Erstmals seit mehr als 700 Jahren gibt ein Pontifex sein Amt aus freien Stücken ab. Benedikts Nachfolger soll bis Ostern gefunden sein.

Rom. Völlig überraschend hat Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt aus Gesundheitsgründen angekündigt. Er werde sein Pontifikat am 28. Februar abgeben, sagte der 85-jährige Joseph Ratzinger am Montag vor Kardinälen in Rom. Zuletzt hatte 1294 ein Papst aus freien Stücken sein Amt abgegeben. Das war Coelestin V.

In seiner Ansprache sagte Benedikt in lateinischer Sprache, er spüre das Gewicht der Aufgabe, dieses Amt zu führen, habe lange über seine Entscheidung nachgedacht und sie zum Wohl der Kirche getroffen.

Er sei sich der Schwere dieser Entscheidung wohl bewusst, erklärte aber in voller Freiheit, das ihm am 19. April 2005 von den Kardinälen anvertraute Amt auf dem Stuhl Petri abzugeben. Die Kardinäle werden gebeten sein, für die Wahl eines neuen Kirchenoberhauptes zusammenzukommen. Nach den Worten von Vatikansprecher Federico Lombardi wird bis Ostern ein Nachfolger Benedikts gewählt sein.

Auf dem Petersplatz herrschte ungläubiges Staunen unter den Touristen und Gläubigen. Italiens Regierungschef Mario Monti nahm die unerwartete Nachricht erschüttert auf. Die Bundesregierung in Berlin reagierte bewegt und mit Respekt auf die Ankündigung.

„Die Bundesregierung hat den allerhöchsten Respekt für den Heiligen Vater, für seine Leistung, für seine Lebensleitung für die katholische Kirche“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Papst Benedikt XVI. habe seine ganz persönliche Handschrift als Denker an der Spitze dieser Kirche und auch als Hirte eingebracht. „Was immer die Gründe für die Erklärung sein mögen – sie sind zu ehren und zu achten und es gebührt ihm der Dank, diese Weltkirche acht Jahre so geleitet zu haben.“

+++ Weitere Reaktionen auf den Papst-Rücktritt +++

Wörtlich sagte der Papst in der Erklärung: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.“

Weiter sagte Benedikt: „Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten, so dass ab dem 28. Februar 2013, um 20.00 Uhr, der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant sein wird und von denen, in deren Zuständigkeit es fällt, das Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammengerufen werden muss.

+++ Der Rücktritt im Wortlaut +++

Papst-Bruder Georg Ratzinger nannte die angeschlagene Gesundheit von Benedikt XVI. als Grund für dessen Rücktritt. „Das Alter drückt“, sagte der 89-Jährige am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Sein Arzt habe dem Papst geraten, keine transatlantische Reisen mehr zu unternehmen, sagte Georg Ratzinger weiter. Auch das Gehen bereite seinem Bruder zunehmend Schwierigkeiten.

Georg Ratzinger meinte, der Rücktritt seines Bruders sei ein „natürlicher Vorgang“. „Mein Bruder wünscht sich im Alter mehr Ruhe.“ Georg Ratzinger sagte weiter: „Ich war eingeweiht.“ Er räumte ein, seit Monaten von den Rücktrittsplänen des Papstes gewusst zu haben. Georg Ratzinger, wie sein Bruder katholischer Priester, war drei Jahrzehnte lang Domkapellmeister in Regensburg und damit Leiter der weltberühmten Regensburger Domspatzen.

Der Dekan der katholischen Kirche, Angelo Sodano, nannte die Ankündigung einen „Blitz aus heiterem Himmel“. Benedikt hatte bereits vor einiger Zeit deutlich gemacht, dass er es sich durchaus vorstellen könne, etwa aus Gesundheitsgründen das Pontifikat abzugeben. Die Kardinäle waren eigentlich zusammengekommen, um über neue Heiligsprechungen abzustimmen.

Der Abendblatt-Kommentar

Die Ankündigung seines Rücktritts verfasste Papst Benedikt auf Latein. Oberflächlich betrachtet passt das ins Bild des konservativen Papstes aus Marktl am Inn, das ihm hierzulande spätestens als Präfekt der Glaubenskongregation anhaftet. Ganz zu Unrecht traf ihn dieses Urteil nicht: Er, der höchste Glaubenswächter des Vatikan, verteidigte die Ehelosigkeit der Priester, lehnte Lebenspartnerschaften von Homosexuellen oder das Frauendiakonat strikt ab. Ratzinger war mitverantwortlich für den Ausstieg aus der Schwangerenberatung in Deutschland und beendete die Diskussion um die Teilnahme von Geschiedenen an der Eucharistie mit einem unbarmherzigen „Non“. In der Weltkirche drängte er die linksliberale Theologie der Befreiung in Lateinamerika zurück und mit ihr das Modell einer Kirche der Armen.

