Raketenbeschuss aus Libanon. Steckt die Terrormiliz Isis dahinter? Obama bietet Vermittlung mit Palästinensern an

Jerusalem. Militärisch gesehen war es ein dilettantisches Unternehmen. Mit sechs 107-Millimeter-Grad-Raketen wollten Radikale am Freitag vom Südlibanon aus israelisches Territorium beschießen. Doch nur eine dieser unpräzisen und antiquierten Waffen mit einer Reichweite von zehn Kilometern schaffte es über die Grenze. Sie schlug auf einem Feld zwischen zwei israelischen Kleinstädten ein. Niemand kam zu Schaden. Die restlichen Raketen explodierten entweder beim Abschuss oder blieben in der Abschussrampe stecken.

Die libanesische Polizei nahm einen Verdächtigen fest. Er hat die Tat, bei der er verletzt wurde, gestanden. Der Täter soll Verbindungen zum sunnitischen Terrornetzwerk al-Qaida und zwei palästinensische Helfer gehabt haben. Zudem wurden zwei Abschussvorrichtungen entdeckt und abgebaut.

Im Libanon kennt man diese fast schon symbolische Art von Attacken, die von palästinensischen Splittergruppen und auch von al-Qaida seit Jahren entlang der Grenze sporadisch durchgeführt werden. Sie sind kein Anlass zur Sorge, da sich die Vergeltungsschläge Israels meist auf kurzen Artilleriebeschuss beschränken. Für den jüdischen Staat bedeuten die fast hilflos anmutenden Aktionen der sunnitischen Terrorgruppen keine wirkliche Bedrohung. Aber dieses Mal ist die Situation eine andere. Die israelische Armee kämpft im Gazastreifen gegen die Hamas. „Bisher ist es noch unklar“, sagte Armeesprecher Oberstleutnant Peter Lerner, „ob im Libanon eine neue Front eröffnet werden soll oder es, wie gehabt, symbolischer Natur ist.“ Man scheint es gelassen zu nehmen, obwohl die Lage jederzeit kippen und eskalieren könnte.

Sollte der Beschuss aus dem Libanon weitergehen und israelische Zivilisten getötet werden – mit Sicherheit würde die Regierung in Tel Aviv, wie jetzt im Gazastreifen, eine härtere Gangart wählen. Eine Konfrontation mit der Hisbollah, die Israel im Sommerkrieg von 2006 vergeblich versucht hatte auszumerzen, wäre wohl unvermeidlich. Im syrischen Bürgerkrieg spielt die libanesische Schiitenmiliz eine militärische Führungsrolle. Hisbollah ist dort als Elitetruppe im Kampf gegen die Rebellen im Einsatz, die das Regime von Präsident Bashar al-Assad stürzen wollen. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah erklärte mehrfach, dass die Heimatfront durch den Kampf gegen die Terroristen in Syrien nicht geschwächt sei. „Wir sind wie immer bereit, jede zionistische Aggression erfolgreich zurückzuschlagen“, sagte der Führer der radikal-schiitischen Organisation.

Im Laufe des Bürgerkriegs hatte die israelische Luftwaffe in Syrien Bunker, Lagerhallen und Konvois bombardiert, um Waffenlieferungen des Assad- Regimes an die libanesische Partei Gottes zu verhindern. Hisbollah hat noch einige Rechnungen mit dem „zionistischen Erzfeind“ offen, und wie man die Miliz kennt, die von der EU als Terrorgruppe eingestuft wurde, schreckt sie vor nichts zurück. Trotzdem dürfte die Hisbollah keine offene Konfrontation mit Israel suchen. Ein weiterer bewaffneter Konflikt in der Region käme einem Desaster gleich. Die große Gefahr besteht jedoch im Libanon, dass islamistische Extremisten den Zedernstaat destabilisieren und eine bewaffnete Auseinandersetzung provozieren. Allen voran steht der Islamische Staat (ehemals Isis), der, aus Syrien kommend, in weite Teile des Irak vorgestoßen ist. Im Libanon soll es einen funktionierenden Ableger mit zahlreichen Schläferzellen geben. Im Laufe dieses Jahres wurden zahlreiche Selbstmord-attentate, wie etwa auf die iranische Botschaft in Beirut, ausgeführt.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Islamische Staat an Angriffen auf Israel direkt oder über eine seiner Unterorganisationen beteiligt. Dann kann man sicher sein, dass die Attacken professioneller ausgeführt werden. Israel wird nicht tatenlos zusehen. Wie schnell innerhalb kürzester Zeit aus Krisensituationen schwere bewaffnete Konflikte entstehen, zeigte der Vormarsch des Islamischen Staats im Irak und jetzt die aktuellen Kämpfe im Gazastreifen. Die Stimmungslage in der Region steht auf Krieg. Der nächste könnte im Libanon stattfinden.

Derweil verschärft sich der militärische Konflikt im Süden Israels. Eine Rakete aus dem Gazastreifen hat eine Tankstelle in der Ortschaft Aschdod getroffen und den schwersten Schaden seit Beginn der Offensive vor vier Tagen angerichtet. Drei Menschen wurden bei der Explosion verletzt. Erstmals nahm die radikalislamische Hamas auch die Küstenstadt Haifa unter Beschuss; auf dem Flughafen von Tel Aviv wurde Alarm ausgelöst, doch die Raketen wurden abgefangen. Seit Dienstag wurden mehr als 550 Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Mindestens 110 wurden vom Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) in der Luft abgefangen, die übrigen explodierten meist in unbewohntem Gebiet. Die Rakete in Aschdod war die erste, die größeren Schaden anrichtete.

Die israelische Armee setzte den vierten Tag in Folge ihren Beschuss von Zielen im Gazastreifen fort. Palästinensischen Angaben zufolge wurde bei einem Luftangriff auf ein Haus in Gaza ein Arzt getötet. In Rafah seien drei Menschen beim Beschuss ihres Hauses ums Leben gekommen. Bislang wurden bei den Angriffen 86 Menschen getötet, darunter nach palästinensischen Angaben mindestens 70 Zivilisten. US-Präsident Obama äußerte sich in einem Telefonat mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besorgt, dass die Kämpfe weiter eskalieren könnten. „Die USA sind bereit, eine Einstellung der Feindseligkeiten zu unterstützen“, sagte Obama. Die israelische Regierung hat eine Bodenoffensive im Gazastreifen nicht ausgeschlossen und die Vorbereitungen vorangetrieben. Luxemburg, das derzeit Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist, rief Israel zu einer sofortigen Waffenruhe auf. Die Militäraktion sei völlig unverhältnismäßig, sagte Außenminister Jean Asselborn.