Ein Australier soll als Agent für den Mossad gearbeitet haben. 2010 kam er in Einzelhaft und erhängte sich. Die Hintergründe sind unklar.

Wäre es nach dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad gegangen, hätte diese Geschichte am 22. Dezember 2010 im australischen Springvale ihr endgültiges Ende gefunden. Auf einem jüdischen Friedhof unweit von Melbourne wurde an jenem Tag ein junger Mann begraben: Ben Zygier, so steht es auf dem schwarzen Grabstein, sei der liebende Ehemann von Maya, der seine Kinder vergötternde Vater von Romy und Juli und natürlich der geschätzte Sohn seiner Eltern gewesen.

In Wahrheit aber war Ben Zygier noch viel mehr: Der australische Fernsehsender ABC hat nun in einer halbstündigen Dokumentation enthüllt, dass der gebürtige Australier Zygier nach seiner Auswanderung nach Israel vermutlich als Agent für den Mossad gearbeitet hat und aus unbekannten Gründen sei dem Frühjahr 2010 in einem Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft gehalten wurde. Am 15. Dezember 2010 soll er sich in seiner Zelle erhängt haben, die Widerbelebungsversuche der Wächter blieben vergeblich.

Berichtet werden durfte darüber in Israel bisher nicht. Zwar gab es Gerüchte über einen „Gefangenen X“, der die einst für den Mörder von Ministerpräsident Itzchak Rabin gebaute Sonderzelle 15 im Ayalon-Gefängnis der Stadt Ramle bewohnen sollte, doch eine richterliche Nachrichtensperre machte bald jede Berichterstattung über den Fall und sogar die Erwähnung der Nachrichtensperre strafbar. Am 27. Dezember 2010 meldete das Online-Nachrichtenportal Ynet in aller Kürze, ein Häftling im Ayalon-Gefängnis habe sich vor zwei Wochen in seiner Zelle erhängt – die Nachricht war bald wieder von der Webseite verschwunden. Die Australier schienen bei ihren mehrere Monate dauernden Recherchen immer wieder gegen eine Mauer zu rennen: Niemand wollte sich zu dem Fall äußern, weder israelische Journalisten noch Menschenrechtsorganisationen.

Eine kurz vor der Ausstrahlung der Sendung erschienene hebräische Zusammenfassung der Ergebnisse auf dem Nachrichtenportal Walla vom Geheimdienstfachmann Jossi Melman wurde ebenfalls sehr schnell wieder entfernt, in einem sehr ungewöhnlichen Schritt bat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Besitzer und Chefredakteure der leitenden Medien zu sich. Die Teilnehmer seien darum gebeten worden, von der Veröffentlichungen gewissen Informationen in dem Fall abzusehen, hieß es hinterher.

Doch im Parlament verlangten derweil drei linke Abgeordnete Aufklärung vom Justizminister. Der verwies an den Minister für Innere Sicherheit. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die Welt jemals erfahren wird, was Ben Zygier vorgeworfen wurde und was zu seinem Selbstmord führte. Allerdings – da sind sich Fachleute einige – müssen besonders sensible Informationen im Spiel sein um derart drastische Maßnahmen und die vollkommene Isolation auch von anderen Häftlingen zu rechtfertigen. Nicht einmal die Bewacher des Gefangenen sollen gewusst haben, auf wen sie da ihr Auge werfen. Die australische Botschaft in Tel Aviv soll von der Festnahme ihres Bürgers nichts gewusst haben, bis die Familie des Toten um Hilfe bei der Überführung derLeiche bat. Um weitere Unterstützung hätten die Angehörigen allerdings nie gebeten, sagte Australiens Außenminister Bob Carr dem Fernsehsender ABC. Eine offizielle Anfrage an die israelische Regierung in dem Fall sei deshalb schwierig.

Ben Zygier ist 24 Jahre alt, als er im Jahr 2000 nach Israel einwanderte. Ob und wo er seinen Armeedienst leistet ist nicht bekannt. Irgendwann muss er seinen Familiennamen gegen das hebräische Alon getauscht haben. Ein Hochzeitsfoto zeigt einen hellhäutigen Mann mit schütterem blonden Haar, gut gebaut und blauäugig. Er heiratet eine Israelin, wird Vater zweier Kinder und arbeitete offiziell als Rechtsanwalt im gut gestellten Raanana, einem Vorort von Tel Aviv. In Wahrheit aber soll er bald vom Mossad rekrutiert worden sein.

Dafür spricht auch, dass ihm ein australischer Pass auf den Allerweltsnamen Ben Allen ausgestellt wurde – bei Reisen in arabische Staaten ein großer Vorteil gegenüber den jüdischen Namen Alon oder Zygier. Außerdem ist ein authentischer australischer Pass für Israels Agenten ein Trumpf: Sollte der Agent auffliegen, hält der Ausweis auch einer offizielle Überprüfung beim australischen Konsul statt und Australier haben in der Welt einen guten Ruf als sympathische und politisch neutrale Nation. Die Australier dürfte der Missbrauch ihrer Pässe nicht erfreuen: 2010 soll nach Informationen des Sydney Morning Herald der australische Geheimdienst die Fälle von drei israelisch-australischen Doppelstaatsbürgern untersucht haben, bei denen eine Tätigkeit für den Mossad vermutet wurde: Alle drei hätten ihre als jüdische identifizierbaren Namen geändert, bisweilen sogar gleich mehrfach. Auch bei der Ermordung des Hamas-Waffenschiebers Mahmoud al-Mabhouh im Jahre 2010 in einem Hotel in Dubai reisten drei der Täter mit gefälschten australischen Pässen ein. Vieles deutet darauf hin, dass der Mossad für die Aktion verantwortlich war.

Über Zygiers Arbeit beim israelischen Geheimdienst ist nichts bekannt. Erst Anfang 2010 meldet ein misstrauischer Beamte im Strafvollzug einem Journalisten die Einlieferung eines geheimnisvollen Gefangenen. Der Artikel erscheint nur kurz Online, der Journalist wird prompt vom Inlandsgeheimdienst verhört, bald darauf tritt die allumfassende Nachrichtensperre in Kraft.

Jenseits aller Spekulationen über das Schicksal des Agenten ist das für die israelische Demokratie wohl der zentrale Aspekt der Affäre: Die liberale Tageszeitung Haaretz widmete dem Thema am Mittwoch gleich drei Kommentare auf der Titelseite: Chefredakteur Aluf Benn kritisiert die „Versteckspieldemokratie“ und wünscht sich, Mossad-Chef Tamir Pardo könne einmal seiner Geheimdienstwelt entkommen und sich zwei Tage lang bei Twitter, Facebook und Instagram vernetzen um zu verstehen, wie die vernetzte Informationswelt funktioniere.

Sowohl die Militärzensur als auch der recht großzügige Einsatz von Nachrichtensperren und Sicherheitsfragen aber auch zum Schutz polizeilicher Ermittlungen Kriminalfällen erregt in Israel zunehmend den Unmut der Presse. Oft verfügen israelischen Journalisten über das beste Detailwissen in einem Fall, dürfen aber nur die Berichte ausländischer Medien zitieren. Der Geheimhaltung dient das nicht. Geheimdienstexperte Jossi Melmann vermutete im staatlichen Radio sogar, mit etwas mehr Offenheit und ohne gleich Staatsgeheimnisse auszuplaudern hätte die Regierung dem Fall um den Agenten Zygier schon vor zwei Jahren die Brisanz nehmen können. Erst die Hysterie des Sicherheitsapparates mache die Geschichte zur Top-Story.