Die Mission Atalanta zeigt Wirkung: Somalische Seeräuber wollen ihr Unwesen aufgeben. Dafür gehen ihre Kollegen vor Nigeria zum Kidnapping über.

Hamburg. Die erfolgreiche Zeit der Piraten vor der ostafrikanischen Küste scheint vorbei zu sein. Angesichts wachsamer internationaler Marineschiffe der Mission Atalanta in dem Seegebiet und Militärschlägen gegen Landbasen der Seeräuber, konsequent angewendeter Sicherheitsregeln an Bord und bewaffneter Wachen auf vielen Schiffen ging die Zahl der Überfälle zurück.

Aufgrund der gesunkenen Erfolgsaussichten sind die bisherigen somalischen Geldgeber, die in Vorbereitungen der Überfälle investierten, nicht mehr bereit, Gelder zur Verfügung zu stellen. Sie sehen ihre Renditen gefährdet. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist wohl auch die Erklärung von Mohamed Abdi Hassan zu werten, der gemeinhin als Somalias Piratenkönig gilt. Er kündigte an, seine gesamte Seeräubertruppe werde ihrer kriminellen Arbeit nicht weiter nachgehen. Zugleich aber rief er die Regierung dazu auf, Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen.

Sicher aber sind die afrikanischen Küsten damit noch lange nicht, das Piraterieproblem hat sich nur verlagert. Erst am Sonnabend (23. Mai) trafen vier Seeleute des Containerschiffs „Hansa Marburg“ der Hamburger Reederei Leonard & Blumberg wieder in Deutschland ein. Der Kapitän, der Zweite Offizier, der Leitende Maschinist und ein Bootsmann waren am 22. April von Bord verschleppt und an einen versteckten Ort gebracht worden. Sie stammen aus Russland, der Ukraine und Kiribati. Der Überfall hatte sich vor der Küste Äquatorialguineas etwa 130 Seemeilen südwestlich von Malabo ereignet. Das Schiff fuhr in Charter eines spanischen Unternehmens im Liniendienst zwischen Spanien und Äquatorialguinea. Nachdem die Geiseln entführt worden waren, setzte es seine Fahrt in den Senegal fort. Zunächst hatten Piratenbanden es gegen Ende des vergangenen Jahres vor Westafrika nur auf Schiffsladungen und Wertgegenstände an Bord abgesehen. Daher griffen sie schnell zu Schusswaffen, wenn Besatzungen Widerstand leisteten. Dazu sagte Noel Choong, Leiter des Piracy Reporting Center (PRC) in Kuala Lumpur: „Sie stammen hauptsächlich aus Nigeria. Ihr Hauptinteresse erstreckt sich auf Öl und Gas. Den Treibstoff pumpen sie ab, um ihn selbst zu verbrauchen, oder sie bieten ihn auf dem Schwarzmarkt an“. Das PRC gehört zum Internationalen Schifffahrtsbüro (IMB) der Internationalen Handelskammer und dient als zentrale Meldestelle für Piratenattacken.

Bundespolizei und Hamburger Staatsanwaltschaft ermitteln jetzt

Nun entwickelten die Piraten offensichtlich eine neue Taktik. Anstatt ganze Schiffe zu entführen, wie es ihre somalischen Berufskollegen tun, und sie für die Dauer der Lösegeldverhandlungen vor der Küste vor Anker zu legen, kidnappen sie lediglich wichtige Besatzungsmitglieder. Das Schiff lassen sie weiterfahren. Für die Piraten hat dieses Vorgehen Vorteile: In dem Seegebiet vor Saaten mit intakten staatlichen Strukturen wären sie mit einem kompletten gekaperten Schiff während der Verhandlungsphase selbst angreifbar. So aber können sie sich mit den Geiseln einfacher vor Polizei- und Marinekräften verstecken und Lösegeldforderungen aushandeln. Zwar gibt es darüber keine offiziellen Angaben, aber die werden wohl auch im Fall der „Hansa Marburg“ gezahlt worden sein.

Wie die Seeräuber vorgingen und wie brutal sie ihre Geiseln behandelten, das ermitteln jetzt Bundespolizei und Staatsanwaltschaft Hamburg. Dafür werden sie die Opfer befragen. Wie sie behandelt wurden, ist eine wichtige Frage. Denn bei den bisherigen Überfällen vor der westafrikanischen Küste gingen die Seeräuber skrupellos vor und hatten ihre Zeigefinger locker am Abzug. Denn lediglich Ladung und Wertgegenstände waren ihre Beute. Menschenleben hatten keinen Wert. Wenn sie aber künftig über Lösegelder verhandeln, dann kann dies für Seeleute bedeuten, dass ihre Leben geschont werden, weil nur ein lebender Seemann Lösegelder bringt. Wie man aus den Berichten derjenigen weiß, die diese Torturen überstanden haben, sind sie aber trotzdem erheblichen Belastungen ausgesetzt.

Auch auf die Verteidigung von Schiffen mit zivilen und bewaffneten Wachen haben sich Piratenbanden mittlerweile eingestellt. Sie änderten schnell ihre Taktik und griffen nun mit einer Vielzahl kleiner schneller Motorbote, sogenannten Skiffs an. Mit den Wachen eines russischen Handelsschiffes lieferten sie sich eine Stunde lang ein Feuergefecht, bevor sie sich zurückzogen. Iranische Nachrichtenagenturen berichten sogar von einem Feuergefecht zwischen iranischen Einheiten und somalischen Piraten um ein Containerschiff, das 48 Stunden gedauert haben soll. Demzufolge wurden zwölf Seeräuber festgenommen und in den Iran geschafft.

Solche Angriffe mit vielen Skiffs können das Wachpersonal an Bord schnell überfordern, zumal meist nur drei bis vier private Schutzleute auf den Schiffen mitfahren. Wenn die Piraten sich auf bewaffnete Gegenwehr an Bord einstellen, besteht die Gefahr, dass künftige Entführungen blutiger enden als bisher. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb europäische Marineverbände Vorbehalte gegenüber private Sicherheitsdienste haben.