Zum Ende ihrer Amtszeit geben der US-Präsident und die Außenministerin ein gefühliges Interview. Will sie ihm in vier Jahren nachfolgen?

Washington. Hätte jemand Barack Obama und Hillary Clinton im Frühjahr 2008 prophezeit, dass sie einander nach vier Jahren Zusammenarbeit mit Lob und Freundschaftsschwüren überschütten würden, die Rivalen hätten den Propheten um die Wette verhöhnt. So geringschätzig und feindselig gingen die Bewerber um die Nominierung der Demokratischen Partei damals miteinander um, dass es Republikanern ein Vergnügen war. Dann besiegte Obama erst Clinton und dann John McCain. Der Rest ist eine erstaunliche Geschichte, die am Sonntagabend endete: Mit einem Fernseh-Doppelinterview, das so innig verlief, dass eine Kolumnistin erwartete, der Präsident sänke (wären beide unverheiratet) jeden Moment auf die Knie und halte um Hillarys Hand an.

Obama rühmte Clinton in der Sendung "60 Minutes" als "starke Freundin", eminente Beraterin, eine der "feinsten Außenministerinnen" der USA. Lange vor ihrem Wettstreit 2008 sei er ein Bewunderer der Disziplin, Ausdauer und Intelligenz dieser "Führungsfigur auf der Weltbühne" gewesen, gestand der Präsident, die Dame zu seiner Linken anlächelnd. Hillary Clinton habe einen hohen Standard im Kabinett gesetzt. Die ältere Dame (wie sie einmal kokett bemerkte, gegen seine artigen Proteste) lächelte zurück, den Mann anhimmelnd, und pries eine "sehr warme, enge Beziehung": Man verstehe sich oft blind. Als der Präsident ihr das Außenamt anbot, habe sie in ihrer Überraschung abgewehrt und andere Namen genannt: "Aber lassen Sie mich versichern: Er kann sehr überzeugend sein." Wieder lächelten sie einander an. So viel Harmonie kann ablenken von harten Tatsachen. Auch dies war wohl die Absicht dieses Abschiedsgeschenks Obamas an Clinton, die eine Kandidatur um die Präsidentschaft im Jahr 2016 planen mag. Mindestens Bill Clinton scheint seine Frau ins Weiße Haus führen zu wollen. "Ich wollte vor der Nation meinen Dank an Hillary abstatten", erklärte der Präsident das auf seine Initiative hin geführte Interview. "Ich werde sie vermissen und wünschte, sie würde bleiben. Aber nach den vielen Meilen, die sie unterwegs war, hat sie sich etwas Ruhe verdient."

Hillary Clinton erfreut sich einer Zustimmung von 70 Prozent, sie ist Amerikas beliebteste Frau. Nicht bei Republikanern, versteht sich. Wie wenig Clinton und ihre Kritiker auf der Rechten miteinander anfangen können, zeigte sich in der vergangenen Woche bei ihrer Aussage vor zwei Kongressausschüssen. Im Verhör ihrer früheren Kollegen musste sich die Dienstherrin der US-Diplomaten stundenlang für Versäumnisse beim Schutz des Konsulats im libyschen Bengasi rechtfertigen. Botschafter Chris Stevens und drei weitere Amerikaner starben, als das Gebäude am 11. September 2012 mit schweren Waffen angegriffen und niedergebrannt wurde. Hillary Clinton übernahm die Verantwortung, bekannte aber kein eigenes Versagen. Dabei blieb sie, auch als Republikaner versuchten, eine Vertuschung der Regierung zu konstruieren. Als ihre früheren Senatskollegen sie besonders hart angingen, wehrte sie sich mit zornig erhobener Stimme.

Es scheint, Präsident Obama wollte diesen Eindruck einer wütenden Politikerin in der Defensive nicht als letzten Eindruck ihrer Amtszeit stehen lassen. Daher die Überdosis Süßigkeit im TV-Interview. Mehr als 15 (von 23) Minuten wurden verplaudert mit Reminiszenzen an 2008 und sinnlosen Fragen nach 2016. "Ihr Medienleute seid unverbesserlich", bemerkte Obama und schaute auf die Datumsanzeige auf seiner Uhr, "ich bin buchstäblich erst vor vier Tagen vereidigt worden, und ihr redet von 2016." Clinton wies die Zumutung mit dem Hinweis von sich, sie sei noch 14 Tage Außenministerin und dürfe sich solche innenpolitischen Fragen nicht einmal anhören. Immerhin erfuhr der Zuschauer und potenzielle Hillary-2016-Anhänger, dass sie sich nach Ansicht ihrer Ärzte von der Gehirnerschütterung nach ihrem Sturz und dem entdeckten Blutgerinnsel hinter dem rechten Ohr vollständig erholen werde.

Für die Hauptsache, Fragen zur US-Außenpolitik der vergangenen vier Jahre, blieben keine fünf Minuten Zeit. Nicht zur Sprache kam so ziemlich alles, worüber man streiten kann und sollte. Unter Außenpolitik-Experten, die der Regierung neutral gegenüberstehen, gilt Hillary Clinton nicht als herausragende Außenministerin. "Solide, nicht spektakulär" - so bewertet Michael O'Hanlon von der Brookings Institution ihre Arbeit: "Selbst ein Bewunderer wie ich muss zugeben, dass wenige große Probleme unter ihrer Ägide gelöst und wenig Siege errungen wurden."

Haben die USA unter Obama nur zögernd geführt, als Supermacht gar freiwillig abgedankt, wie Republikaner beklagen? "Gaddafi würde diese Bewertung, wenn er noch lebte, nicht teilen", bemerkte der Präsident sarkastisch. Richtig sei, dass die USA nicht "führen, ohne genau hinzusehen". Syrien sei ein Beispiel dafür, dass man nicht "aus der Hüfte schießen" dürfe. Hillary Clinton nickte und sprach von Präsident Eisenhower, der in seinen Reden vor voreiligem Eingreifen gewarnt habe.

So saßen die einstigen Rivalen einträchtig beieinander und lobten sich gegenseitig über die Maßen. Abraham Lincoln hatte es 1860 mit William Seward vorgemacht. Aus seinem erbitterten Gegner während der republikanischen Nominierung wurde Lincolns Außenminister, Vertrauter und Freund. Von Lincoln lernen bedeutete für Barack Obama stets siegen lernen. Aber: Seward wurde nie Präsident.