Wie erlebt eine junge Griechin die Euro-Krise? Wie stellt sich ein Ire das Europa von morgen vor? Und was muss sich ändern in Brüssel? Zehn junge Europäer antworten.

Europa schafft es auf die Titelseiten der Zeitungen, ins Fernsehen und ins Radio. So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Es geht fast immer um die Krise. Um Schulden, die Staaten angehäuft haben, um Rettungspakete und um Länder, deren Wirtschaftskraft von Rating-Agenturen bewertet werden. Die Euro-Krise lässt die Stimme der Menschen Europas verstummen. Vielleicht ist das die allerschlechteste Nachricht.

Das Hamburger Abendblatt fragte zehn junge Europäer aus zehn verschiedenen Ländern, was ihnen Europa bedeutet. Und wir wollten wissen, wie sie die Krise erleben und welchen Ausweg sie vorschlagen. Einige spüren die Wirtschaftskrise kaum, die meisten aber sehr stark. Manche erlebten in ihrem Heimatland bereits weitreichende Reformen, andere fordern noch stärkere Auflagen für die Euro-Zone.

Egal, welchen Ton sie anschlagen – die jungen Menschen haben eine Stimme. Und die erheben sie auch im „FutureLab Europe“ der Hamburger Körber-Stiftung. „FutureLab“ – Zukunftslabor – ist ein Projekt, an dem zehn Stiftungen aus ganz Europa jungen Menschen ein Forum geben, ihre Meinung zu Fragen der europäischen Identität oder gemeinsamen Sozialstandards auszutauschen. Dabei diskutieren sie auch mit ranghohen EU-Politikern. „Sorgen bereitet uns, dass sich viele junge Menschen in der Krise von der Politik vollends abwenden“, sagt Sven Tetzlaff, Leiter im Bereich Bildung bei der Körber-Stiftung. Manche wenden sich im Frust auch nationalistischen Parteien zu. Wenn der Dialog helfe, Lösungen zu finden, dann sei die Arbeit der Stiftung erfolgreich, sagt Tetzlaff.

James Kilcourse, 25, Irland:

Früher führte die Vielfalt an Religionen, Sprachen und Kulturen zu Konflikten in Europa. Heute ist es unser größtes Kapital. Ich selbst habe Glück. Ich habe einen Job. Dennoch ist gerade die Jugendarbeitslosigkeit in Irland sehr hoch. Viele von meinen Freunden mussten auswandern. Noch vor fünf Jahren waren die Straßen meiner Heimatstadt voll mit jungen Menschen. Heute ist in der Stadt tote Hose. Überall erstarkt das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, gegenüber der hohen Auswanderung und der Arbeitslosigkeit. Auf die Krise in Europa kann die Antwort nur sein: Mehr Europa! Das wird aber nicht passieren, wenn man den Menschen nicht die Vorteile der europäischen Integration mitteilt. Die Spitzenpolitiker der Nationen müssen aufhören, aus Europa nur das herauszusaugen, was für das eigene Land gut ist. Jeder Staat muss ein Interesse an einer Erweiterung Europas haben. Das ist in der globalisierten Welt der einzige Weg.

Leticia Díez Sanchez, 25, Spanien:

Ich komme aus Südspanien. Ich beobachte die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Krise bei Freunden und meiner Familie. Die Menschen verlieren das Vertrauen in die nationalen und europäischen Institutionen. Die Enttäuschung bahnt einer Euro-Skepsis den Weg. Nicht nur die Löhne müssen in Europa angeglichen werden. Was der Kontinent benötigt, ist ein einheitlicher Steuersatz für alle Staaten. Zudem sollte es die Chance auf eine Umverteilung der Steuererträge zwischen den einzelnen EU-Ländern geben. Falls es dafür keine europaweite Solidarität gibt, sollten nur finanzkräftige Staaten in die Euro-Zone gehören. Die anderen Länder brauchen mehr Spielraum für ihre Haushalte und Finanzen.

Lotta Schneidemesser, 25, Österreich:

Mein Heimatland ist kaum von Arbeitslosigkeit betroffen – ich nehme die Euro-Krise in meinem Alltag nicht wirklich wahr. Erst wenn ich die Zeitung aufschlage, oder wenn ich mit jungen Menschen aus anderen Teilen Europas spreche – erst dann wird mir das Ausmaß der Krise bewusst. Für mich ist es schwer, mich mit Europa zu identifizieren. Es müssen mehr Möglichkeiten geschaffen werden, damit man sich stärker als Europäer fühlt. Man könnte beispielsweise mit Schülern intensiver über unser Europa sprechen – und so die Grundlage für ein starkes demokratisches Europa schaffen!

Veronika Sobolová, 22, Polen:

Europa heißt für mich Heimat, Reisen ohne Grenzen, eine gemeinsame Geschichte. Aber Europa bedeutet auch Sicherheit. Ich bin erleichtert, dass ich nicht nach einer neuen Arbeit suchen muss. Ich bewerbe mich für ein Studium. Aber auch dort merke ich, dass die Zahl der Bewerber hoch ist. Denn für viele junge Menschen ist das Studium ein Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Mein Heimatland musste bereits harte Reformen durchsetzen, um überhaupt ein Mitglied der EU und der Euro-Zone zu werden. Diese strikten Regeln sollte es für alle Länder der Euro-Zone und für deren Wirtschaft geben. Das ist eine harte Entscheidung. Aber wenn wir die Währung teilen sollen, dann müssen wir auch die Regeln und Auflagen teilen.

