Femen-Aktivistin Josephine Witt aus Hamburg protestierte mit ihrem Körper gegen die tunesische Justiz. Nun sitzt sie selbst in Haft. Wie sinnvoll sind ihre Aktionen?

Hamburg/Tunis. Ihre Freundinnen auf Facebook haben ihr eine digitale Geburtstagskarte gebastelt. „Happy Birthday, Our Heroine Josephine!“. Josephine Witt, die moderne Heldin. So sehen sie es bei den Frauenrechtlerinnen von Femen in Deutschland. Witt ist eine von ihnen. Die Studentin aus Hamburg ist am vergangenen Wochenende 20 Jahre alt geworden. Sie erlebte ihren Geburtstag in einem Gefängnis in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Ob sie dort noch knapp vier Monate inhaftiert bleibt oder ob sie freigelassen wird, soll heute ein Richter im Berufungsverfahren entscheiden. Der Geburtstagsgruß im Internet zeigt ein Bild von Witt: die langen rötlichen Haare, einen Blumenkranz auf dem Kopf, „Free Fighter“ hat sie sich in roter Farbe über ihren nackten Oberkörper gemalt.

Als Josephine Witt Ende Mai gemeinsam mit zwei französischen Mitstreiterinnen von Femen vor dem Justizministerium in Tunis die Arme kämpferisch in die Luft streckte, stand auf ihrem nacktem Oberkörper: „Breasts Feed Revolution“. Es bedeutet so etwas wie: Gebt der tunesischen Revolution die Brust! Sie wollten vor allem für die Freilassung einer inhaftierten tunesischen Femen-Aktivistin demonstrieren. Nach nur wenigen Minuten zerrten Sicherheitskräfte die Frauen zu Boden, führten sie ab. Es war der erste Nackt-Protest von Femen in einem arabischen Land. Und es war erst Josephine Witts dritte große Aktion.

Das Bild der drei Frauen geht um die Welt. Viele bejubeln im Internet den Protest gegen Tunesiens Justiz, sprechen Witt Mut zu: „Behalte deinen Stolz und lass dich nicht brechen, du bist eine starke Frau“, schreibt einer auf der Facebook-Seite. Die Bundesregierung kritisierte die Inhaftierung, viele hoffen auf eine baldige Freilassung. Sogar einen Eintrag im Online-Lexikon Wikipedia gibt es zu Witt. Das ist die eine Seite.

Die tunesischen Richter bestrafen ihr Verhalten als „unzüchtig“, in einem Land, in dem viele Frauen Kopftücher tragen. Im Sommer soll eine neue Verfassung verabschiedet werden. In ihr ist auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben. Dennoch übten einige, nicht nur muslimische Feministinnen Kritik an der Aktion. Und aus einer inhaftierten Aktivistin in Tunesien sind nun vier geworden. Das ist die andere Seite. Die Geschichte von Femen und Josephine Witt ist eine über Mut, Provokation, den Wunsch nach einer gerechten Welt und das Spiel mit den Medien, aber auch eine Geschichte über Sinn und Unsinn von Protest, über Ignoranz und das Scheitern.

Proteste gegen Berlusconi und Sextourismus

Wer ist Witt? Wer ist Femen? Und was ihre Motivation? Witt will im Schemenhaften bleiben. Ihren richtigen Namen soll die Öffentlichkeit nicht erfahren, sie schützt sich und ihre Familie mit dem Pseudonym. Die Eltern, heißt es, wollten sich nicht äußern. Man weiß nur, dass sie an der Hamburger Universität Philosophie studiert. Die Frau, die sich Josephine Witt nennt, ist vor allem eine Aktion. Genauso wie die Gruppe Femen vor allem Aktion ist, ihr Markenzeichen ist der nackte Körper. Ihren Kampf für die Frauenrechte und Menschenrechte nennt sie Sextremismus. 2008 gründete Femen sich in der Ukraine, sie protestierte 2011 vor der italienischen Botschaft in Kiew gegen Silvio Berlusconi, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und bei der Fußball-EM 2012 in der Ukraine gegen den wachsenden Sextourismus. Während der EM wurde auch Witt auf Femen aufmerksam. Sie erfuhr, dass es in Hamburg eine Gruppe gibt. Und stieß im Januar dazu.

Irina Khanova spricht ruhig. Sie macht Pausen zwischen ihren Sätzen, denkt kurz nach, dann wieder hasten die Gedanken aus ihrem Mund. Die 33-Jährige arbeitet als selbstständige Grafik-Designerin in Hamburg. Khanova kam aus Russland hierher – und ist so etwas wie die Stimme von Femen in Deutschland. Junge Frauen wie Khanova und Witt sind getragen von einer Wut – sie prangern die Unterdrückung von Frauen an, die boomende Sexindustrie und rückständige Familienpolitiker. Wer Femen nur von ihren Aktionen kennt, sieht eine Welt in Gut und Böse. Provokation lässt keine Graustufen zu.

