Gerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Premier Ashraf. Populärer Religionsführer stellt Ultimatum zur Auflösung des Parlamentes.

Hamburg. Die instabile Atommacht Pakistan ist in eine gefährliche politische Krise geraten, die gleich an mehreren Fronten ausgebrochen ist. Am Dienstag stellte der Oberste Gerichtshof des Landes Haftbefehl gegen Premierminister Raja Pervez Ashraf wegen Korruption aus. Zugleich rief ein populärer Geistlicher und selbst ernannter Revolutionsführer vor Zehntausenden Demonstranten zum Sturz der pakistanischen Regierung und zur Auflösung des Parlaments in Islamabad und der Regionalparlamente auf. Überdies verschärfte sich der Dauerkonflikt mit dem Rivalen Indien wieder; die Regierung in Neu-Delhi drohte mit einem Gegenschlag, nachdem pakistanische Soldaten in der umstrittenen Kaschmir-Region zwei indische Soldaten getötet haben sollen.

Der Befehl zur Festnahme Premiers Ashraf ist der vorläufige Höhepunkt in einem Machtkampf zwischen dem Gerichtswesen und der PPP-Partei von Staatspräsident Asif Ali Zardari, dem massive Korruption vorgeworfen wird. Zardari, Witwer der 2007 ermordeten Regierungschefin Benazir Bhutto, war früher bereits wegen Korruption und Mord angeklagt und saß zeitweise in Haft. Sein Gegenspieler ist der populäre Oberste Richter Iftikhar Muhammad Chaudhry. Dieser war von dem früheren Präsidenten und Militärmachthaber Pervez Musharraf 2005 eingesetzt und wegen Unbotmäßigkeit 2007 wieder abgesetzt worden. Das Oberste Gericht setzte ihn trotzig wieder ein, Musharraf ihn sofort wieder ab.

Erst eine landesweite Protestbewegung der pakistanischen Anwälte führte zu Chaudhrys offizieller Wiedereinsetzung. Das höchste Gericht wirft Premier Ashraf vor, sich in seiner Zeit als Energieminister an Bestechungsgeldern bereichert zu haben. Während das Land unter großflächigen Stromausfällen litt, kassierte der als fachlich völlig inkompetent geltende Ashraf Geld für die Vermietung von Stromwerken - was ihm den Spitznamen "Raja Rental" ("Miet-König") eintrug. Auch für die Vergabe von Bauaufträgen solle er kassiert haben. Doch viele der geplanten Kraftwerke wurden dann nicht gebaut.

Öl in das Feuer der Regierungskrise gießt der pakistanisch-kanadische Kleriker Muhammad Tahir ul-Qadri. Der 61-jährige frühere Abgeordnete hatte lange in Kanada gelebt und war erst Ende 2012 nach Pakistan zurückgekehrt. Schon am 23. Dezember mobilisierte er in Lahore rund 100.000 Anhänger seiner Bewegung Minhaj ul-Quran (Weg des Korans), der rund 500 muslimische Religionsschulen in 90 Staaten angehören sollen. Angeblich steht er für einen gemäßigten Islam und will das korrupte politische System Pakistans von Grund auf erneuern. Selbstmordanschläge und Gewalt verurteilt er als unislamisch, der Kleriker drohte allerdings, sollten die Parlamente sich nicht selber auflösen, werde die Nation dies tun. Ul-Qadri stellte der Regierung dazu ein Ultimatum bis Dienstag 11 Uhr Ortszeit und verkündete, die Revolution in Pakistan habe begonnen.

Vor dem Parlament in Islambad hatten sich am Dienstag rund 50.000 seiner Anhänger versammelt. Ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften schützte mit Stacheldraht die Rote Zone des Regierungsviertels. Die Soldaten feuerten Warnschüsse und Tränengasgranaten in Richtung der Menge ab. Offenbar unterstützt das mächtige Militär, das durch die Tötung von Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden durch US-Spezialeinheiten auf pakistanischem Boden gedemütigt und in seinem Ruf beschädigt worden war, den Prediger und seinen "langen Marsch" zum Sturz der Regierung . Ul-Qadri erklärte in seiner Rede Sympathien für Militär und Justiz, aber das Parlament zu einem "Hort der Korruption".

Umstürze in Pakistan sind deswegen so brisant, weil das asiatische Land, das mit fast 800.000 Quadratkilometern Fläche fast zweieinhalbmal so groß ist wie Deutschland und 185 Millionen Einwohner hat, über Atomwaffen verfügt und dabei in einen erbitterten Machtkampf zwischen radikalislamischen Elementen wie den Taliban und eher Gemäßigten verstrickt ist.

Der mächtige Geheimdienst ISI - ein fast unantastbarer Staat im Staat - ist teilweise von Radikalislamisten unterwandert und unterstützt Taliban wie al-Qaida. Pakistans Wirtschaft liegt darnieder, eine seit Monaten anhaltende Terrorserie forderte allein in der vergangenen Woche mehr als 100 Todesopfer, und der Konflikt mit Indien, mit dem das Land bereits vier Kriege geführt hat, namentlich um das von beiden beanspruchte Kaschmir, bindet wichtige Ressourcen.