Vor zehn Jahren präsentierte US-Außenminister Colin Powell vor der Uno Dokumente, die einen Krieg gegen Irak rechtfertigen sollten

Heute vor zehn Jahren, am 5. Februar 2003, hatte Colin Powell einen denkwürdigen Auftritt vor dem Uno-Sicherheitsrat: Als US-Außenminister suchte er die Unterstützung der Vereinten Nationen für einen Krieg gegen Saddam Hussein und ließ dabei nichts unversucht: Er schwenkte Reagenzgläser mit Milzbrandpulver, zeigte selbst gemalte Bilder mobiler Biowaffen-Labore und zeichnete das Bild eines bis an die Zähne mit Pocken, Pest und Cholera bewaffneten Diktators, der die gesamte Welt mit biologischen Waffen bedrohe. Später sollte Colin Powell diesen Auftritt als "bleibenden Schandfleck" seiner Karriere bezeichnen.

Vollkommen zu Recht, denn fast alles, was er am 5. Februar in New York vortrug, war falsch. Erfunden, zurechtgebogen oder falsch interpretiert. Ein Jahr später fasste der US-amerikanische Biowaffen-Inspektor David Kay es lapidar in vier Worten zusammen: We were all wrong. Wir lagen alle falsch.

Was allerdings nur für diejenigen galt, die mit allen Mitteln einen Krieg rechtfertigen wollten. Sehr viel richtiger lagen seinerzeit die Biowaffen-Experten der Vereinten Nationen unter Hans Blix. Bereits in den 1990er-Jahren waren sie erfolgreich im Irak unterwegs, hatten 1995 ein früheres Biowaffen-Programm Saddam Husseins aufgedeckt und zerstört. Im November 2002 nahmen sie ihre Arbeit wieder auf, entsandt vom Uno-Sicherheitsrat und vom Irak begrüßt in der Hoffnung, einen Krieg doch noch vermeiden zu können. Sie inspizierten mehr als 350 Orte im Irak, darunter Munitionsdepots, Forschungszentren, mobile Laboratorien, und nahmen mehr als 100 biologische Proben. Alle Analysen bestätigten die irakischen Angaben. Die Uno-Inspekteure hatten im Februar 2003 keinen einzigen Hinweis auf ein aktuelles Biowaffen-Programm im Irak.

Ich selbst fieberte am 5. Februar am Fernseher mit, denn kurz zuvor hatte ich meinen ersten Ausbildungskursus zum Biowaffen-Inspektor der Vereinten Nationen abgeschlossen und wartete in Hamburg auf die Einberufung zum Einsatz im Irak - die leider nie kam, denn der Krieg war beschlossene Sache, die Inspekteure mussten Mitte März aus Irak abziehen, und wenig später fielen die ersten Bomben auf Bagdad.

Das große Dilemma der Uno-Inspekteure war, dass die Abwesenheit von Waffen nicht wirklich bewiesen werden kann - wer nichts findet, hat vielleicht einfach nicht lange genug gesucht, so das Argument derjenigen, die von einem Biowaffen-Programm im Irak fest überzeugt waren. Andererseits war im Februar 2003 nach Hunderten von Inspektionen die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass ein illegales Programm übersehen wurde. In einer solchen Situation braucht es Mut, öffentlich zu erklären, dass ein verbotenes Waffenprogramm nahezu ausgeschlossen werden kann. Mohammed al-Baradei hat das 2003 für die Atomwaffen im Irak gesagt, er hat nicht zuletzt auch dafür später den Friedensnobelpreis erhalten. Hans Blix hatte diesen Mut leider nicht, er verlor sich im Vagen und nährte damit die Zweifel, die Colin Powell im Uno-Sicherheitsrat zu säen versuchte. Die Konsequenzen aus der amerikanischen Biowaffen-Propaganda waren verheerend und sind es bis heute. Colin Powell bekam zwar nicht die erhoffte Unterstützung der Uno, aber für eine breite Zustimmung innerhalb der USA - und bei einer ganzen Reihe von Verbündeten - reichte es trotzdem. Nur wenige Wochen später, am 20. März 2003, griffen die USA den Irak an. In den folgenden Jahren kostete der Krieg mehreren Hunderttausend Irakern das Leben, bis heute kann von Frieden im Irak nicht die Rede sein.

Für mich als Abgeordneter im Bundestag ist eine wichtige Lehre aus der Powell-Rede und dem Irak-Krieg, dass Geheimdienstinformationen nie wirklich sicher sind, dass eine objektive und vor allem unabhängige Überprüfung unabdingbar ist. Colin Powell hat vor zehn Jahren den Fehler gemacht, einzelne, vage Verdachtsmomente aus geheimen Quellen in der Öffentlichkeit als Gewissheiten zu verkaufen. Dabei hätten doch gerade die Uno-Inspekteure das ideale Werkzeug sein können, um die vagen Informationen vor Ort zu überprüfen, zu bestätigen oder zu widerlegen. Sie hätten das ideale Werkzeug sein können, um einen Krieg zu verhindern, aber das war damals politisch leider nicht gewollt.