Seine erste Reise führt den neuen Papst nach Lampedusa. Dort macht er auf den Notstand vor den Toren Europas aufmerksam

Lampedusa. Schon im Voraus hatte diese Reise für Wirbel gesorgt. Dass Papst Franziskus seinen ersten Besuch außerhalb Roms ausgerechnet auf die „Flüchtlingsinsel“ Lampedusa unternahm, wurde allgemein als starkes Signal gewertet. Der Name des kleinen italienischen Eilands 130 Kilometer vor Tunesien steht seit Jahren als Synonym für das Elend der Bootsflüchtlinge, die auf der Fahrt von Nordafrika nach Europa ihr Leben riskieren, zu Hunderten zusammengepfercht auf kleinen Fischerbooten.

Allein in diesem Jahr landeten nach Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR rund 7800 Menschen an Italiens Küsten, 4000 davon auf Lampedusa; 40 von ihnen starben nach offiziellen Zählungen. Die Leute ertrinken, wenn die klapprigen Kähne kentern, oder verdursten, wenn sie in den Weiten des Mittelmeers die Orientierung verlieren. Wer die Strapazen übersteht, dem droht die Abschiebung. Denn mehr als Verzweiflung haben die Gestrandeten dem italienischen Asylgesetz in der Regel nicht anzubieten.

Noch am Morgen hatte die Marine 165 Migranten gerettet und auf die Insel gebracht. Doch das Drama ist in den europäischen Nachrichten längst zur Routine geworden, wie Franziskus auf Lampedusa beklagte. Die Sirenen der begleitenden Kutter heulten auf, als er kurz nach seiner Ankunft von einem Boot der Küstenwache aus einen Blumenkranz in die See warf, zum Gedenken an die vielen Todesopfer vor der Küste. Rund 20.000 sollen es in den vergangenen drei Jahrzehnten gewesen sein. Danach verharrte der Papst minutenlang im Gebet. An der Hafenmole von Lampedusa erwarteten Franziskus dann zahlreiche afrikanische Flüchtlinge.

Lächelnd reichte Franziskus einem nach dem anderen die Hand. „Ich bete für euch, auch für jene, die nicht hier sind“, sagte er. Die Begegnung hatte auch eine interreligiöse Dimension, denn die Hälfte der Migranten auf Lampedusa sind derzeit Muslime, viele kommen aus Somalia und Eritrea. Einer von ihnen sprach in einem Grußwort an den Papst von den Qualen, die sie auf ihrem Weg nach Italien durchmachen mussten und von der miesen Behandlung durch die Menschenschmuggler, denen die Migranten meist ihr gesamtes Erspartes überlassen müssen. „Wir bitten die europäischen Länder, uns zu helfen“, so der junge Mann.

So nah wie bei der anschließenden Messe werden die meisten Insulaner den Ankömmlingen aus Afrika noch nie gekommen sein. Rund 10.000 Menschen feierten den Papst auf dem Sportplatz am Hafen. In seiner Predigt zollte Franziskus den Lampedusanern seinen Respekt: „Ihr seid eine kleine Gemeinschaft, aber ihr gebt ein Beispiel der Solidarität. Danke.“ Die Ermutigung tut not, denn viele Einheimische sind erbost über den Andrang aus dem Süden. Er drückt aufs Image der kleinen Insel, die neben dem Fischfang auf den Tourismus angewiesen ist. Und da gehen die Zahlen zurück. In starken Worten prangerte der Papst den Umgang mit dem alltäglichen Drama im Mittelmeer an. Heute sei die Fähigkeit zum Mitleid verloren gegangen. „In der Wohlstandskultur denken wir nur an uns selbst und sind nicht mehr sensibel für die Schreie der anderen“, mahnt er vor den Besuchern der Messe unter freiem Himmel. Die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und die Gewöhnung an das Leiden der anderen führe zu einem „Leben in Seifenblasen, die nichts sind, sie sind die Illusion des Nutzlosen“. Das Flüchtlingselend sei ein „Dorn im Herzen, der Leiden bringt“.

Er habe sich verpflichtet gefühlt, als Zeichen der Solidarität nach Lampedusa zu kommen, „um unsere Gewissen wachzurütteln, damit das hier nie wieder passiert“. Franziskus prangert auch das rücksichtslose Profitstreben von Schleusern an, die sich die Not der Flüchtlinge zunutze machten. Den politisch Verantwortlichen wirft er Grausamkeit vor. Christen dürften sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen. Gott verlange von jedem Rechenschaft.

Zwar ging Franziskus nicht direkt auf Fragen der europäischen Flüchtlingspolitik ein; aber seit Langem mahnt der Vatikan eine großzügigere Behandlung von Armutsmigranten an. Erst am Freitag rief der vatikanische Migrantenminister Kardinal Antonio Maria Veglio in der Tageszeitung „Osservatore Romano“ die Regierungen Europas auf, die Aufenthaltsbedingungen für Flüchtlinge und ihre Unterbringung zu verbessern. Nur rund vier Stunden dauerte Franziskus’ Reise ans Ende Europas. Sie führte ihn mitten hinein in den Brennpunkt des Wohlstandsgefälles zwischen Nord und Süd. Dass jeder päpstliche Prunk im Hafen von Lampedusa fehlte, versteht sich von selbst. Franziskus wollte einen schlichten Empfang mit kleiner Entourage, in der auch keine Politiker waren. Die Symbolik des Aufenthalts reichte aus.

Politiker und Vertreter von Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen in Deutschland würdigen die Lampedusa-Reise des Papstes als wichtiges Zeichen. Der flüchtlingspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Josef Winkler, sagt, die Lampedusa-Reise sei ein „starkes Signal“ gegen europäische Abschottungspolitik. Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, fordert eine „humanere und liberalere Flüchtlingspolitik“. Caritas-Präsident Peter Neher meint, die Reise des Papstes sei ein „starkes Signal“, die Augen vor der Not von Migranten und Flüchtlingen nicht zu verschließen. Der Chef des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland, Frido Pflüger, fordert in der „Berliner Zeitung“, reiche Länder müssten mehr Flüchtlinge aufnehmen und sicherstellen, dass sie in Würde leben können. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, dankt Franziskus für dessen „zutiefst demütige als auch politische Geste“.