Berlusconi und der Komiker Beppe Grillo dominieren den Wahlkampf. Doch Ministerpräsident könnte Ex-Kommunist Pier Luigi Bersani werden.

Mailand/Rom. "Ich würde gerne Italien regieren, aber trotzdem zu Fuß durch Rom laufen," bekennt Pier Luigi Bersani und sinkt in den kleinen Sessel. Er lächelt, während er sich das vorstellt, ist mit den Gedanken plötzlich woanders. Auch den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ist abends um elf das Träumen erlaubt. Ja, zu Fuß durch Rom, so ganz ohne Pomp und Hofstaat, mit dem Italiens Regierungschefs sich so gerne umgeben.

"Die Formalitäten auf ein Mindestmaß herunterschrauben", das will er, lieber mit den Leuten auf der Straße sprechen. So wie es der Wahlkämpfer Bersani seit zwei Monaten tagtäglich tut, kreuz und quer durch Italien reist, wo seine "Wähler und die Leute von der Partei-Basis die treuesten Begleiter und Helfer" sind. Aber auch seine Mitstreiter wie Nichi Vendola, Koalitionspartner von Linke, Ökologie und Freiheit, oder der junge Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, die in den Vorwahlen noch seine Gegner waren. Pier Luigi Bersani ist der Spitzenkandidat der Demokratischen Partei und dürfte bald Italien regieren.

Das Neonlicht in dem kleinen VIP-Raum des staatlichen Fernsehens RAI macht abends um elf niemanden schöner. Und im Gesicht von Bersani sind die Falten sowieso etwas tiefer, als sie es vor Weihnachten waren. "Ich hatte mir für diesen Wahlkampf vorgenommen, keiner leichten Demagogie zu verfallen und den Italienern keine Märchen zu erzählen", sagt er. Durch das Zimmer wabert der Geruch von angebranntem Kaffee. Ein gelangweilter Kellner in Livree klappert mit Tassen. Bersani ist müde, aber glücklich: "Ich bin stolz, denn ich habe das geschafft. Ich bin standhaft geblieben!"

Wenn es so kommt, wie die Umfragen wollen, werden die Italiener am Sonntag und Montag an die Wahlurnen gehen und Silvio Berlusconi endgültig in den Ruhestand schicken. Sie werden dann nicht nur seine Politik, sondern auch einen Regierungsstil abschaffen. Diesen Mix aus Verschwendung, Klientelwirtschaft und Gleichgültigkeit, der Italien an den Rand des Ruins getrieben und mit den Eskapaden seines Regierungschefs in der Welt oft zur Lachnummer gemacht hatte.

Es ist Bersanis erstes Ziel, "Betrüger wie Berlusconi", aber auch die Lega "nach Hause zu schicken". Die haben ein schwieriges Erbe hinterlassen, einen Populismus, der die Wähler nun zwar weg von Berlusconi treibt, aber nicht nach links, sondern vor allem in die Arme des Komikers Beppe Grillo. Fast wie David gegen Goliath kommt einem Bersanis Kampf gegen die Populisten vor. Er hat ein großes Handicap in einem Italien, das an die Auftritte Berlusconis und Massenveranstaltungen von Grillo gewöhnt ist. In einem Italien, in dem, wie Bersanis Alliierter Nichi Vendola sagt, "das Gebrüll die Ideen ersetzt hat": Bersani hat kein Charisma.

Bersani ist pflichtbewusst und seriös. Seine Herkunft lässt ihn nicht los. Er stammt aus dem Örtchen Bettola oberhalb der Industriestadt Piacenza. Das ist das Nordende der Emilia-Romagna, die im Süden bis an die Adria reicht. Hier wuchs Bersani als Sohn eines Automechanikers auf, der eine Tankstelle im Ort hatte. Aus seiner Heimat nahm er auch seine Frau Daniela Ferrari mit, die beiden haben zwei Töchter.

Die Emilianer sind ein bodenständiger Menschenschlag, weniger redselig als andere Italiener. Mit dieser Mentalität haben sie ein kleines Wirtschaftswunder geschaffen und ihre Region, in der noch bis in die 60er-Jahre viel Armut herrschte, in eine der reichsten Europas verwandelt. Barilla, Ferrari, Max Mara, aber auch Rimini und Riccione sind Erfolgsmodelle.

In seiner Karriere hat der studierte Philosoph jede Etappe, vom einfachen Stadtrat in Bettola bis zum Minister unter Romano Prodi durchlaufen. Und er war einer der Ersten, die sich aus der kommunistischen Vergangenheit gelöst haben. Als Industrieminister setzte Bersani wichtige Reformen zur Liberalisierung von Wirtschaft und Staatsmonopolen durch. Bersani will der Industrie mit Steuererleichterungen als Gegenleistung für Arbeitsplätze helfen, er will große Vermögen besteuern und die Steuerhinterziehung bekämpfen, den Medienmarkt neu ordnen, mehr Frauen in die Politik holen.

Italien eilt der Ruf voraus, ein familien- und kinderfreundliches Land zu sein. Häufig übersehen wird dabei, dass die Lage der Frauen schwierig ist. Werden sie schwanger, wird ihnen nicht selten gekündigt. Abtreibungen sind ein Ausweg, der Verzicht ein anderer. Trotzdem spielt die Situation der Frauen im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle.

Die weibliche Beschäftigungsquote liegt mit 46,5 Prozent deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 56,7 Prozent. Die Bruttogeburtenziffer, die die Anzahl der Geburten zur Bevölkerung ins Verhältnis setzt, beträgt neun je 1000 Einwohner, in der EU sind es im Durchschnitt 10,4. Wenig Jobs, wenig Babys. Das ist Gift für das Wirtschaftswachstum.

Politik in Italien wird von Männern für Männer gemacht. Von den 630 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses sind 134 Frauen, nur 59 der 319 Senatoren sind weiblich. Und Berlusconi tritt mit einem kruden Frauenverständnis an. Der Milliardär steht vor Gericht, weil er Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben soll. Ins Regionalparlament der Lombardei holte er Nicole Minetti, eine Fachkraft für Dentalhygiene, die leicht bekleidet durch Fernsehstudios hüpft und die Bunga-Bunga-Partys mitorganisiert haben soll. Nachteile bringt das Berlusconi wohl dennoch nicht ein. "Frauen stimmen nicht anders ab als Männer", sagt Renato Mannheimer, Präsident des Meinungsforschungsinstituts Ispo. Berlusconi habe viele Wählerinnen, insbesondere Hausfrauen aus dem Süden. "Für sie ist die Abschaffung der Immobiliensteuer viel wichtiger als Bunga-Bunga."

Der Kandidat Bersani verlangt von den Italienern keine Wunder, wie Monti es getan hat. Mit Berlusconi teilt Bersani nur eine Leidenschaft: das Meer vor Sardinien. Dort zieht es ihn hin, sobald die Politik ihn aus der Pflicht lässt. "Ich liebe Sardinien, seit ich als junger Mann dort meine Wehrpflicht absolviert habe." Natürlich, es war die Pflicht und nicht etwa ein Kreuzfahrtschiff oder Privatjet, der ihn hingebracht hat.