Und doch trifft diese einseitige negative Sichtweise nicht das Wirken des 85-Jährigen. Zugleich ist der Theologe ein brillanter Glaubenserklärer – ausgerechnet in einem glaubensentwöhnten Land erobern seine Bücher die Bestsellerlisten. Er vermag den Mensch Jesus und die Gnade Gottes zu erklären. In seinem Amt hat er diese Gnade gegenüber den Reformern vermissen lassen. Er, der beim zweiten Vatikanischen Konzil und an den Universitäten der Sechziger Jahre selbst ein Reformer der Kirche war, stellte sich später aus Furcht um die Einheit der Katholiken gegen Reformen: In einer Anpassung an den Zeitgeist sah er den Zerfall der Kirche.

Für die deutschen Katholiken waren die acht Jahre ein schwieriges Pontifikat. Viele Erwartungen und Hoffnungen hat er enttäuscht – die Begeisterung eines „Wir sind Papst“ wich schnell. Setzte er zunächst beeindruckende Signale wie die Einladung an den Kirchenkritiker Hans Küng oder jüdische und muslimische Glaubensvertreter, kamen bald andere Botschaften aus Rom. Die Wiedereinführung der lateinischen Messe und die Annäherung an die reaktionären Piusbrüder waren als klare Absage an die Moderne zu verstehen. Zumindest wurde sie so verstanden: Seit Jahren haben konservative bis reaktionäre Kräfte in der katholischen Kirche Oberwasser, produzieren sich, bevölkern Talkshows und gefallen sich mit schrillen Positionen. In der Oberflächlichkeit des Mediengeschäfts finden sie Gehör. Die Mehrheit betet, hofft – und schweigt. Liberale Katholiken ziehen sich enttäuscht zurück oder kehren Rom den Rücken. Selbst viele Kirchenvertreter sind wütend, frustriert, ja sprachlos. Hätte der Papst mit derselben Verve um die Herzen und Hirne der Reformer geworben wie um die Piusbrüder, die Katholische Kirche stünde heute besser da.

Zuletzt traf die Aufdeckung massiver Fälle von Kindesmissbrauch die Institution bis ins Mark. Tief erschüttert haben diese Sünden auch Papst Benedikt. Ihm fehle die Kraft für das Amt, heißt es in seiner Rücktrittserklärung. Er scheide zum Wohle der Kirche.

Tatsächlich schenkt Benedikt seiner Kirche die Chance zur Wandlung und zur Veränderung. Diese scheinen dringender denn je. Natürlich ist der Wechsel auf dem Römer Bischofsstuhl weder ein Trainerwechsel noch die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden. Die Kirche gründet auf die Lehre Christi und eine zweitausendjährige Tradition. Sie wird und soll nicht jede Mode mitgehen. Doch der neue Papst muss die Kirche zurück zu den Menschen bringen.

Der große Papst Johannes XXIII sprach beim Zweiten Vatikanischen Konzil davon, die Fenster zur Welt „aufzustoßen, um den Heiligen Geist einzulassen“. 50 Jahre danach bedarf es frischen Windes, um den grauen Staub der letzten Jahrzehnte davon zu wehen. Es bedarf frischer Luft, die alle Gläubigen atmen lässt. Der nächste Papst wird Fenster und Türen öffnen müssen – der Heilige Vater muss zurück zu den Kindern Gottes. (Matthias Iken)

Stichwort: Amtsverzicht des Papstes

Nach dem Kirchenrecht kann ein Papst aus freiem Entschluss auf sein Amt verzichten. Ein Amtsverzicht führt – ebenso wie der Tod des Papstes – zur Vakanz (Unbesetztheit) des Apostolischen Stuhls. Im Canon 332 Paragraf 2 des kirchlichen Gesetzbuches „Codex Iuris Canonici“ (CIC) heißt es: „Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, dass der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, dass er von irgendwem angenommen wird.“

Die Bedingungen, dass der Rücktritt aus freien Schritten erfolgen und hinreichend publik gemacht werden muss, wurden erst 1983 bei der Neufassung des Kirchenrechts unter Papst Johannes Paul II. ins Gesetz aufgenommen. Neben der Vakanz kennt das Kirchenrecht auch die Möglichkeit der „völligen Behinderung des römischen Bischofstuhls“. Dabei ist gemäß Canon 335 ebenso zu verfahren wie im Fall einer Vakanz. Der CIC schreibt nicht vor, von wem und in welchem Verfahren eine „völlige Behinderung“ festgestellt wird.

Der spektakulärste Papst-Rücktritt ereignete sich 1294. Damals dankte der fünf Monate zuvor gewählte Papst Coelestin V. ab, weil er sich dem Amt nicht gewachsen fühlte. Er starb 1296 und wurde später heiliggesprochen. Mehrere Amtsverzichte von Päpsten und Gegenpäpsten gab es auch während des langen Schismas, das nach dem Rücktritt von Gregor XII. 1415 begann.

In der Moderne haben Pius XII. (1939-1958), Paul VI. (1963-1978) und Johannes Paul II. (1978-2005) einen schriftlichen Amtsverzicht vorbereitet. Pius XII. wollte die Kirche damit angesichts einer drohenden Entführung durch Hitlers Truppen absichern. Paul VI. und Johannes Paul II. wollten verhindern, dass die Kirche im Fall von langer, schwerer Krankheit führungslos bliebe. Keines der geheim gehaltenen Amtsverzichts-Schreiben kam zum Einsatz.