Darf Staatschef Chávez den Amtseid wegen seiner schweren Erkrankung später ablegen? Seine Anhänger sagen Ja, die Gegner das Gegenteil.

Caracas. Während Staatschef Hugo Chávez mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenbett liegt, zanken seine Anhänger mit der Opposition über die politische Führung Venezuelas. Der wiedergewählte Präsident könnte nach Angaben seines Stellvertreters zu einem späteren Zeitpunkt vereidigt werden, sollte die für den 10. Januar geplante Amtseinführung vor der Nationalversammlung aus Gesundheitsgründen nicht stattfinden können. Die Opposition hingegen fordert für diesen Fall Neuwahlen. Am Samstag könnte die nächste Runde im Dauerstreit eingeläutet werden.

Chávez sei erst im Oktober vom Volk wiedergewählt worden und bleibe auch über den in der Verfassung genannten Vereidigungs-Termin hinaus Staatsoberhaupt, sagte sein Vertrauter Nicolas Maduro am Freitagabend in einem Fernsehinterview. Die Opposition „sollte unsere Verfassung respektieren“, verlangte der Vizepräsident und reckte dabei eine gedruckte Ausgabe der Schrift in die Höhe. Den Zuschauern las er Passagen aus der Verfassung vor, die sich mit dem Prozedere rund um die Amtseinführung des Präsidenten beschäftigen. Chávez, der in einer kubanischen Klinik behandelt wird, habe „ein Recht auf Erholung und Ruhe“, sagte Maduro anschließend.

Die Regierung hatte am Donnerstag bekannt gegeben, dass Chávez an einer schweren Lungenentzündung erkrankt ist und wegen Atemproblemen behandelt wird. Der 58-Jährige hatte sich am 11. Dezember auf Kuba seiner vierten Krebsoperation seit Juni 2011 unterzogen. Der seit 1999 amtierende Staatschef war erst im Oktober für weitere sechs Jahre ins Präsidentenamt gewählt worden. Zwei Monate später gab er bekannt, dass der Krebs ihn wieder eingeholt hat. Vor der Operation sagte Chávez, falls er wegen seiner Krankheit nicht Präsident bleiben könne, solle Maduro an seiner Stelle bei Neuwahlen antreten.

„Die Regierung hält alle Trümpfe in der Hand“

Der in Washington ansässige Think Tank Inter-American Dialogue hält die Einlassungen des Chávez-Stellvertreters Maduros für wenig überraschend. „Die Regierung hält wegen des öffentlichen Mitgefühls für Chávez schwere Erkrankung alle Trümpfe in der Hand“, sagte Michael Shifter, der Präsident des Think Tanks. „Auf diese Weise kann Maduro etwas Zeit schinden, seine Autorität festigen und Unterstützung für den Chavismo mobilisieren.“

Laut Verfassung sollte der Präsident am 10. Januar vor der Nationalversammlung den Amtseid ablegen. Stirbt ein Präsident oder ist er zur weiteren Ausübung seiner Pflichten nicht in der Lage, geht die Amtsgewalt demnach vorläufig auf den Präsidenten der Nationalversammlung über. Eine Neuwahl ist binnen 30 Tagen vorgesehen. Falls der Präsident nicht vor der Nationalversammlung vereidigt werden kann, ist laut Verfassung auch ein Amtsschwur vor dem Obersten Gerichtshof möglich. Allerdings wird dafür kein Datum genannt und Rechtsexperten sind sich uneins, ob eine Vertagung des Prozederes tatsächlich rechtmäßig wäre.

Erinnerungen an die Tode Stalins und Maos

Falls es Chávez am 10. Januar nicht persönlich in die venezolanische Hauptstadt Caracas schaffen sollte, was inzwischen als wahrscheinlich gilt, fordern einige Oppositionsführer die vorübergehende Amtsübernahme durch den Präsidenten der Nationalversammlung. Über die Besetzung des Postens soll der von Chávez’ Anhängern dominierte Kongress am Samstag entscheiden, weshalb die nächste politische Kontroverse unabhängig vom Ausgang programmiert sein dürfte. Denn der Gewählte könnte am Ende in Chávez’ Fußstapfen treten.

Die Opposition fordert von der Regierung genauere Angaben über das Befinden des Präsidenten. Sie hält Chávez nicht mehr für amtsfähig und kritisiert die nur scheibchenweise aus Kuba durchsickernden Informationen über seinen Gesundheitszustand, zumal die Spekulationen immer mehr ins Kraut schießen – und Chávez seit dem 11. Dezember weder öffentlich gesprochen hat noch gesichtet wurde.

Die venezolanische Zeitung „El Nacional“ geißelte das „Informationsvakuum“, dass „niemand aus der Regierung klare Worte spricht“ und das Volk im Dunklen gelassen werde. Die Situation erinnere fatal an die nebulösen Verschleierungstaktiken im Zusammenhang mit dem Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin oder dem von Mao Zedong in China, hieß es in einem am Freitag veröffentlichten Leitartikel.