Im April rennen Khanova, Witt und eine dritte Aktivistin auf eine Bühne auf der Messe in Hannover. Bis auf wenige Meter kommen sie an Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Kanzlerin Angela Merkel ran, schreien, reißen die Arme nach oben. „Fuck Dictator“ steht auf ihren nackten Oberkörper. Homosexuelle werden in Russland diskriminiert, dagegen brüllen sie in Hannover an. Dann kommen die Bodyguards. Es war Witts zweite große Aktion. Ihre letzte vor der Abreise nach Tunis.

„Natürlich habe ich auch Angst um Josephine. Wir sind alle erschüttert, aber wir wollen unsere Schwäche nicht zeigen. Wir wollen schließlich Angst machen“, sagt Khanova. Josephine habe aber auf jeden Fall bei den ersten Protesten in einem arabischen Land dabei sein wollen. „Sie wusste, dass es gefährlich war. Aber sie war seelisch vorbereitet.“ Kontakt zu Witt hat sie nicht. Nur ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Tunis besucht sie regelmäßig.

Witt studiert an der Hamburger Uni

Witt studiert im zweiten Semester in Hamburg, war in einem Theaterkurs. An dem überschaubaren Fachbereich kennt man sich. „Sie ist definitiv eine geistreiche und kluge Studentin, sehr aktiv und interessiert“, sagt Benjamin Schnieder dem Abendblatt. Er ist Witts Professor für theoretische Philosophie und Sprecher des Fachbereichs. Sie hatte bei ihm zwei Einführungskurse belegt, unter anderem im Fach Logik. Witt habe sich für Politik interessiert, aber auch im größeren Sinn für gesellschaftliche Fragen, sagt Schnieder. „Ich erinnere mich an eine Diskussion über die Rolle der Frau, bei der sie sehr aufgebracht war.“ Schnieder ist Philosoph, aber er fasst sich kurz, wenn es darum geht, die Aktionen von Femen zu bewerten: „Man kann sich fragen, ob es eine sinnvolle Protestaktion war. Aber im Moment steht für mich die Sorge um die Studentin auf der Tagesordnung.“

Sinnvoller Protest? Nur Show? Beides? Kurz vor ihrer Abreise nach Tunesien gab Josephine Witt der Zeitschrift „Zeit Campus“ ein Interview. Etwas müsse man der Öffentlichkeit geben, wolle man eine Botschaft verbreiten. „Bei uns ist es der Körper. Wir benutzen ihn als Waffe für unseren Protest.“ Bei einem Aufmarsch der NPD ist sie das erste Mal dabei, mit ihr vier Freundinnen von Femen. „Als ich mich vor den anderen ausgezogen habe, war mir das erst peinlich.“ Sie habe sich gefragt: Wie prüde bist du eigentlich? Dann ging es los, über die Absperrung zu den Nazis. Die Polizei schritt ein. „Trotzdem habe ich mich befreit gefühlt.“

Josephine Witt ist seit der Aktion in Tunesien nicht mehr in Freiheit. „Fuck your Morals“ hielt eine von ihnen auf einem Transparent hoch. „Wir scheißen auf eure Moralvorstellungen.“ Es ist der Spruch, mit dem auch die inhaftierte tunesische Femen-Aktivistin provozierte. Sie bekam Morddrohungen von radikalen Islamisten. Doch auch vielen Muslimas in Tunesien und Europa gehen die Femen-Aktionen zu weit, sogar denjenigen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Sie kritisieren die Einmischung in den Kampf der muslimischen Feministinnen, manche nennen es Post-Kolonialismus: „Wir müssen uns nicht an euch anpassen, um emanzipiert zu sein“, sagen sie. Einige befürchten, dass Nacktproteste Wind in die Segel der extremen Islamisten bringen könnten.

Femen hat in kürzester Zeit eine maximale Aufmerksamkeit erreicht. In vielen Ländern wächst die Gruppe, in Hamburg sucht sie einen neuen Raum als Trainingszentrum. Doch es wächst auch die Kritik. Josephine Witt sitzt in Tunis in Haft, vielleicht kommt sie heute frei. Wenn sie dann nach Hamburg zurückkehrt, wird sie in den Kiosken ihr Foto auf dem Titel von „Zeit Campus“ sehen. Wieder hat sie eine Parole auf ihrer nackten Brust: „Bin ich politisch?“