Beppe Grillos “Fünf-Sterne-Bewegung“ wird in Italien stärkste Einzelpartei. Seine Karriere begann der Politiker mit einem „Leck-mich-Tag“.

Rom. Was Beppe Grillo betrifft, mag es hilfreich sein, sich Italien mit einem Gedankenexperiment zu nähern. Stellen wir uns also vor, wir wären Italiener. Zum Beispiel als Taxifahrer oder als Journalist. Unsere 28-jährige Tochter wohnte immer noch bei uns, weil sie an eine eigene Wohnung nicht denken kann. Zuletzt wurde das Geld in unserem Portemonnaie immer weniger. Es kamen immer neue Abgaben dazu und wie wir bisher die Sache mit der Steuer gehandhabt haben, soll inzwischen als kriminell geahndet werden.

Von Mario Monti haben wir dazu erfahren, dass das alles gut so sei. Berlusconi verspricht, bei seinem Wahlsieg unsere Verluste bar zurückzuzahlen. Wie gern möchten wir ihm glauben, doch wir sind auf seine Versprechen schon mehrmals reingefallen. Bersani mögen wir nicht wählen, weil wir Angst vor seiner kommunistischen Vergangenheit haben. Im Radio erfahren wir, dass uns der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz aus Brüssel und kluge Leitartikler aus Berlin raten, nur ja vernünftig zu wählen, um die Architektur des neuen Europa nicht zu gefährden. Könnte es da nicht sein, dass wir uns selbst plötzlich bei einem "Leckt mich doch alle einmal" ertappen?

Genau das aber ist die Stunde Beppe Grillos aus Genua, der seine Karriere vor Jahren vor einer immer komplexer und komplizierter werdenden Wirklichkeit mit der Ausrufung eines "Leck-mich-Tages" begonnen hat. Jetzt ist er damit zum eigentlichen Sieger der italienischen Wahl geworden. Seine Gegner aus dem traditionellen politischen Lager mögen ihn für ein Gespenst aus dem Cyberspace halten, das sich auf Italiens schöne Plätze heruntergebeamt hat. Doch es ist kein Kino. Der Mann ist real und nicht virtuell. Und seine "Fünf-Sterne-Bewegung" ist keine Partei. Diese Bewegung ist die Bugwelle eines Protest-Tsunami gegen die "Kaste der Parlamentarier", gegen Verschwendung und gegen die Richtlinien der Europäischen Zentralbank.

Jetzt hat diese Monsterwelle ihn als stärkste Einzelpartei mit 25,55 Prozent in Italiens Parlament und mit 23,7 Prozent in den Senat gespült. Der Sieger bleibt allerdings ohne Amt. Er wird nicht ins Parlament einziehen, weil er vorbestraft ist. Bei einem von ihm verschuldeten Autounfall kamen 1981 drei Menschen ums Leben. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Grillo ist ein keifender Moralist, ein eifernder Jakobiner und ein demagogischer Populist, der niemals zögert, die Missstände der Parteien lautstark anzuprangern. Persönlich konnte er allerdings seine rigorosen Ansprüche und seiner luxuriöse Lebenswirklichkeit nie zur Deckung bringen. Sein Führungsstil ist autoritär. Politik macht er ohne Parteiprogramm und gegen die Fernsehkampagnen Berlusconis, Bersanis und Montis setzte er auf seinen Blog, auf Twitter und Facebook, und tobt dazu über die Plätze der italienischen Städte. Doch wohin er das Land führen wird, ist ungewiss. Gewiss ist nur, dass in Italien mit Beppe Grillo der pure Nihilismus wieder in die Politik einbricht.