Der Seegerichtshof in Hamburg setzt Kaution für Aktivisten auf 3,6 Millionen Euro fest. Doch die Regierung in Moskau erkennt das Gericht nicht an

Hamburg. Der Kapitän Peter Willcox hätte mit allem aufhören können, damals, in einer Juli-Nacht 1985, als sein Schiff im Hafen der neuseeländischen Stadt Auckland unterging und sein Freund starb. Auf der „Rainbow Warrior“ war eine Bombe explodiert, die zwölf Personen starke Besatzung floh von Bord. Nur der Fotograf der Crew kehrte zurück, wollte seine teure Ausrüstung retten. Dann detonierte die zweite Bombe. Das Greenpeace-Schiff versank im Pazifik. Später stellte sich heraus, dass zwei französische Geheimdienstler es in die Luft gejagt hatten. Dass noch jemand an Bord gewesen war, sollen sie nicht gewusst haben. Dennoch war der Eklat groß.

Peter Willcox hat nicht aufgehört. Er kämpfte weiter für den Schutz des Klimas, gegen den Walfang, gegen Ölbohrungen im Meer. Seit einigen Monaten blickt die Weltöffentlichkeit erneut auf ein Schiff der Umweltschutzorganisation Greenpeace und ihre Besatzung. Das Schiff heißt: „Arctic Sunrise“, ein Eisbrecher. Ihr Kapitän: Peter Willcox. Er saß bis diese Woche in einem Gefängnis in Russland. Kurz vor der Entscheidung des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg ließen die Russen den Kapitän und 13 weitere Aktivisten gegen Kaution frei. Die Höhe: umgerechnet 45.000 Euro pro Person.

Damit sind 29 von 30 Crewmitgliedern wieder frei. Die Umweltschützer hatten im September in der Arktis gegen Ölbohrungen protestiert, zwei von ihnen versuchten, auf eine Ölplattform des russischen Konzerns Gazprom zu klettern.

Am Freitag entschieden nun die Richter am Internationalen Seegerichtshof mit Sitz in Nienstedten, dass der russische Staat nicht nur alle Aktivisten freigeben müsse, sondern auch dem Greenpeace-Schiff freie Fahrt gewähren müsse. Die Höhe der Kaution bezifferte das Hamburger Gericht auf insgesamt 3,6 Millionen Euro, die nun der niederländische Staat zahlen muss. Die „Arctic Sunrise“ läuft unter niederländischer Flagge. Die Aktivisten sollen zudem aus Russland ausreisen dürfen, hoben die Richter hervor.

„Ich fühle mich, als wäre ich von einem Baum runtergekommen, aber immer noch im Wald“, sagte Willcox vor Journalisten in St. Petersburg. „Aber es ist ein großer Schritt.“ Auch bei Greenpeace herrscht Erleichterung. „Die Entscheidung des Gerichts ist ein wichtiges Signal an Russland“, sagte Jörn Feddern von Greenpeace dem Abendblatt. „Wir gehen davon aus, dass die russische Justiz nach Zahlung der Kaution umgehend Reisefreiheit für die Aktivisten gewährt. Auch das letzte inhaftierte Crewmitglied muss aus der Haft entlassen werden.“

In Haft sitzt nun nur noch der Aktivist Colin Russell. Am Montag entschied ein russisches Gericht, dass der Australier bis Februar dort bleiben soll. Die Gründe: unklar. Fotograf Denis Sinjakow, der am Donnerstag freigelassen wurde, äußerte die Vermutung, dass die Entscheidung für eine Freilassung der Aktivisten nach Zahlung einer Kaution ganz oben getroffen worden sei, also von Präsident Wladimir Putin im Kreml. Im Fall von Colin Russel, der am Montag als Erster der Aktivisten zur Kautionsanhörung vor Gericht kam, sei diese Entscheidung vermutlich noch nicht bei den Richtern angekommen. Jörn Feddern von Greenpeace konnte diese Vermutung gegenüber dem Abendblatt nicht bestätigen. „Das sind Spekulationen.“

Russland erkennt das Urteil des Internationalen Seegerichtshofs bisher nicht an. Das Tribunal sei nach Ansicht Moskaus nicht zuständig, teilte das russische Außenministerium in einer Mitteilung mit, die dem Abendblatt vorliegt. Russland habe 1997 das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen nur teilweise ratifiziert und betont, keine Entscheidungen des Gerichts anzuerkennen, welche die nationale Souveränität einschränkten. Zudem habe die Besatzung der „Arctic Sunrise“ gegen internationale und russische Gesetze verstoßen.

Das Festhalten von Schiff und Besatzung verstoße in der Tat gegen Menschenrechte und internationales Seerecht, sagte René Lefeber. Er ist Rechtsberater des Außenministeriums in Den Haag. Rechtsexperten sehen Russland dem Gericht durchaus verpflichtet. „Denn auch Russland hat das Seerechtsübereinkommen unterzeichnet. Die Ausnahme, auf die sich Russland beruft, betrifft nur die Meeresforschung und die Fischerei, nicht aber die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen auf dem Festlandsockel“, sagte Doris König, Seerechtsprofessorin und Präsidentin der Hamburger Bucerius Law School, dem Abendblatt.

Das Gericht forderte somit durch die Entscheidung am Freitag nicht nur die Freilassung der Aktivisten. Es entschied auch, dass der Übergriff durch die russische Küstenwache auf die „Arctic Sunrise“ ein Fall für den Gerichtshof ist. Nun folgt ein Schiedsverfahren gegen Russland. Einen Termin gibt es noch nicht.

Für Jörn Feddern von Greenpeace steht dagegen schon fest: „Wir setzen unsere Kampagne gegen die Ausbeutung der Arktis durch Ölkonzerne fort.“