Im Gaza-Konflikt gehen die Kämpfe nach zwölfstündiger Waffenruhe weiter, nachdem Israel beschossen wurde

Tel Aviv/Gaza. Ganze Straßenzüge im Gazastreifen liegen in Schutt und Asche. Fast drei Wochen massiver israelischer Angriffe haben verheerende Spuren hinterlassen. Einwohner des Palästinensergebiets stehen fassungslos vor den Trümmern ihrer Existenz. „Es sieht aus wie nach einem schweren Erdbeben“, sagt der 38-jährige Salman Abu Ajwa am Sonntag. Während einer Feuerpause hat er die Überreste seines Hauses im Viertel Sadschaija im Osten von Gaza-Stadt begutachtet. „Alles in dem Viertel ist total zerstört.“ Sanitäter hätten vor seinen Augen die Leiche seines Nachbarn aus den Trümmern gezogen. Die Zahl der Toten im Gaza-Krieg ist schon auf weit über 1000 gestiegen, doch ein Ende des Blutvergießens zeichnet sich nicht ab. Die internationalen Verhandlungen über eine dauerhafte Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas gestalten sich extrem schwierig und verliefen bislang ohne Erfolg.

Israel ist zwar zu einer neuen Waffenruhe bereit, besteht jedoch darauf, dass seine Truppen so lange im Gazastreifen bleiben können, bis die Tunnel der Hamas zerstört sind. Dies ist wiederum aus Sicht der Hamas inakzeptabel. Der 26-jährige Chaled Salah, ein Hamas-Anhänger aus Gaza, sagte am Sonntag, nach all den Verlusten könne der Kampf doch nicht einfach aufhören. „Der bewaffnete Widerstand muss weitergehen, bis die Forderungen unseres Volkes erfüllt werden.“ Die Hauptforderung der Hamas ist eine Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Die 28-jährige Hind Schaaban hat dagegen genug von dem blutigen Schlagabtausch. Israel sei den Palästinensern ohnehin hoffnungslos überlegen, erklärt sie. „Genug ist genug, ich finde, die militanten Kämpfer in Gaza sollten diplomatischer sein, ihre Forderungen einschränken und den Sieg erklären“, sagt die Mutter dreier Kinder.

Mit jedem Kampftag wächst die internationale Kritik an Israel, die grausigen Bilder getöteter palästinensischer Zivilisten spielen dabei der Hamas in die Hände. Besonders rechtsorientierte israelische Minister üben jedoch starken Druck auf Regierungschef Benjamin Netanjahu aus, einer Waffenruhe noch nicht zuzustimmen. Israel sieht die Tunnel im Gazastreifen als strategische Bedrohung seiner Sicherheit. Der Geheimdienst wirft der Hamas sogar vor, zum jüdischen Neujahrsfest im September einen „Mega-Anschlag“ geplant zu haben. Demnach sollten in einer Kommandoaktion Hunderte von Hamas-Kämpfern gleichzeitig durch die Tunnel nach Israel stürmen und in den Grenzorten so viel wie möglich Menschen töten oder entführen.

Tatsache ist, dass Hamas-Kämpfer schon mehrere Anschläge durch die Tunnel verübt haben. Deshalb will das Militär dringend mehr Zeit, um dem „Prestigeprojekt“ der Hamas möglichst viel Schaden zuzufügen. „Je länger wir bleiben, desto mehr Tunnel werden wir finden“, sagte Oberst Atai Schelach. Er ist aber auch realistisch. „Wir werden nicht alle finden. Und in dem Moment, in dem wir wieder abziehen, werden sie wieder anfangen zu graben.“

Israel hatte am Sonnabend die unter internationaler Vermittlung zustande gekommene und von beiden Seiten eingehaltene zwölfstündige Feuerpause einseitig bis Sonntag Mitternacht Ortszeit verlängert. Am Sonntagmorgen wurde Israel aber wieder mit Raketen beschossen. Im Süden und in der Mitte des Landes wurde Luftalarm ausgelöst. Nach Militärangaben gingen mindestens fünf Raketen nieder, zwei weitere wurden vom Abwehrsystem abgefangen. Als Reaktion nahm Israel seine Offensive im Gazastreifen wieder auf. Bei diesen Angriffen starben nach Angaben palästinensischer Ärzte mindestens zehn Menschen. Damit sind nach palästinensischen Angaben in der von Israel, Ägypten und dem Mittelmeer umgebenen Enklave in dem seit 20 Tagen andauernden Konflikt rund 1060 Menschen getötet worden. Israel gab die Zahl der getöteten Soldaten mit 43 an, außerdem kamen drei Zivilisten durch den Raketenbeschuss ums Leben.

„Als Reaktion auf eine Intervention der Vereinten Nationen und in Anbetracht der Lage unserer Bevölkerung sowie aus Anlass des Endes Fastenmonats sind alle Fraktionen des Widerstands übereingekommen, eine 24-stündige Feuerpause zu unterstützen“, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri einige Stunden nach Beginn der israelischen Offensive.

Die Kämpfe im Gazastreifen sind am Sonntagnachmittag nach der Verkündung der 24-stündigen Waffenruhe zwar abgeflaut. Allerdings flogen auch nach dem angekündigten Beginn der Feuerpause noch Raketen von Gaza in Richtung Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stellte die Erklärung der Hamas daher infrage und ließ es offen, ob sich Israel der Waffenruhe anschließt. Dem Sender CNN sagte er: „Die Hamas hält sich noch nicht einmal an ihre eigene Feuerpause. Sie beschießen uns sogar, während wir hier miteinander sprechen.“

Offen blieb nach Netanjahus Äußerungen bei CNN zunächst, ob auch Israel seine Angriffe einstellen würde. Der Staat werde alles tun, um seine Bevölkerung zu schützen, sagte der Ministerpräsident lediglich. Das erklärte Ziel der Streitkräfte ist die Zerstörung des verzweigten Tunnelsystems der Hamas. Bislang seien 30 Tunnel entdeckt worden. Darunter sei ein unterirdischer Gang, der direkt zum Speiseraum eines Kibbuz führe, hieß es.