USA und Russland wollen Assad zur Offenlegung und Vernichtung des syrischen Chemiewaffen-Arsenals zwingen. Kritiker melden Zweifel an

Hamburg/Genf . Die gefürchtete militärische Eskalation in der Syrien-Krise ist – zumindest vorläufig – abgewendet. In einer kaum noch für möglich gehaltenen Einigung haben sich die Außenminister der USA, John Kerry, und Russlands, Sergej Lawrow, auf einen Plan zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals geeinigt, das mit geschätzten 1000 Tonnen als drittgrößtes der Welt gilt – hinter den Arsenalen der USA und Russlands.

Im Zuge des Bürgerkrieges waren am 21. August chemische Waffen gegen Zivilisten unweit von Damaskus eingesetzt worden, mehr als 1400 Menschen waren gestorben. Es gilt im Westen als gesichert, dass die Armee des syrischen Despoten Baschar al-Assad diese Waffen eingesetzt hat. Nach israelischen Quellen war es bereits der 14. Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime in diesem Konflikt.

US-Präsident Barack Obama hatte die Verendung derartiger Waffen als „rote Linie“ bezeichnet, zunächst aber lange gezögert, dann jedoch Militärschläge auf Schlüsselpositionen der syrischen Streitkräfte vorbereiten lassen. Da Moskau jedoch ein Verbündeter und Waffenlieferant Assads ist und der Iran eng mit dem Assad-Regime verbandelt ist, hätte eine militärische Intervention zu einem Großkonflikt führen können, der rasch auch den Libanon und Israel erfasst hätte.

Der nun in Genf nach tagelangen Marathonsitzungen ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass Syrien zunächst innerhalb von einer Woche eine komplette Auflistung seines Chemiewaffenarsenals vorlegen muss. In einem zweiten Schritt sollen Uno-Inspekteure bis Mitte November Zugang zu allen Depots und Herstellungsanlagen erhalten. Bereits bis Mitte des kommenden Jahres sollen dann alle syrischen Chemiewaffen zerstört werden. Syrien beantragte umgehend den Beitritt zur Chemiewaffenkonvention, der am 14. Oktober in Kraft treten soll.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und andere Politiker begrüßten die Einigung.

Der Genfer Plan ist allerdings umstritten, da er zeitlich als äußerst ambitioniert gilt und mögliche Sanktionen unklar sind; doch die ständig steigende Opferzahl im syrischen Bürgerkrieg und die Option, dass Assad die Nerven verlieren und Chemiewaffen großflächig gegen die Rebellen einsetzen könnte, machen Eile notwendig. Üblicherweise würde die sichere Vernichtung eines so riesigen Arsenals Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Und es gibt, wie die „New York Times“ schrieb, Experten, die die Erfüllung eines derart zügigen Zeitplans selbst bei vollständiger Kooperation des Assad-Regimes für schlicht unmöglich halten.

Die Rebellen der Freien Syrischen Armee lehnten den Plan rundweg ab, da er Assad nur weitere Zeit verschaffe. Auch im Westen befürchten Kritiker des Abrüstungsplans, dass der bedrängte Assad die Vernichtung dieser Waffen so lange wie möglich hinauszögern werde. Kanadas Außenminister John Baird nannte das Vorhaben sogar „lächerlich und absurd“ – Assad dürfe nicht noch mehr Zeit eingeräumt werden. „Das ist der Mann, der vor einer Woche noch behauptet hat, er verfüge gar nicht über solche Waffen“, sagte Baird in Istanbul über Assad.

Auch die einflussreichen republikanischen US-Senatoren John McCain und Lindsay Graham griffen das Abkommen von Genf scharf an und sagten, die Regierung in Damaskus werde die Zeit nur nutzen, um die Welt zu täuschen. Die Vereinbarung sei der Beginn einer „diplomatischen Sackgasse“ und könne als „aufreizendes Zeichen der Schwäche Amerikas“ gewertet werden. Ohne eine klare Resolution der Uno entsprechend Kapitel VII der Uno-Charta sei der Abrüstungsplan wertlos. Dieses Kapitel enthält die Artikel 39 bis 51; sie behandeln Zwangsmaßnahmen gegen Staaten. In der Genfer Vereinbarung heißt es, falls Syrien nicht kooperiere, sollte der Uno-Sicherheitsrat Maßnahmen nach Kapitel VII verhängen. Dies ist jedoch problematisch. Zum einen sind Russland und China, die Syrien unterstützen, Veto-Mächte des Sicherheitsrats und könnten Zwangsmaßnahmen gegen das Assad-Regime verhindern. Zum anderen bedeuten „Maßnahmen“ nicht unbedingt militärische Gewaltanwendung. Lawrow erklärte bereits deutlich, dass die Vereinbarung keinen Automatismus enthalte, der auf militärische Maßnahmen hinauslaufe. US-Präsident Barack Obama warnte jedoch: „Falls die Diplomatie versagt, sind die USA bereit zu handeln.“ Aus der Vereinbarung geht auch nicht hervor, was geschehen soll, wenn syrische Truppen – oder aber radikalislamische Rebellen – den Uno-Inspektoren den Zugang zu den entsprechenden Anlagen verweigern oder gar das Feuer auf sie eröffnen sollten.