Auch ein neues Gutachten aus der Schweiz über den Tod des legendären Palästinenserchefs bringt keine Gewissheit

Lausanne. Wurde der legendäre Palästinenserführer Jassir Arafat ermordet? Auch nach einer intensiven Untersuchung der sterblichen Überreste durch Schweizer Experten ist nicht klar, ob der ehemalige Palästinenserpräsident 2004 durch das Gift Polonium getötet wurde. „Man kann nicht sagen, dass das Polonium die Todesursache war“, sagte am Donnerstag Wissenschaftler François Bochud in Lausanne. „Man kann es aber auch nicht ausschließen“, fügte der Professor hinzu. Im Gegenteil: „Unsere Resultate unterstützen nachvollziehbar die Vergiftungsthese.“ Die Höhe der gemessenen Polonium-Werte deute darauf hin, dass Arafat das Gift zugeführt worden sei.

Arafat war im November 2004 in einem Militärkrankenhaus bei Paris mit 75 Jahren gestorben. Auf Bitten seiner Witwe wurde keine Autopsie vorgenommen. Die genaue Todesursache blieb daher unklar. Im November 2012 wurden die sterblichen Überreste dann doch in Ramallah exhumiert. Von palästinensischer Seite wird seit Jahren der Verdacht geäußert, Israel habe ihren früheren Präsidenten vergiftet. Beweise gibt es dafür nicht.

Jetzt wollten Schweizer Experten vom Institut für Radiophysik des Universitätsklinikums in Lausanne (CHUV) der Todesursache auf die Spur kommen. Heraus kam eine „moderate“ Wahrscheinlichkeit, dass Arafat vergiftet worden sei, heißt es in ihrem Gutachten. Die Konzentration der radioaktiven Substanz in Gewebeproben Arafats sei 18-mal höher als normal. Schon ein Millionstel Gramm Polonium 210 kann einen Menschen töten.

Veröffentlicht wurde das 108-Seiten-Gutachten zuerst von dem in Katar beheimateten Fernsehsender al-Dschasira, der über beste Verbindungen zu Arafats Witwe Suha verfügt. Die Spekulationen wuchern. „Der ganze Fall ist total undurchsichtig“, sagte der israelische Journalist und Buchautor Matthew Kalman.

Die Schweizer hatten erstmals im Juli 2012 den Verdacht auf Polonium gelenkt. An persönlichen Gegenständen wie Unterwäsche und einer Zahnbürste, die Arafat kurz vor seinem Tod benutzt haben soll, hatten sie erhöhte Konzentrationen gefunden. Arafats Witwe Suha hatte die Gegenstände zur Verfügung gestellt, al-Dschasira berichtete schon damals exklusiv.

Um Klarheit zu schaffen, erlaubten die palästinensischen Behörden eine im Islam eigentlich verbotene Exhumierung Arafats. In dem Grab unter seinem prunkvollen Mausoleum in Ramallah entnahmen nicht nur die Schweizer Gewebeproben, sondern auch Experten aus Frankreich und Russland.

In drei bis vier Monaten würden die Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen, hieß es damals. Tatsächlich dauerte es fast ein Jahr, bis die Russen als Erste berichteten: „Er kann nicht mit Polonium vergiftet worden sein“, sagte Wladimir Ujba, Chef der staatlichen biologisch-medizinischen Agentur.

Nur Stunden später kassierte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Außenministeriums in Moskau die Angaben. Für Moskau ist das Thema Polonium ein heißes Eisen. Der russische Geheimdienst steht selbst im Verdacht, 2006 den russischen Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in London mit Polonium vergiftet zu haben. Und das Gutachten aus Frankreich lässt auf sich warten.

Kalman glaubt sehr wohl, dass Arafat einem Giftmord zum Opfer gefallen ist. Zusammen mit dem Autor Matt Rees hat er versucht, die Hintergründe des Verbrechens aufzudecken. In ihrem Buch „The Murder of Yasser Arafat“ kommen sie zu dem Schluss, dass Arafat vermutlich einer Intrige höchster palästinensischer Kreise zum Opfer gefallen sein könnte. Israel habe 2004 gar kein Motiv mehr gehabt, den politisch geschwächten Arafat umzubringen.

Gründe, den alternden Patriarchen aus dem Weg zu räumen, könnten Rivalen aus den eigenen Reihen gehabt haben. Mit seinem autoritären Führungsstil hatte sich Arafat, der schon mal einen Minister ohrfeigte und einen Sicherheitschef mit gezückter Pistole entließ, nicht nur Freunde gemacht. Zudem wucherte die Korruption. Millionen Hilfsgelder wurden auf Arafat-Konten in Steuerparadiese umgelenkt.

Eine Schlüsselrolle spielt seine Witwe Suha. Sie löste acht Jahre nach dem Tod des PLO-Gründers mit einer Anzeige in Frankreich die Ermittlungen aus, die nun den Verdacht erhärteten, dass ihr Mann ermordet wurde. Die sehr modebewusste 50-Jährige hatte sich bald nach ihrer Hochzeit mit dem 34 Jahre älteren Vollblutpolitiker auseinandergelebt und sich in der Palästinenserführung viele Feinde gemacht.

Von Malta aus kämpft sie um die Aufklärung der Todesursache und bringt dadurch nicht nur Israel, sondern auch alte Weggefährten ihres Mannes in Verlegenheit. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Jigal Palmor, erklärte den neuen Befund „zum Teil eines fortdauernden Kampfs zwischen Arafats Witwe und der Palästinensischen Autonomiebehörde“. Es war eine sehr ungleiche Ehe, die Arafat 1990 mit der weltgewandten Feministin Suha Tawil einging. Suha wurde am 17. Juli 1963 in Ostjerusalem in eine christliche Palästinenserfamilie geboren, die reich war und liberal: der Vater Daud Tawil Bankier, die Mutter Raymonda Hawa-Tawil eine bekannte Journalistin und Schriftstellerin.

Als Arafat im Mai 1989 erstmals in Paris wie ein Regierungschef empfangen wurde, war seine künftige Frau als Protokollchefin der Palästinenser-Delegation dabei. Der im tunesischen Exil lebende PLO-Chef machte sie zu seiner PR- und Wirtschaftsberaterin und begann mit ihr in Tunis ein heimliches Liebesverhältnis. An ihrem 27. Geburtstag heiratete Suha den 61-Jährigen und konvertierte zum Islam.

Selbst vor den Palästinensern hielt Arafat seine Ehe zwei Jahre geheim. Sein Nimbus hätte Schaden nehmen können, wäre zur Unzeit die Ehe mit der nach neuestem Schick gekleideten Palästinenserin bekannt geworden, die an Pariser Universitäten studiert hatte. Nach der Geburt der Tochter wohnten die Eheleute getrennt. Als ihr Mann erkrankte, reiste Suha nach Ramallah und sorgte für seine Verlegung in ein Pariser Militärkrankenhaus.