Bis Silvester müssen Präsident und Republikaner einen Kompromiss im Haushaltsstreit finden. Sonst werden Ausgaben gekürzt und Steuern steigen

Washington. Der Zeitplan für die Abstimmung steht einigermaßen fest: Am Sonntag dürfte zunächst der Senat und spät am Abend der gesamte Kongress abstimmen über einen Vorschlag zur Vermeidung des Fiscal Cliff, des fiskalpolitischen Absturzes der USA. Doch völlig unklar ist weiterhin, wie dieser Vorschlag aussehen wird, der massive Steuererhöhungen in allen Tarifen von insgesamt 536 Milliarden Dollar (405 Milliarden Euro) und Etatkürzungen von 110 Milliarden Dollar zum 1. Januar stoppen soll.

Um eine Lösung zu suchen, nahm am Freitag der vorzeitig aus dem Hawaii-Urlaub heimgekehrte Präsident Barack Obama die Verhandlungen mit den ebenfalls nach Washington zurückbeorderten Spitzen der Fraktionen in Senat und Repräsentantenhaus wieder auf. Die Plötzlichkeit und Wucht des Gesamtpakets von 640 Milliarden Dollar, die der Konjunktur auf einen Schlag entzogen würden, drohen die USA zurück in die Rezession zu stoßen und die endlich mühsam auf 7,7 Prozent gesunkene Arbeitslosenquote wieder rapide steigen zu lassen, fürchten führende Ökonomen.

Weil eine Mehrheit gerade auch in dem von den Republikanern dominierten Repräsentantenhaus notwendig ist, muss es eine sehr verwässerte Mixtur zweier aus ideologischen Gründen gegeneinander in Stellung gebrachten Konzepte geben: Präsident Barack Obama will zunächst die Steuern für die Besserverdiener anheben. Er bietet auch umfangreiche Etatkürzungen an, obwohl deren Details noch unscharf sind. Die strukturellen Reformen der Sozialprogramme Medicare (Gesundheitsversorgung für Rentner) und Social Security (Rente) wollen die an dieser Stelle ausgesprochen zögerlichen Demokraten hingegen aufs neue Jahr vertagen.

Der Republikaner John Boehner als Sprecher des Repräsentantenhauses konnte seine eigene Partei nicht einmal hinter seinen "Plan B" versammeln, nämlich den Vorschlag, zumindest den Einkommensmillionären höhere Steuersätze zu verordnen. Sein Lager setzt stattdessen auf radikale Etateinschnitte, von denen lediglich das Pentagon weitgehend ausgenommen bleiben soll. Kurz vor Weihnachten war Boehner aber immerhin ein Stück auf den Präsidenten zugegangen mit dem Angebot, die Steuersätze für die Millionäre anzuheben. Dass ihm seine Fraktion im Kongress die Gefolgschaft versagte, wird in Washington recht drastisch als eine "Entmannung" des Politikers aus Ohio gewertet. Obama hatte die Bereitschaft zum Kompromiss demonstriert, indem er die Steuern nicht mehr ab der im Wahlkampf verfochtenen Grenze von 250.000 Dollar Jahreseinkommen erhöhen wollte, sondern erst ab 400.000 Dollar. Einen Verzicht auf jede Steuererhöhung kann sich Obama nicht leisten, will er nicht schon vor dem Beginn seiner zweiten Legislatur am 21. Januar ausgesprochen geschwächt dastehen.

Die Demokraten dürften ihrem Präsidenten aber mutmaßlich sogar dann folgen, wenn er die Grenze nochmals anheben würde, etwa auf 500.000 Dollar. Im Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner mit 234 zu 201 Abgeordneten auch nach der Neukonstituierung im Januar über eine Mehrheit verfügen, ließe sich dafür mutmaßlich sogar eine Mehrheit finden. Aber in der Republikaner-Fraktion selbst ist dies unwahrscheinlich, obwohl Fraktionschef Eric Cantor immer wieder versichert hat, er unterstütze Boehners Vermittlungsversuche. Damit bliebe eine Mehrheit des "Houses" denkbar, der nur eine Minderheit der Republikaner ihre Zustimmung geben würde. Doch Boehner hat intern bereits erklärt, eine solche Operation komme für ihn nicht infrage. In der Tat würde dieser Deal mit einer demokratischen Mehrheit und einer republikanischen Minderheit seine Akzeptanz im eigenen Lager weiter reduzieren. John Boehners Aussichten auf eine Bestätigung im Amt durch das neue Repräsentantenhaus wären damit mehr als fraglich.

Ein anderes Szenario: Bis Sonntag gibt es keine Einigung. Dann treten zum 1. Januar die Steuererhöhungen und Etatkürzungen automatisch in Kraft. Aber bereits am Montag, dem Silvestertag, schlägt der Präsident massive Steuerkürzungen vor, die untere Einkommensschichten und vor allem den Mittelstand betreffen, Besserverdienende jedoch aussparen. Dann wäre es an den Republikanern, sich zu erklären. Wenn sie zustimmen, haben sich die Demokraten durchgesetzt. Wenn sie sich verweigern, müssen die Republikaner der Öffentlichkeit vermitteln, warum sie Nein sagen zu den möglicherweise umfangreichsten Steuererleichterungen seit den Zeiten Ronald Reagans.

Unterdessen gibt sich die deutsche Bundesregierung optimistisch, dass die USA ihren Haushaltsstreit rechtzeitig beilegen werden. "Wir sind zuversichtlich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika diese wie auch viele andere innenpolitische Schwierigkeiten in der Vergangenheit vernünftig meistern werden", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Freitag in Berlin. Die USA bräuchten eine langfristige Lösung für den Abbau ihrer Schulden und die Konsolidierung des Haushalts, ohne damit die Konjunktur über alle Gebühr zu belasten.

In den USA gibt es auch Verständnis für die Fundamentalopposition der Republikaner. "Ich will, dass die Konservativen hart bleiben", sagte Christine Morabito, Chefin der rechtpopulistischen Tea Party in der Region Boston. "Manchmal müssen die Dinge eben erst einmal schlechter werden, bevor sie sich zum Besseren wenden." Und mit dieser Sicht ist Morabito unter Tea-Party-Aktivisten keineswegs alleine. Dass die drohenden massiven Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen am Ende eine neue Rezession auslösen könnten, quittiert die Tea Party unterdessen mit Schulterzucken.

Nach einer Erhebung des Fernsehsenders CBS wünschen sich 81 Prozent der befragten Amerikaner einen schnellen Kompromiss zwischen Weißem Haus und oppositionellen Republikanern. Selbst eine Mehrheit der republikanischen und der parteilosen Wähler sieht das der Umfrage zufolge genauso. 47 Prozent der Befragten geben vor allen den Republikanern die Schuld an der verfahrenen Lage, nur 25 Prozent dagegen den Demokraten.