In Bahrain, Ägypten und anderen Staaten der Region geht der Aufstand gegen die Regierungen in eine neue Runde. Islamisten auf dem Vormarsch.

Hamburg. Es ist vor allem die Jugend, die in vielen Staaten der arabischen Welt von Despoten und Autokraten um Lebensperspektiven und Freiheiten betrogen wurde. Insofern besitzt der Tod eines jungen Mannes in Bahrain durch Polizeikugeln eine tragische Symbolik für das bislang weitgehende Scheitern des Arabischen Frühlings.

Zusammen mit anderen Jugendlichen hatte der junge Mann im Dorf Diah unweit der Hauptstadt Manama gegen das Regime von König Hamad bin Issa al-Chalifa protestiert - Donnerstag war der zweite Jahrestag der brutal abgewürgten "Perlen-Revolution", benannt nach dem Perlen-Platz im Zentrum von Manama. In Diah feuerte die Polizei mit großkalibrigen Schrotflinten auf die Demonstranten. Der junge Mann starb an den Schussverletzungen.

Überall in der arabischen Welt sind die Dinge in Bewegung geraten. Bahrain war allerdings nicht der erste arabische Staat, in dem sich aufgestaute Frustration entladen hatte. Doch hatte es schon lange gegärt in der einst als Musterland etikettierten Golf-Monarchie. Dort wird eine Bevölkerungsmehrheit von 70 Prozent Schiiten von einer sunnitischen Elite diskriminiert. Ermutigt durch die Aufstände in anderen Staaten, hatten sich vor allem schiitische Jugendliche am 14. Februar 2011 auf dem Perlen-Platz versammelt. In der Folgezeit starben beim Aufruhr rund 70 Menschen durch Polizeikugeln oder in Folterhaft. Am Ende schlugen 1000 saudische Soldaten die Rebellion nieder - zum Zorn des Iran, der die bahrainischen Schiiten wohl aufgestachelt hatte. Trotz einer neu gewählten Regierung hat sich an den Machtverhältnissen bislang nichts geändert.

Anders als in den meisten Staaten der Region hatte sich in der unmittelbaren Nachbarschaft Bahrains wenig Revolutionäres getan: Weder in den Vereinigten Arabischen Emiraten noch in Katar kam es zu nennenswerten Protesten; in Saudi-Arabien kaufte König Abdullah potenziell Aufmüpfigen mit einer Spende von rund 37 Milliarden Dollar in die Wohlfahrtskassen sowie unverhüllten Drohungen den Schneid ab. Der König nahm die verjagten Herrscher vom Jemen, Salih, und von Tunesien, Ben Ali, bei sich auf.

Der Jemen gilt praktisch als gescheiterter Staat, in dem Schiiten und Sunniten gegeneinander fechten und al-Qaida große Teile des Landes unter seine Kontrolle gebracht hat.

Und in Tunesien hatte die "Arabellion" überhaupt begonnen, als sich der verzweifelte Akademiker Mohammed Bouzizi in der Stadt Sidi Bouzid am 17. Dezember 2010 selbst verbrannte.

Sein Tod war der Funke, der den arabischen Flächenbrand auslöste. Die aufgestaute Wut der Tunesier fegte den seit 23 Jahren autokratisch herrschenden Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali aus dem Amt. Doch nun ist Tunesien, neben Ägypten, Schauplatz einer Revolution 2.0. Aus Wut über die vertanen Chancen gehen nun wieder Tausende auf die Straßen, die sich von der neuen Regierung betrogen fühlen. Auslöser der Protestwelle war wieder der Tod eines Menschen: Der populäre Oppositionsführer Chokri Belaid wurde Anfang Februar in Tunis erschossen.

Er war ein unermüdlicher Kritiker der islamistischen Regierungspartei Ennahda. Sie wurde nach dem Sturz Ben Alis an die Macht gewählt, ist aber bislang spektakulär damit gescheitert, dem Land Wohlstand zu bringen und eine tolerante Gesellschaft zu errichten.

Tunesien, auf das sich die hoffnungsvollen Blicke von Millionen Arabern gerichtet hatten, ist in einer tiefen Krise. Das Land ist zerrissen zwischen Modernisten und Islamisten; dem Land könnte sogar ein Bürgerkrieg drohen. "An vielen Stellen ist ein islamistischer Faschismus auf dem Vormarsch", hat Frankreichs Innenminister Manuel Valls über den Arabischen Frühling gesagt. Die Verabschiedung der lang erwarteten neuen Verfassung liegt auf Eis.

Tunesiens Ennahda-Partei ist eng verwandt mit den Muslimbrüdern in Ägypten, die nach dem Sturz des Dauerdespoten und "Pharaos" Husni Mubarak, der das 85-Millionen-Einwohner-Land fast 30 Jahre lang regiert hatte, durch Wahlen an die Macht kamen. Die Muslimbrüder, an deren Rändern sich allerlei militante Islamisten tummeln, haben eine Verfassung vorgelegt, die auf der Scharia fußt. Präsident Mohammed Mursi, selbst Muslimbruder, hat sich Machtbefugnisse auf den Leib geschrieben, wie sie nicht einmal Mubarak hatte. Alles, worauf die Revolutionäre gehofft hatten, ist in Ägypten weiter im Niedergang: Demokratie, Pressefreiheit, Frauenrechte vor allem, aber auch das Wirtschaftswachstum.

Auch im benachbarten Libyen, wo Langzeitdespot Muammar al-Gaddafi ab Februar 2011 versucht hatte, die Rebellion mit großer Härte zu ersticken, aber der vom Westen militärisch unterstützten Revolte erlag, ist die Neuordnung des Landes extrem schwierig. Die alte Rivalität zwischen einzelnen Stämmen ist blutig ausgebrochen, zudem gibt es einen starken Gegensatz zwischen der Region um die Hauptstadt Tripolis und jener um Bengasi. Die Neubildung von Parlament und Regierung verlief chaotisch, und obendrein machen zunehmend militante Islamisten das Land unsicher.

Am 11. September 2012 hatten Islamisten in Bengasi den US-Botschafter und drei seiner Mitarbeiter ermordet. Zu den Feierlichkeiten zum zweiten Jahrestag der Revolution schließt Libyen vorsichtshalber seine Grenzen. Während das Regime Gaddafis, der im Oktober 2011 getötet wurde, recht schnell zusammenbrach, leistet der syrische Despot Baschar al-Assad zähen Widerstand in einem Bürgerkrieg, der am 4. Februar 2011 begann und mehr als 60.000 Menschen das Leben kostete.

Assad, der einst Hoffnungen als prowestlicher Reformer geweckt hatte, hat sich Herrschaftsstil und brutale Methoden seines verstorbenen Vaters Hafis al-Assad angeeignet, Präsident von 1971 bis 2000. Seine Truppen morden, foltern und bombardieren Wohnviertel. Allerdings benimmt sich die Rebellenarmee kaum besser. Die Arabische Liga hat Syrien ausgeschlossen, doch wirksame Uno-Maßnahmen gegen das Assad-Regime scheiterten am Widerstand Russlands und Chinas. Der Iran, der auch in Bahrain, im Libanon und im Irak die Finger im Spiel hat, unterstützt Assad mit Waffen und Kämpfern.