Zwei Kampfjets bombardieren eine Artilleriestellung bei Erbil. Steinmeier: Verbrechen der IS sind „neue Dimension des Schreckens“

Washington. Nach exakt zwei Jahren, sieben Monaten und 21 Tagen sind die USA zurückgekehrt – auf den Kriegsschauplatz Irak: Am Freitag griff die Luftwaffe Artilleriestellungen radikalislamischer Milizen an. Pentagon-Sprecher John Kirby teilte um 8.44 Uhr Washingtoner Ortszeit über den Kurznachrichtendienst Twitter mit: „US-Luftwaffe führt Schlag gegen IS-Artillerie aus. Artillerie wurde eingesetzt gegen kurdische Truppen bei der Verteidigung Erbils, nahe US-Personal.“

Zwei Kampfflugzeuge vom Typ F/A-18 Hornet bombardierten dem Vernehmen nach mit 500 Pfund schweren, Laser-gelenkten Waffen die Stellungen. Die Jets waren vom Flugzeugträger „USS George H.W. Bush“ im Arabischen Golf gestartet. Kirby stellte später klar, derartige Einsätze würden nötigenfalls fortgesetzt.

Am Abend zuvor hatte Präsident Barack Obama der Air Force zwei Aufträge erteilt, nämlich „gezielte Luftschläge zum Schutz amerikanischen Personals sowie humanitäre Anstrengungen, um bei der Rettung Tausender irakischer Zivilisten zu helfen, die festsitzen auf einem Berg ohne Nahrung und Wasser und sonst einem fast sicheren Tod ausgeliefert wären“. Bei den nach unterschiedlichen Angaben bis zu 50.000 Menschen handelt es sich um Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden. Sie waren vor den Truppen der mit äußerster Brutalität gegen Andersgläubige vorgehenden sunnitischen IS (Islamischer Staat) geflohen. Die Organisation nannte sich zuvor ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) und wird von der US-Administration weiterhin unter ihrem alternativen Namen ISIL (Islamischer Staat in Irak und in der Levante) geführt.

„Um den Vormarsch auf Erbil zu stoppen, habe ich unser Militär angewiesen, gezielte Schläge gegen Konvois der ISIL-Terroristen durchzuführen“, falls die Milizen „unser Personal oder Einrichtungen irgendwo im Irak gefährden“, erklärte der Präsident. Ausdrücklich nannte er Erbil, den Sitz der Regierung der Autonomen Region Kurdistan im Irak, wo sich ein Konsulat der USA befindet, und die irakische Hauptstadt Bagdad, wo die USA die weltweit größte Botschaft unterhalten, an der vor Zuspitzung der Sicherheitslage 16.000 Menschen arbeiteten. In den vergangenen Wochen hatte Obama bereits knapp 500 Soldaten zum Schutz der Botschaft in den Irak geschickt und zudem 300 Militärberater, die die Armee Bagdads im Kampf gegen die Dschihadisten unterstützen sollen.

In Hintergrundbriefings bekräftigten Vertreter des Weißen Hauses am Donnerstagabend, dass die USA sowohl die irakischen Streitkräfte als auch die kurdischen Peschmerga-Kämpfer in ihrem Kampf gegen die Radikalislamisten unterstützen wollen. Das deutet auf eine Ausweitung von Waffenlieferungen hin. Unter anderem liefern die USA seit Monaten Raketen vom Typ Hellfire in den Irak. Sie können gegen Ziele zu Wasser, zu Lande und in der Luft eingesetzt werden. Außerdem erhalten die irakischen Streitkräfte panzerbrechende Munition. „Heute kommt Amerika, um zu helfen“, sagte Obama. Die USA „können und sollten nicht bei jeder Krise in der Welt intervenieren“. Doch in der aktuellen Situation „können die USA nicht wegsehen“. Hilfsaktionen für Menschen, die bedroht seien, gehörten zu den Kennzeichen der US-Politik. Washington berate zudem mit anderen Staaten und den Vereinten Nationen über weitere Maßnahmen. Als Commander-in-Chief werde er es jedoch nicht zulassen, dass die USA in einen weiteren Krieg im Irak hineingezogen werden. Amerikanische Bodentruppen würden daher nicht eingesetzt.

Dennoch sind die USA nunmehr wieder aktiv auf einem Kriegsschauplatz, von dem Obama den Rückzug aller Truppen im Wahlkampf 2008 versprochen und bis zum 18. Dezember 2011 realisiert hatte. Zuvor war die US-Regierung wachsender Kritik ausgesetzt, weil sie die Qualität der Bedrohung durch die ursprünglich im Irak nach der US-Invasion 2003 gegründeten, aber erst im syrischen Bürgerkrieg zur aktuellen Größe gewachsenen IS-Milizen offenkundig zu lange unterschätzte. Damit wird auch die Frage nach der Qualität der US-Nachrichtendienste aufgeworfen: Die NSA überwacht und speichert große Teile des weltweiten Kommunikationsverkehrs im Internet und die Metadaten von Milliarden Telefonaten. Die CIA legt Listen von mehr als einer Million Menschen an, die in einen oft ausgesprochen vagen Bezug zu terroristischen Organisationen gerückt werden. Doch den dramatischen Umbruch in der Region beobachtete die Weltsupermacht über Monate als ratloser und überraschter Beobachter von der Seitenlinie. Insbesondere die Republikaner machen Obama für die Entwicklung mitverantwortlich, weil er kein militärisches Restkontingent im Irak zurückgelassen hat.

Der Präsident wollte dazu ein Stationierungsabkommen mit Bagdad schließen, in dem die US-Soldaten allein amerikanischer Gerichtsbarkeit unterworfen worden wären. Doch Regierung und Parlament im Irak lehnten dies 2011 ab. Ob die Realisierung des Plans zu einer anderen Entwicklung geführt hätte, bleibt spekulativ.

Auch Deutschland will bei der Bewältigung der Kriegsfolgen helfen. Die Bundesregierung stellte 2,9 Millionen Euro für die Bewältigung des Flüchtlingsdramas zur Verfügung. Weitere Hilfen seien möglich, hieß es. Die Ermordung, systematische Vertreibung oder Zwangskonversion von Christen, Jesiden und anderen religiösen Minderheiten durch die Terroristen bedeute eine „neue Dimension des Schreckens“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Das jüngste Vorgehen von IS zeige, wie hochgefährlich dieses Gruppe für Frieden und Stabilität in der gesamten Region seien. Zu den US-Luftschlägen nahm er zunächst nicht Stellung.