Die Kardinäle haben sich zum Konklave zurückgezogen. In den nächsten Tagen wird es vormittags und nachmittags jeweils zwei Wahlgänge geben

Rom. Die Zeit der Worte ist vorbei. Keine Interviews, keine Predigten, keine Hintergrundrunden mehr. Wenn an diesem Tag überhaupt noch etwas aus den Kardinälen herauszubekommen ist, dann nur noch über Körpersprache, und die ist natürlich noch missverständlicher als alles, was die Kirchenfürsten aus aller Welt mit Worten gesagt haben. Die Konklave-Eröffnungsmesse am Dienstagmorgen im Petersdom ist auf unbestimmte Zeit die letzte Gelegenheit, die Kardinäle noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Und Kardinal sein muss Spaß machen im Moment. Für ein paar Tage, vielleicht sogar nur für ein paar Stunden sind die Herren in Rot der Star. Das Kollektiv. Bis sie alle wieder einem Einzigen aus ihrer Mitte huldigen müssen, der dann wieder alleine das Machtzentrum der Kirche bildet.

Der Petersdom wird von Kritikern gern als protzige und unsinnig große Bahnhofshalle verspottet. An diesem Tag aber ist die größte Kathedrale der Welt zu klein für die Gläubigen. Tausende sind gekommen, um die Messe "Pro Eligendo Romano Pontifice" ("Für die Wahl des Papstes") zu feiern, den Auftakt des Konklave. Eine Veranstaltung, die allen offensteht, es gibt keine Eintrittskarten und keine Gästelisten. Pilger, Journalisten und Touristen beten gemeinsam mit allen Kardinälen der Kirche, auch denen, die älter als 80 Jahre alt sind und bei der Papstwahl nicht dabei sein werden.

Von den monströsen Besucherzahlen, dem prominenten Klerus und dem unglaublich schief singenden Kirchenchor einmal abgesehen, ist der Gottesdienst eine normale Messe wie jeden Sonntag in der Pfarrkirche um die Ecke. Der gleiche Ablauf, mit Fürbitten, mit Glaubensbekenntnis, mit Vaterunser. Nur dass im Hochgebet nicht, wie sonst üblich, für den Papst gebetet wird, den gibt es ja gerade nicht.

Die Auswahl der Bibeltexte, die verlesen werden, kommt erstaunlicherweise ohne jeden Bezug zum Apostel Petrus aus, dessen Nachfolger doch ab heute gesucht werden soll. Dafür spricht der italienische Kardinal Angelo Sodano, der die Messe liest, zu Beginn ein Gebet auf Latein: "Lieber Gott, du ewiger Hirte, der du deine Herde mit großer Fürsorge hütest: Gib deiner Kirche einen Papst, der dir selbst wegen seiner Heiligkeit genehm ist und der uns umsichtig dienen wird." Sodano ist der einzige Kardinal, der heute redet. Er zelebriert die Messe in seiner Eigenschaft als Kardinaldekan, also Vorsitzender des Kardinalskollegiums. Er wird im Konklave fehlen, weil er über 80 ist. Aber er ist immer noch eine imposante Erscheinung, bullig, mit dröhnender Bassstimme. Seine italienische Predigt liest er von einem Zettel ab, thronend vor dem Hauptaltar. Als Erstes dankt er Papst Benedikt XVI. für "sein lichtvolles Wirken" - und wird unterbrochen von spontanem, minutenlangem Applaus. Die Gläubigen mögen Benedikt nie so sehr geliebt haben wie seinen Vorgänger - aber sie halten ihn in Ehren. Und wissen, dass er noch da ist. Dass er davon erfahren wird, wie sie für ihn geklatscht haben.

Dann entwirft Sodano anhand von drei Bibelstellen ein Anforderungsprofil für den neuen Papst, wobei er stets den heiligen Petrus als Vorbild nimmt, wenn der schon sonst nicht erwähnt wird in dieser Liturgie: Gesucht werde "ein guter Hirte". Einer, der barmherzig sein müsse, der die Einheit der Kirche bewahren könne, und der aus Liebe lebe, so wie Jesus seinen Jüngern gesagt habe: "Das ist mein Gebot: Liebet einander." Sodano begnügt sich in dieser wichtigsten und ehrenvollsten Messe seiner Laufbahn mit reiner Bibelauslegung. Eine wenig ambitionierte Predigt. Als Joseph Ratzinger die Messe "Pro Eligendo Romano Pontifice" vorm Konklave 2005 las, war er in seiner Predigt viel politischer geworden und hatte die Formulierung von der "Diktatur des Relativismus" geprägt.

Nach der Messe, die knapp zwei Stunden dauerte, gingen die Kardinäle in die Mittagspause. Seit Dienstagmorgen um 7 Uhr haben sie ihre Quartiere im vatikanischen Gästehaus Santa Marta bezogen. Um 16.30 zogen sie feierlich in die Sixtinische Kapelle ein und baten dabei singend den Heiligen Geist auf sich herab. Die erste Abstimmung am am Abend brachte erwartungsgemäß noch kein neues Kirchenoberhaupt, wie der schwarze Rauch über der Sixtinischen Kapelle zeigte.

In den nächsten Tagen wird es vormittags und nachmittags jeweils zwei Wahlgänge geben, also vier pro Tag. Nach jeweils zwei Wahlgängen oder aber direkt nach einem erfolgreichen Wahlgang lassen die Kardinäle Rauch aufsteigen - es ist die einzige Art, mit der sie jetzt noch mit der Außenwelt kommunizieren. Wer dann als neuer Papst an die Loggia tritt, ist völlig offen. Als Favoriten gelten weiterhin: der populäre und bei den Kardinälen einflussreiche New Yorker Oberhirte Dolan, Mailands Erzbischof Angelo Scola, Wiens Kardinal Schönborn und der 55 Jahre junge Luis Antonio Tagle von den Philippinen.

Bei den Menschen, die in diesen Tagen auf dem Petersplatz ausharren oder im Petersdom beten wollen, fällt überdurchschnittlich oft der Name Sean Patrick O'Malley. Der Bettelmönch und Erzbischof von Boston ist populär wegen seiner bescheidenen Art, seiner Wohltätigkeit und seiner entschlossenen Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in den USA. In Rom ist O'Malley derzeit eine Art Papst der Herzen. Aber das wird ihm im Konklave nur bedingt helfen. Dort treffen nicht die Gläubigen die Entscheidung. Und wie die Kardinäle einen Kapuziner an der Spitze der Weltkirche fänden, darüber kann man sie nicht mehr befragen, die Schweizer Garde sorgt schon dafür, dass niemand Unbefugtes mehr in ihre Nähe kommt.

Die Zeit der Worte ist vorbei.