Heidi Beha, 28, Deutschland:

Leider ist Europa ein Konzept des Westens. Der Osten ist nicht als gleichberechtigter Partner aufgenommen. Die Krise nehme ich nur aus Erzählungen und über Medien wahr. Das ist gut! Endlich haben es europäische Themen dauerhaft auf die Titelseiten der Zeitungen in Deutschland geschafft. Eine verlorene Generation gibt es in Deutschland nicht, im Gegenteil. Es gibt verlorene Regionen, Stadtviertel oder Schichten, aber keine ganze Altersgruppe, die keine Zukunft hat. Die Krise wird nicht durch Hilfspakete für den Arbeitsmarkt gelöst. Es liegt nicht an den Jugendlichen, deren Ausbildung oder Haltung. Es liegt an der Wirtschaft. Die Wirtschafts-, Industrie- und Finanzpolitik muss überdacht werden.

Theodora Matziropoulou, 25, Griechenland:

Die Krise ist nicht nur eine wirtschaftliche. Es ist eine soziale, politische und eine Krise der Institutionen. Die Menschen verlieren Vertrauen in den Staat. Aber die Bürger eines Landes vertrauen auch nicht mehr den Nachbarn in anderen EU-Staaten. Jeden Tag werde ich Zeuge, wie überqualifizierte junge Menschen zur „verlorenen Generation“ werden und die Mittelschicht absteigt zu einer verwundbaren Gruppe. Es ist Zeit, die Zukunft Europas neu zu denken. Wir sind nicht nur eine Handelsgemeinschaft. Vertrauen aufzubauen wird eine lange Zeit andauern. Der Fokus sollte auf den Jugendlichen liegen – sie darf nicht die „verlorene Generation“ sein. Wir müssen sie finden!

Enja Sæthren, 22, Norwegen:

Es ist ziemlich schwierig zu sagen, was Europa eigentlich bedeutet. Denn es fehlt eine gemeinsame Identität, die alle Europäer teilen. Ich habe ganz andere Erfahrungen als viele junge Menschen in Europa. Aber es ist mir wichtig, dass wir an der Seite derer stehen, die brutal von der Krise getroffen sind. Es sind nicht Menschen aus Spanien oder Griechenland, die eine Krise verursacht haben. Aber sie sollen jetzt aufräumen nach der großen Party. Europa muss die Auflagen für die Finanzwelt verschärfen. Der Finanzsektor muss verkleinert werden, und das traditionelle Bankgeschäft sollte losgelöst werden von Spekulationen an der Börse. Für diese Finanzgeschäfte brauchen wir eine höhere Steuer.

Doru Toma, 28, Rumänien:

Europa ist der Ort, den ich mein Zuhause nenne und der mir ein Gefühl von Sicherheit gibt. Mich beunruhigen aber die hohen Hürden für die junge Generation, einen Arbeitsplatz zu finden. Qualifizierte Uni-Absolventen finden keinen Job in ihrem Bereich, gleichzeitig sind Angestellte mit einem festen Arbeitsplatz kaum bereit, in einen anderen Job zu wechseln. Was Europa erreicht hat, ist einmalig. Das sollte nicht einfach als gegeben hingenommen werden. Wir müssen an die Vorteile Europas denken und die Entscheider in der EU zu mehr Integration drängen. Gemeinsam sind wir stärker!

Marta Remacha, 25, Frankreich:

Zweifel machen sich breit in Europa, die EU wird infrage gestellt. Andererseits ist die Krise die Chance, Europa auf den Prüfstand zu stellen und das System zu verbessern. Wenn nun viele Menschen aus einem Krisenstaat bei einem europäischen Nachbarn neue Arbeit suchen, stärkt das die Identität Europas. Hört doch auf, Europa nur als Wirtschaftsraum zu denken! Es ist eine kulturelle und soziale Union. Viele der aktuellen Probleme resultieren aus dem Unwillen der Regierungen zusammenzuarbeiten. Die EU gibt es nicht umsonst und erfordert Anstrengungen. Aber die Werte Europas sind kostenlos.

Michails Kozlovs, 26, Lettland:

2008 erlebte Lettland bereits eine enorme wirtschaftliche Krise. Nun aber sehen wir langsames Wachstum. Noch immer gibt es hier eine Europa-Skepsis, sie verschwindet sicher mit der Einführung des Euro 2014. Der Euro wird den lettischen Markt stärken. Es gibt für die Euro-Krise nicht die eine Lösung. Aber was sich ändern sollte, ist die Informationspolitik der Regierungen und Medien. Europa braucht zudem eine starke Zivilgesellschaft, um die Menschen mehr über Europa aufzuklären. Klar, der Kontinent erlebt derzeit Konflikte. Das passiert in jeder Familie.