue Mitarbeiter ein, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Um 30 bis 40 Prozent sei der Umsatz gestiegen, sagt Pinar-Direktor Muntasser Bedarna. In der Molkereibranche sei der palästinensische Marktanteil binnen Kurzem von 40 auf über 60 Prozent gestiegen.

Im Gaza-Krieg selbst haben beide Seiten ihre Angriffe am Montag fortgesetzt. Die Zahl der Toten steigt weiter – und die der Israelis im Grenzgebiet zu dem Küstenstreifen, denen das Risiko zu hoch wird und deshalb ihre Häuser verlassen. Nach Schätzungen einer Sprecherin der israelischen Gemeinden an der Grenze zum Gazastreifen sind 70 bis 80 Prozent der Einwohner der nächstgelegenen Siedlungen geflohen. Nach palästinensischen Angaben wurden bei israelischen Angriffen bis zum Nachmittag sieben Menschen getötet. Militante Palästinenser feuerten nach israelischen Angaben mindestens 60 Raketen nach Israel, die keinen Schaden angerichtet hätten. Wie Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri sagte, waren am Montag neue Bemühungen im Gang, einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen. Die Kämpfe haben nach dem Ende einer sechstägigen Waffenruhe in der vergangenen Woche wieder an Intensität zugenommen.

In Israel findet das militärische Vorgehen der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bisher große Zustimmung. Aber allmählich regt sich Kritik, dass es seit dem 8. Juli nicht gelungen ist, den Beschuss mit Raketen und Mörsern aus dem dicht bevölkerten Gazastreifen heraus zu unterbinden. Nach dem Tod eines vierjährigen Jungen beim Einschlag einer Mörsergranate im Kibbuz Nahal Os am Freitag verlassen noch mehr Südisraelis das Grenzgebiet – 100 waren es am Montag, ebenso viele am Sonntag.

„Es sieht so aus, dass wir auf keinen Fall nach Nahal Os zurückkehren“, sagte die Mutter des getöteten Jungen, Gila Tragerman, dem israelischen Militärrundfunk. Bereits im vergangenen Monat hatten viele Bewohner vorübergehend ihre Häuser verlassen, nachdem das Ausmaß des Tunnelsystems der Hamas bekannt wurde, über das Extremisten nach Israel schleichen konnten. Nachdem die Zerstörung der Tunnel gemeldet worden war, wurden die Einwohner ermutigt, in ihre Siedlungen zurückzukehren – und viele machten das auch.

International sieht sich Israel wegen seines harten militärischen Vorgehens im Gazastreifen mit Kritik konfrontiert. Ministerpräsident Netanjahu versucht nun, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Israel einen Krieg gegen Terroristen führt, der nicht nur auf den Gazastreifen begrenzt ist. Die dort herrschende radikalislamische Hamas sei genauso brutal und gefährlich, wie die Terrormiliz Islamischer Staat im Irak und Syrien.

Netanjahu erklärte nach der grausamen Ermordung des US-Journalisten James Foley durch die auch als Islamischer Staat in Irak und Syrien (Isis) berüchtigte Terrormiliz: „Hamas ist Isis. Isis ist Hamas“. Den Slogan wiederholte er auf einer Pressekonferenz, auf Twitter und auf der Kabinettssitzung am Sonntag. Sein Problem: Der Vergleich trifft auch bei Israels Verbündeten auf Vorbehalte. In dem seit zwei Monaten andauernden Gaza-Krieg sind mehr als 2100 Palästinenser und 68 Israelis getötet worden. Während unter den palästinensischen Opfern viele Zivilisten waren, kamen auf israelischer Seite fast ausschließlich Soldaten – 64 – ums Leben. Das Ausmaß der Zerstörung durch israelische Angriffe im Gazastreifen irritiert die internationale Gemeinschaft. Sowohl Hamas als auch der islamische Staat töteten nach eigenem Gutdünken Menschen, sagte er – und verwies damit auch auf die öffentliche Erschießung angeblicher Kollaborateure am Freitag durch die Hamas.

Die USA reagierten reserviert auf Netanjahus Gleichsetzung von Hamas und Islamischem Staat. Außenamtssprecherin Mari Harf sagte, es handele sich um zwei verschieden Gruppen, die sie nicht wie Netanjahu vergleichen werde. Beide würden von den USA aber als Terrororganisationen eingestuft. Die Hamas erklärte zu Netanjahus Kampagne, sie kämpfe gegen Israel, nicht gegen den gesamten Westen.