Sechs Millionen Arbeitslose in Spanien. Mittelschicht bricht auseinander. Viele besetzen Häuser, weil sie Miete nicht mehr zahlen können.

Madrid. José öffnet die Tür seines Reihenhauses im Madrider Vorort Valdemoronur widerwillig. Er hat einen guten Grund: Das Haus in der Neubausiedlung gehört ihm gar nicht, er hat es mit seiner Frau und seinen beiden Kinder im Alter von sieben Monaten und vier Jahren widerrechtlich bezogen, weil es leer stand. Jetzt sind sie "Okupas", Hausbesetzer.

So richtig wohl fühlen sie sich nicht in ihrer Haut. "Wir konnten unsere Miete in der alten Wohnung nicht mehr bezahlen, als ich meinen Job verlor", erzählt José, "daher sind wir hierhergekommen." Seine Arbeitslosenhilfe ist längst ausgelaufen, seine Frau verdient als Putzfrau ein paar Euro, die zum Überleben kaum reichen. "Eine Wohnung hätte es auch getan, wir wollen ja kein Haus. Aber das Rathaus hat für uns keine Lösung, wir bekommen einfach keine Sozialwohnung." Weder Strom noch Wasser hat José, alles wirkt provisorisch. Die Kinder schlafen auf einem Sofa, das er mit Leintüchern überzogen hat, ein mit Gas aus der Flasche betriebener Ofen sorgt für Wärme im kalten Madrider Winter.

Auch die anderen Bewohner der bieder anmutenden Reihenhaussiedlung, in der Mehrzahl junge Familien, die die rund 50 Chalets bewohnen, sind fast alle illegal hier. "Wir wollen niemandem das Eigentum wegnehmen, aber diese Häuser hier wurden nie verkauft und stehen leer. Und wir brauchen dringend ein Dach über dem Kopf", rechtfertigt sich eine junge Frau, die ihren Namen nicht preisgeben will. Früher gehörten sie zur Mittelklasse, sie war Verwaltungsangestellte, ihr Mann Handwerker. Dann kam die Krise, beide wurden fast zeitgleich entlassen, und nun gehören sie zu den sechs Millionen Arbeitslosen Spaniens. Nur 426 Euro Sozialhilfe im Monat kassiert das Paar, zu wenig zum Überleben. "Wir sind Hausbesetzer aus Verzweiflung", so die Frau. Wie eine Hochburg von Autonomen wirkt das Neubauviertel wahrhaftig nicht. Statt Graffiti findet man hier improvisierte Briefkastenschilder, sogar ein Weihnachtsbäumchen hatten sich einige geleistet.

Von den Neuankömmlingen geht auch keine Bedrohung aus. Das weiß auch Manolo O., der sein Haus rechtmäßig erworben hat. "Es war schwer für uns, seinerzeit die mehr als 300.000 Euro aufzubringen." 230 Quadratmeter Wohnfläche hat jedes der zweistöckigen Reihenhäuser, ein Gärtchen und zwei Garagenplätze. Seit viereinhalb Jahren wohnt er hier und zahlt brav seine Raten. "Jetzt haben wir dieses Problem hier", sagt er. Dann zuckt er die Schulter: "Solange sie keine Schwierigkeiten machen und uns nicht belästigen, soll es uns egal sein." Man merkt ihm trotzdem an, dass er sich Sorgen um seine Investition und das Image seines Viertels macht.

Auch die Polizei ist machtlos gegen die Hausbesetzer. "Solange die Besitzer keine Anzeige erstatten, sind uns die Hände gebunden", so Alberto Albacete, der zuständige Polizeichef. "Ohne richterliche Anordnung können wir sie nicht hinauswerfen." Momentan ist unklar, wo der Bauherr, die Firma Castellana, geblieben ist. Die Telefone sind abgeschaltet, nur drei Häuser hatte man verkauft und danach Pleite gemacht wie so viele Baufirmen in Spanien nach dem Platzen der Immobilienblase. Die Siedlung entstand erst gegen Ende des zehn Jahre währenden Booms, der Bauherr bekam die Häuser nicht mehr los und schloss die Verkaufsbüros. Jetzt will ein Konkursverwalter versuchen, die illegalen Gäste wenigstens zur Zahlung von Miete zu überreden.

Doch die Menschen hier sind nicht liquide. Der Brasilianer Carlos Leite hat schon viel Geld in "sein" Chalet gesteckt, das er für die Ankunft seiner Frau und seiner beiden Kinder vorbereitet. "Als ich hierherkam, fehlten die Kupferkabel, die Heizungen waren herausgerissen, das habe ich jetzt alles gerichtet", sagt der gelernte Mechaniker, der nur 700 Euro im Monat verdient. Er versteht das illegale Wohnen nicht als Diebstahl. "Wir bleiben nur so lange es unbedingt sein muss, bis das Schlimmste dieser Krise überstanden ist."

Doch es sieht nicht so aus, als ob dies schnell geschehen würde. Die Wirtschaftsleistung in Spanien wird in diesem Jahr weiter schrumpfen, internationale Organisationen wie der IWF gehen von einem Rückgang von 1,3 Prozent aus. Das bedeutet, dass das Heer der Arbeitslosen weiter anschwellen wird, Experten rechnen mit einem Anstieg der Erwerbslosenquote von 25 auf 26,9 Prozent bis zum Jahresende. Es ist zu befürchten, dass immer mehr Menschen ihre Wohnungen verlieren. Schon jetzt werden im Schnitt täglich mehr als 500 Familien aus ihrer Wohnung geworfen, weil sie die Hypothek nicht bedienen können. Derweil steigt die Zahl der Zwangsräumungen. "Das Paradoxe ist, dass in keinem Land der Euro-Zone so viele Wohnungen leer stehen wie hier", sagt José Maria Ruiz von der Bürgerplattform PAH, die gegen Zwangsvollstreckungen kämpft. Tatsächlich sind in Spanien derzeit 3,1 Millionen Wohnungen unbewohnt, die zumeist in der Boomphase als Spekulationsobjekt gekauft wurden. Viele davon sind inzwischen in die Hände der Banken übergegangen. "Die Banken sollten die Wohnungen zu zivilen Preisen vermieten, anstatt nur darauf zu sitzen", fordert Ruiz. Bisher stießen seine Forderungen auf wenig Gehör.

Stattdessen gibt es in Madrid inzwischen gut organisierte, kriminelle Banden, die in zwangsgeräumte Wohnungen eindringen und diese einfach weitervermieten, während die Polizei hilflos zuschaut. Im Madrider Vorort Parla, wo bereits 160 Wohnungen von "Okupas" besetzt sind, nehmen die Einwohner das Problem jetzt selber in die Hand. Nachts patrouillieren 30 Freiwillige durch den Ort. Sie wollen weitere Besetzungen verhindern.